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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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umbilden zu können und ergreift nur zu gern jede sich bietende Gelegenheit, um
neben der Betonung rein wirtschaftlicher Ideale auch die politischen zur Geltung
zu bringen.

Von diesem durch die innerparteilichen Verhältnisse gegebenen Gesichts¬
punkte aus mußte daher die Beurteilung ausgehen, als im Herbst des vorigen
Jahres, des Jubeljahres der Befreiungskriege, eine Gruppe von etwa zweihundert
deutschen Männern den Aufruf zur Gründung eines Preußenbundes erließ. "Die
erhebende Erinnerung an die großen Zeiten und Taten vor einem Jahrhundert,
da Preußen wie ein Mann aufstand, um das Joch eines fremden Eroberers
abzuschütteln," vermochte in der Tat den Patriotismus aufzurütteln und manchen
zu dem Glauben zu verleiten, als könne auch der konservative Gedanke neue
Kräfte aus der Ideenwelt jener großen Zeit schöpfen, ohne sich mit den Dogmen in
Widerspruch zu setzen. Wer wollte auch fehlen, wenn es galt, die Nation
wieder mit jenem Preußengeiste zu erfüllen, der ausging von Kant, Fichte,
Schleiermacher, Steffens, Arndt, Stein, Uork von Wartenburg, die uns jeder an
seinem Teil den Ideengehalt der Befreiungskriege versinnbildlichen?!

Der Zeitpunkt für den ersten Aufruf war nicht schlecht gewählt. Die
preußische Regierung, durch Herrn von Bethmann verkörpert, bot genug Anlaß
zu Klagen und Kritik. Gerade von den Bundesratsvertretern der Kleinstaaten
hörte man in den letzten Jahren häufiger, daß die von Preußen instruierten
Stimmen sich in wichtigen Lebensfragen der Einzelstaaten nachgiebiger gegen
die partikularen Bestrebungen nichtpreußischer Staaten zeigten, als es
notwendig und für die Sicherheit der Reichseinheit zuträglich war; das Experi¬
ment mit den Neichslanden zeitigte immer unbequemere Ausblicke; die Haltung
des Reichskanzlers rief immer mehr Kopsschütteln hervor. Schließlich boten
lokale Gründe einen praktischen Anlaß: die Möglichkeit für die Deutsch-Konser¬
vativen, in Hannover das Erbe der Welfenpartei anzutreten, nachdem die Thron¬
besteigung Ernst Augusts in Braunschweig und dessen Verzicht auf Hannover einer
hannoverschen Welfenpartei den Boden entzogen hatte. So konnte denn auch
an dieser Stelle (1913, Heft 43) die beabsichtigte Gründung des Preußenbundes
um so mehr begrüßt werden, als es den Mittelparteien schwer fallen dürfte in
das Erbe der Welfenpartei einzutreten. Einiger Vorbehalt mußte allerdings
gemacht werden.

Es wurde auf die übermäßige Betonung des Autoritütsprinzips hin¬
gewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß das positive Ziel eines solchen
Preußenbundes ein weit verstandener preußischer Partikularismus sein müsse,


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umbilden zu können und ergreift nur zu gern jede sich bietende Gelegenheit, um
neben der Betonung rein wirtschaftlicher Ideale auch die politischen zur Geltung
zu bringen.

Von diesem durch die innerparteilichen Verhältnisse gegebenen Gesichts¬
punkte aus mußte daher die Beurteilung ausgehen, als im Herbst des vorigen
Jahres, des Jubeljahres der Befreiungskriege, eine Gruppe von etwa zweihundert
deutschen Männern den Aufruf zur Gründung eines Preußenbundes erließ. „Die
erhebende Erinnerung an die großen Zeiten und Taten vor einem Jahrhundert,
da Preußen wie ein Mann aufstand, um das Joch eines fremden Eroberers
abzuschütteln," vermochte in der Tat den Patriotismus aufzurütteln und manchen
zu dem Glauben zu verleiten, als könne auch der konservative Gedanke neue
Kräfte aus der Ideenwelt jener großen Zeit schöpfen, ohne sich mit den Dogmen in
Widerspruch zu setzen. Wer wollte auch fehlen, wenn es galt, die Nation
wieder mit jenem Preußengeiste zu erfüllen, der ausging von Kant, Fichte,
Schleiermacher, Steffens, Arndt, Stein, Uork von Wartenburg, die uns jeder an
seinem Teil den Ideengehalt der Befreiungskriege versinnbildlichen?!

Der Zeitpunkt für den ersten Aufruf war nicht schlecht gewählt. Die
preußische Regierung, durch Herrn von Bethmann verkörpert, bot genug Anlaß
zu Klagen und Kritik. Gerade von den Bundesratsvertretern der Kleinstaaten
hörte man in den letzten Jahren häufiger, daß die von Preußen instruierten
Stimmen sich in wichtigen Lebensfragen der Einzelstaaten nachgiebiger gegen
die partikularen Bestrebungen nichtpreußischer Staaten zeigten, als es
notwendig und für die Sicherheit der Reichseinheit zuträglich war; das Experi¬
ment mit den Neichslanden zeitigte immer unbequemere Ausblicke; die Haltung
des Reichskanzlers rief immer mehr Kopsschütteln hervor. Schließlich boten
lokale Gründe einen praktischen Anlaß: die Möglichkeit für die Deutsch-Konser¬
vativen, in Hannover das Erbe der Welfenpartei anzutreten, nachdem die Thron¬
besteigung Ernst Augusts in Braunschweig und dessen Verzicht auf Hannover einer
hannoverschen Welfenpartei den Boden entzogen hatte. So konnte denn auch
an dieser Stelle (1913, Heft 43) die beabsichtigte Gründung des Preußenbundes
um so mehr begrüßt werden, als es den Mittelparteien schwer fallen dürfte in
das Erbe der Welfenpartei einzutreten. Einiger Vorbehalt mußte allerdings
gemacht werden.

Es wurde auf die übermäßige Betonung des Autoritütsprinzips hin¬
gewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß das positive Ziel eines solchen
Preußenbundes ein weit verstandener preußischer Partikularismus sein müsse,


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[0158] An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen I umbilden zu können und ergreift nur zu gern jede sich bietende Gelegenheit, um neben der Betonung rein wirtschaftlicher Ideale auch die politischen zur Geltung zu bringen. Von diesem durch die innerparteilichen Verhältnisse gegebenen Gesichts¬ punkte aus mußte daher die Beurteilung ausgehen, als im Herbst des vorigen Jahres, des Jubeljahres der Befreiungskriege, eine Gruppe von etwa zweihundert deutschen Männern den Aufruf zur Gründung eines Preußenbundes erließ. „Die erhebende Erinnerung an die großen Zeiten und Taten vor einem Jahrhundert, da Preußen wie ein Mann aufstand, um das Joch eines fremden Eroberers abzuschütteln," vermochte in der Tat den Patriotismus aufzurütteln und manchen zu dem Glauben zu verleiten, als könne auch der konservative Gedanke neue Kräfte aus der Ideenwelt jener großen Zeit schöpfen, ohne sich mit den Dogmen in Widerspruch zu setzen. Wer wollte auch fehlen, wenn es galt, die Nation wieder mit jenem Preußengeiste zu erfüllen, der ausging von Kant, Fichte, Schleiermacher, Steffens, Arndt, Stein, Uork von Wartenburg, die uns jeder an seinem Teil den Ideengehalt der Befreiungskriege versinnbildlichen?! Der Zeitpunkt für den ersten Aufruf war nicht schlecht gewählt. Die preußische Regierung, durch Herrn von Bethmann verkörpert, bot genug Anlaß zu Klagen und Kritik. Gerade von den Bundesratsvertretern der Kleinstaaten hörte man in den letzten Jahren häufiger, daß die von Preußen instruierten Stimmen sich in wichtigen Lebensfragen der Einzelstaaten nachgiebiger gegen die partikularen Bestrebungen nichtpreußischer Staaten zeigten, als es notwendig und für die Sicherheit der Reichseinheit zuträglich war; das Experi¬ ment mit den Neichslanden zeitigte immer unbequemere Ausblicke; die Haltung des Reichskanzlers rief immer mehr Kopsschütteln hervor. Schließlich boten lokale Gründe einen praktischen Anlaß: die Möglichkeit für die Deutsch-Konser¬ vativen, in Hannover das Erbe der Welfenpartei anzutreten, nachdem die Thron¬ besteigung Ernst Augusts in Braunschweig und dessen Verzicht auf Hannover einer hannoverschen Welfenpartei den Boden entzogen hatte. So konnte denn auch an dieser Stelle (1913, Heft 43) die beabsichtigte Gründung des Preußenbundes um so mehr begrüßt werden, als es den Mittelparteien schwer fallen dürfte in das Erbe der Welfenpartei einzutreten. Einiger Vorbehalt mußte allerdings gemacht werden. Es wurde auf die übermäßige Betonung des Autoritütsprinzips hin¬ gewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß das positive Ziel eines solchen Preußenbundes ein weit verstandener preußischer Partikularismus sein müsse,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/158>, abgerufen am 01.01.2025.