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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!

der, anknüpfend an die Folgen unserer wirtschaftlichen Entwicklung, den ständig
wachsenden Massen des Mittelstandes und der Arberterbevölkerung die Freude
an der Heimat wiederzugeben hätte, dessen Aufgabe es also wäre Heimatsgefühle
zu wecken und zu pflegen und damit der Gesamtheit neue ideelle Kräfte zu¬
zuführen. Die erste Nummer des bundesamtlichen Organs hat diese Ausgabe
unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Grenzboten angenommen, aber die
Forderung nach freiheitlicher Betätigung zurückgewiesen. Wie unter diesen Um¬
ständen der Aufruf des neuen Bundes mit einer Erinnerung "an die großen
Zeiten und Taten vor einem Jahrhundert", die doch nur auf freiheitlicher Basis
durchführbar waren, eingeleitet werden konnte, blieb mir zunächst unverständlich.
Auch sonst enthält die erste Nummer nichts, was an eine "erhebende Erinnerung"
gemahnt: Polemik! Nichts als Polemik! Abwehr, Ablehnung, absprechende
Urteile! Das geht soweit, daß das Musikfest auf der großen Pariser Welt¬
ausstellung von 1867, auf dem zehn Militärkapellen in Uniform um hohe
Preise stritten, zur Erhöhung des Preußentums gegenüber Bayern und Badensern
dienen muß. Das geht soweit, daß an einer Stelle von der bayerischen Kapelle
besonders hervorgehoben wird, sie habe einen vollen Mißerfolg erlitten, während an
anderer Stelle nebenher gesagt wird, daß ihr tatsächlich ein zweiter Preis zuteil ward.

Am Sonntag, den 18. d. M., ist nun der Preußenbund zu einer kon¬
stituierenden Versammlung zusammengetreten, nachdem er eine "machtvolle"
Kundgebung in Aussicht gestellt hatte, nachdem aber auch die Zusammensetzung
der Versammlung durch die Einberufer auf das sorgsamste durchgesiebt worden
war, so daß wir wohl berechtigt sind, in den im Abgeordnetenhause ver¬
sammelten Vertretern des Preußentums den Extrakt jenes reinen Preußentums zu
erkennen, wie ihn die Preußenbündler selbst hoch und wert schätzen. In der
Tat eine illustre Gesellschaft von hervorragenden konservativen Persönlichkeiten:
Herr von Heydebrand, neben dem der temperamentvolle Direktor des Bundes
der Landwirte, Dr. Rösicke, nicht fehle, Pastoren, Generale, Vertreter aus Handel
und Industrie und aus der Landwirtschaft. Aber von dem Geist, jenem alten
Preußengeist, der angeblich diese Gesellschaft erfüllen sollte, war nichts zu
spüren. Das einzige positives Wollen andeutende Wort war das Bekenntnis
des Dr. Rösicke zur Notwendigkeit der Selbsthilfe. Aber auch dieses gemahnte
in der von Herrn Handelskammersyndikus Dr. Rocke zusammengeführten Ver¬
einigung nicht an die Selbsthilfe von Tauroggen. Nicht Einigkeit bedingte es
gegen vorhandene Gefahren, es säte Zwiespalt, es forderte zum Kampf gegen
den inneren Feind, womit nicht etwa nur die Sozialdemokratie, sondern alles


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An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!

der, anknüpfend an die Folgen unserer wirtschaftlichen Entwicklung, den ständig
wachsenden Massen des Mittelstandes und der Arberterbevölkerung die Freude
an der Heimat wiederzugeben hätte, dessen Aufgabe es also wäre Heimatsgefühle
zu wecken und zu pflegen und damit der Gesamtheit neue ideelle Kräfte zu¬
zuführen. Die erste Nummer des bundesamtlichen Organs hat diese Ausgabe
unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Grenzboten angenommen, aber die
Forderung nach freiheitlicher Betätigung zurückgewiesen. Wie unter diesen Um¬
ständen der Aufruf des neuen Bundes mit einer Erinnerung „an die großen
Zeiten und Taten vor einem Jahrhundert", die doch nur auf freiheitlicher Basis
durchführbar waren, eingeleitet werden konnte, blieb mir zunächst unverständlich.
Auch sonst enthält die erste Nummer nichts, was an eine „erhebende Erinnerung"
gemahnt: Polemik! Nichts als Polemik! Abwehr, Ablehnung, absprechende
Urteile! Das geht soweit, daß das Musikfest auf der großen Pariser Welt¬
ausstellung von 1867, auf dem zehn Militärkapellen in Uniform um hohe
Preise stritten, zur Erhöhung des Preußentums gegenüber Bayern und Badensern
dienen muß. Das geht soweit, daß an einer Stelle von der bayerischen Kapelle
besonders hervorgehoben wird, sie habe einen vollen Mißerfolg erlitten, während an
anderer Stelle nebenher gesagt wird, daß ihr tatsächlich ein zweiter Preis zuteil ward.

Am Sonntag, den 18. d. M., ist nun der Preußenbund zu einer kon¬
stituierenden Versammlung zusammengetreten, nachdem er eine „machtvolle"
Kundgebung in Aussicht gestellt hatte, nachdem aber auch die Zusammensetzung
der Versammlung durch die Einberufer auf das sorgsamste durchgesiebt worden
war, so daß wir wohl berechtigt sind, in den im Abgeordnetenhause ver¬
sammelten Vertretern des Preußentums den Extrakt jenes reinen Preußentums zu
erkennen, wie ihn die Preußenbündler selbst hoch und wert schätzen. In der
Tat eine illustre Gesellschaft von hervorragenden konservativen Persönlichkeiten:
Herr von Heydebrand, neben dem der temperamentvolle Direktor des Bundes
der Landwirte, Dr. Rösicke, nicht fehle, Pastoren, Generale, Vertreter aus Handel
und Industrie und aus der Landwirtschaft. Aber von dem Geist, jenem alten
Preußengeist, der angeblich diese Gesellschaft erfüllen sollte, war nichts zu
spüren. Das einzige positives Wollen andeutende Wort war das Bekenntnis
des Dr. Rösicke zur Notwendigkeit der Selbsthilfe. Aber auch dieses gemahnte
in der von Herrn Handelskammersyndikus Dr. Rocke zusammengeführten Ver¬
einigung nicht an die Selbsthilfe von Tauroggen. Nicht Einigkeit bedingte es
gegen vorhandene Gefahren, es säte Zwiespalt, es forderte zum Kampf gegen
den inneren Feind, womit nicht etwa nur die Sozialdemokratie, sondern alles


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/159>, abgerufen am 01.01.2025.