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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Vie Hexe von Mayen

fitzen soll! O, ich kenne das l Einmal in Koblenz, als ich am Rhein entlang
ging und vergessen hatte, mein Gebet zu sagen --"

"Gib mir die zwei Gulden zurück, die mir gehören!" unterbrach sie der
Schreiber. Er saß an seinem Tisch, der mit Papieren bedeckt war und strich
mit der Gänsefeder über die blanke Platte.

"Herr Stadtschreiber, das Geld gab ich für das Fleesch, die Würste und
für den Malvaster!"

Lambert Wendemut richtete seine kalten Augen auf die Frau.

"Wo ist das Fleisch, wo ist mein Malvafier?"

"Ich weiß es nit, werter Herr, ich --"

"Du wirst in den Turm müssen, wegen Diebstahls!"

"Ich? Heilige Mutter Gottes! Ich sprach die Wahrheit, glaubt es mir, Herr!"

"So gib das Geld wieder!"

Die massive Gestalt der Frau sank in sich zusammen.

"Ich hab es ja nit! Habt doch Erbarmen! Vier Kinder soll ich satt machen!"

Die Grill war häßlich. Verarbeitet, mit wetterhartem Gesicht und wilden
Haaren. Wie sie nun die Hände zusammenlegte und ihre trüben Augen zu
dem harten Antlitz des Mannes am Schreibtisch erhob, hatte sie doch etwas
Rührendes. Wendemut sah es nicht, er war gelb vor Verdruß geworden und
spielte mit der Glocke, die vor ihm stand. Wenn sie klingelte, kam Jupp,
der Büttel, der draußen auf seiue Befehle wartete, und dann wanderte die Grill
in den Turm. Wann kam sie wieder heraus? Vielleicht, wenn sie bei der
magern Kost Hungers gestorben war; denn es gab nur Wasser und Brot, und
das nicht reichlich.

Die arme Grill schauderte, wenn sie daran dachte. Ach Gott, wenn sie
zwei Gulden gehabt hätte, wie gern würde sie sie gegeben haben! Wie aber
sollte sie zu der großen Summe kommen? Sie hatte nur Geld in der Hand,
wenn sie für andere etwas kaufte, sie selbst verdiente wenig. Gerade so viel,
daß vier Kinder nicht verhungerten.

"Also, du wirst in den Turm gehen!"

Die Grill fiel auf die Knie.

"Herr Stadtschreiber, ich will alle Strafe tun, nur dieses nicht! Was soll
aus meinen Kindern werden? Und ich selbst: so aus der Arbeit weg und
doch unschuldig: ich will arbeiten bis ich das Geld wieder habe! Nur kein
Gefängnis!"

Sie winselte wie ein Tier, und der Mächtige betrachtete sie verächtlich.
Wie doch die Menschen furchtsam waren, und wie war es schön, ihnen Furcht
einzuflößen!

"Willst du mir einen Brief besorgen?" fragte er plötzlich, und die Grill
atmete auf.

"Was der Herr will! Alles, was ich tun kann, soll geschehen, und wenn
mir das Blut aus den Fingern spritzt!"


Vie Hexe von Mayen

fitzen soll! O, ich kenne das l Einmal in Koblenz, als ich am Rhein entlang
ging und vergessen hatte, mein Gebet zu sagen —"

„Gib mir die zwei Gulden zurück, die mir gehören!" unterbrach sie der
Schreiber. Er saß an seinem Tisch, der mit Papieren bedeckt war und strich
mit der Gänsefeder über die blanke Platte.

„Herr Stadtschreiber, das Geld gab ich für das Fleesch, die Würste und
für den Malvaster!"

Lambert Wendemut richtete seine kalten Augen auf die Frau.

„Wo ist das Fleisch, wo ist mein Malvafier?"

„Ich weiß es nit, werter Herr, ich —"

„Du wirst in den Turm müssen, wegen Diebstahls!"

„Ich? Heilige Mutter Gottes! Ich sprach die Wahrheit, glaubt es mir, Herr!"

„So gib das Geld wieder!"

Die massive Gestalt der Frau sank in sich zusammen.

„Ich hab es ja nit! Habt doch Erbarmen! Vier Kinder soll ich satt machen!"

Die Grill war häßlich. Verarbeitet, mit wetterhartem Gesicht und wilden
Haaren. Wie sie nun die Hände zusammenlegte und ihre trüben Augen zu
dem harten Antlitz des Mannes am Schreibtisch erhob, hatte sie doch etwas
Rührendes. Wendemut sah es nicht, er war gelb vor Verdruß geworden und
spielte mit der Glocke, die vor ihm stand. Wenn sie klingelte, kam Jupp,
der Büttel, der draußen auf seiue Befehle wartete, und dann wanderte die Grill
in den Turm. Wann kam sie wieder heraus? Vielleicht, wenn sie bei der
magern Kost Hungers gestorben war; denn es gab nur Wasser und Brot, und
das nicht reichlich.

Die arme Grill schauderte, wenn sie daran dachte. Ach Gott, wenn sie
zwei Gulden gehabt hätte, wie gern würde sie sie gegeben haben! Wie aber
sollte sie zu der großen Summe kommen? Sie hatte nur Geld in der Hand,
wenn sie für andere etwas kaufte, sie selbst verdiente wenig. Gerade so viel,
daß vier Kinder nicht verhungerten.

„Also, du wirst in den Turm gehen!"

Die Grill fiel auf die Knie.

„Herr Stadtschreiber, ich will alle Strafe tun, nur dieses nicht! Was soll
aus meinen Kindern werden? Und ich selbst: so aus der Arbeit weg und
doch unschuldig: ich will arbeiten bis ich das Geld wieder habe! Nur kein
Gefängnis!"

Sie winselte wie ein Tier, und der Mächtige betrachtete sie verächtlich.
Wie doch die Menschen furchtsam waren, und wie war es schön, ihnen Furcht
einzuflößen!

„Willst du mir einen Brief besorgen?" fragte er plötzlich, und die Grill
atmete auf.

„Was der Herr will! Alles, was ich tun kann, soll geschehen, und wenn
mir das Blut aus den Fingern spritzt!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/180>, abgerufen am 29.12.2024.