Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hexe von Mayen

Er stand noch in der Tür der kleinen Wohnung, als eine energische Hand
ihn zur Seite schob.

"Gebt Raum, Junker I Andere Leute wollen auch einmal Platz haben!"

Eine Frau in mittleren Jahren und in der schwarzen Tracht der Witwen
trat über die Schwelle und redete Kätha an.

"Wo ist dein Vater? Er hat meinen Kater eingesperrt zum Gericht I Ich
will ihn wieder haben!"

Kätha strich sich die Schürze glatt.

"Edle Frau, der Kater ist beschuldigt, den Sittich der Frau Apothekers¬
witwe ausgefressen zu haben, und da er keinen Herrn hatte, ist er von uns
in Gewahrsam genommen!"

"Aber ich bin seine Herrin, ich, die Frau Ursula von Bremer aus Nieder-
mendig! Was unterfange ihr euch in Mayen, mein Tier in Gewahrsam zu
nehmen und strafen zu wollen! Peter, mein Peter!"

Die Edelfrau rief es mit Heller Stimme, und irgendwoher kam ein jämmer¬
liches Miauen.

"Edle Frau, der Vater ist nit daheim und der Herr Stadtschreiber hat
den Arrest befohlen. Ich kann nichts machen!"

Aber Frau von Bremer schob sie zur Seite, ging durch den halbdunklen
Raum und rief noch einmal nach ihrem Kater. Wieder antwortete er, aber
als sie den Schweinekoben offenstieß, war er nicht dort. Sie trat wieder auf
Kätha zu.

"Ärgere mich nicht, Mädchen! Gib mir mein Tier, und du magst einmal
nach Niedermendig kommen und dir eine Mandel Eier holen. Oder eine Speck¬
seite, das steht in deinem Belieben! Und nun gib mir meinen Peter!"

Kätha stand unschlüssig. Mit den Edelleuten mochte sie es nicht verderben,
und die Frau von Bremer kannte sie wohl dem Namen nach. Sie hatte eine
offene Hand und kein Bettler ging unbeschenkt von ihrer Tür. Und wenn es
nun bald eine Hexe in Mayen zu brennen gab, wer würde dann an den Kater
denken, der bestraft werden sollte? Gerade griff sie zum Schlüsselbund, als
Sebastian sich in die Unterhaltung mischte.

"Gestattet, edle Frau, daß auch ich ein Wörtchen sage. Ist es nicht
besser, Ihr wartet, bis die Obrigkeit urteilt? Dieser Kater hat eine Missetat
begangen, also muß er gestraft werden. Wenigstens will dies das Gesetz. Wohl
aber kann man dagegen einwenden, daß ein unverständiges Tier die Gesetze
der Menschen nicht alle innehaben kann. Dafür ist dann seine Herrschaft ver¬
antwortlich. So wird es also besser sein."

"Seid Ihr ein Jurist?" fragte Frau von Bremer kurz.

Sebastian wollte antworten, als Kätha dazwischen fuhr.

"Der Junker Wiltberg will ein Domherr werden!" sagte sie eifrig. "Er
kriegt noch einmal viel Geld."


Die Hexe von Mayen

Er stand noch in der Tür der kleinen Wohnung, als eine energische Hand
ihn zur Seite schob.

„Gebt Raum, Junker I Andere Leute wollen auch einmal Platz haben!"

Eine Frau in mittleren Jahren und in der schwarzen Tracht der Witwen
trat über die Schwelle und redete Kätha an.

„Wo ist dein Vater? Er hat meinen Kater eingesperrt zum Gericht I Ich
will ihn wieder haben!"

Kätha strich sich die Schürze glatt.

„Edle Frau, der Kater ist beschuldigt, den Sittich der Frau Apothekers¬
witwe ausgefressen zu haben, und da er keinen Herrn hatte, ist er von uns
in Gewahrsam genommen!"

„Aber ich bin seine Herrin, ich, die Frau Ursula von Bremer aus Nieder-
mendig! Was unterfange ihr euch in Mayen, mein Tier in Gewahrsam zu
nehmen und strafen zu wollen! Peter, mein Peter!"

Die Edelfrau rief es mit Heller Stimme, und irgendwoher kam ein jämmer¬
liches Miauen.

„Edle Frau, der Vater ist nit daheim und der Herr Stadtschreiber hat
den Arrest befohlen. Ich kann nichts machen!"

Aber Frau von Bremer schob sie zur Seite, ging durch den halbdunklen
Raum und rief noch einmal nach ihrem Kater. Wieder antwortete er, aber
als sie den Schweinekoben offenstieß, war er nicht dort. Sie trat wieder auf
Kätha zu.

„Ärgere mich nicht, Mädchen! Gib mir mein Tier, und du magst einmal
nach Niedermendig kommen und dir eine Mandel Eier holen. Oder eine Speck¬
seite, das steht in deinem Belieben! Und nun gib mir meinen Peter!"

Kätha stand unschlüssig. Mit den Edelleuten mochte sie es nicht verderben,
und die Frau von Bremer kannte sie wohl dem Namen nach. Sie hatte eine
offene Hand und kein Bettler ging unbeschenkt von ihrer Tür. Und wenn es
nun bald eine Hexe in Mayen zu brennen gab, wer würde dann an den Kater
denken, der bestraft werden sollte? Gerade griff sie zum Schlüsselbund, als
Sebastian sich in die Unterhaltung mischte.

„Gestattet, edle Frau, daß auch ich ein Wörtchen sage. Ist es nicht
besser, Ihr wartet, bis die Obrigkeit urteilt? Dieser Kater hat eine Missetat
begangen, also muß er gestraft werden. Wenigstens will dies das Gesetz. Wohl
aber kann man dagegen einwenden, daß ein unverständiges Tier die Gesetze
der Menschen nicht alle innehaben kann. Dafür ist dann seine Herrschaft ver¬
antwortlich. So wird es also besser sein."

„Seid Ihr ein Jurist?" fragte Frau von Bremer kurz.

Sebastian wollte antworten, als Kätha dazwischen fuhr.

„Der Junker Wiltberg will ein Domherr werden!" sagte sie eifrig. „Er
kriegt noch einmal viel Geld."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327602"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_559"> Er stand noch in der Tür der kleinen Wohnung, als eine energische Hand<lb/>
ihn zur Seite schob.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_560"> &#x201E;Gebt Raum, Junker I Andere Leute wollen auch einmal Platz haben!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_561"> Eine Frau in mittleren Jahren und in der schwarzen Tracht der Witwen<lb/>
trat über die Schwelle und redete Kätha an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_562"> &#x201E;Wo ist dein Vater? Er hat meinen Kater eingesperrt zum Gericht I Ich<lb/>
will ihn wieder haben!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_563"> Kätha strich sich die Schürze glatt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_564"> &#x201E;Edle Frau, der Kater ist beschuldigt, den Sittich der Frau Apothekers¬<lb/>
witwe ausgefressen zu haben, und da er keinen Herrn hatte, ist er von uns<lb/>
in Gewahrsam genommen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_565"> &#x201E;Aber ich bin seine Herrin, ich, die Frau Ursula von Bremer aus Nieder-<lb/>
mendig! Was unterfange ihr euch in Mayen, mein Tier in Gewahrsam zu<lb/>
nehmen und strafen zu wollen!  Peter, mein Peter!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_566"> Die Edelfrau rief es mit Heller Stimme, und irgendwoher kam ein jämmer¬<lb/>
liches Miauen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_567"> &#x201E;Edle Frau, der Vater ist nit daheim und der Herr Stadtschreiber hat<lb/>
den Arrest befohlen.  Ich kann nichts machen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_568"> Aber Frau von Bremer schob sie zur Seite, ging durch den halbdunklen<lb/>
Raum und rief noch einmal nach ihrem Kater. Wieder antwortete er, aber<lb/>
als sie den Schweinekoben offenstieß, war er nicht dort. Sie trat wieder auf<lb/>
Kätha zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_569"> &#x201E;Ärgere mich nicht, Mädchen! Gib mir mein Tier, und du magst einmal<lb/>
nach Niedermendig kommen und dir eine Mandel Eier holen. Oder eine Speck¬<lb/>
seite, das steht in deinem Belieben! Und nun gib mir meinen Peter!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570"> Kätha stand unschlüssig. Mit den Edelleuten mochte sie es nicht verderben,<lb/>
und die Frau von Bremer kannte sie wohl dem Namen nach. Sie hatte eine<lb/>
offene Hand und kein Bettler ging unbeschenkt von ihrer Tür. Und wenn es<lb/>
nun bald eine Hexe in Mayen zu brennen gab, wer würde dann an den Kater<lb/>
denken, der bestraft werden sollte? Gerade griff sie zum Schlüsselbund, als<lb/>
Sebastian sich in die Unterhaltung mischte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> &#x201E;Gestattet, edle Frau, daß auch ich ein Wörtchen sage. Ist es nicht<lb/>
besser, Ihr wartet, bis die Obrigkeit urteilt? Dieser Kater hat eine Missetat<lb/>
begangen, also muß er gestraft werden. Wenigstens will dies das Gesetz. Wohl<lb/>
aber kann man dagegen einwenden, daß ein unverständiges Tier die Gesetze<lb/>
der Menschen nicht alle innehaben kann. Dafür ist dann seine Herrschaft ver¬<lb/>
antwortlich.  So wird es also besser sein."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> &#x201E;Seid Ihr ein Jurist?" fragte Frau von Bremer kurz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_573"> Sebastian wollte antworten, als Kätha dazwischen fuhr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_574"> &#x201E;Der Junker Wiltberg will ein Domherr werden!" sagte sie eifrig. &#x201E;Er<lb/>
kriegt noch einmal viel Geld."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] Die Hexe von Mayen Er stand noch in der Tür der kleinen Wohnung, als eine energische Hand ihn zur Seite schob. „Gebt Raum, Junker I Andere Leute wollen auch einmal Platz haben!" Eine Frau in mittleren Jahren und in der schwarzen Tracht der Witwen trat über die Schwelle und redete Kätha an. „Wo ist dein Vater? Er hat meinen Kater eingesperrt zum Gericht I Ich will ihn wieder haben!" Kätha strich sich die Schürze glatt. „Edle Frau, der Kater ist beschuldigt, den Sittich der Frau Apothekers¬ witwe ausgefressen zu haben, und da er keinen Herrn hatte, ist er von uns in Gewahrsam genommen!" „Aber ich bin seine Herrin, ich, die Frau Ursula von Bremer aus Nieder- mendig! Was unterfange ihr euch in Mayen, mein Tier in Gewahrsam zu nehmen und strafen zu wollen! Peter, mein Peter!" Die Edelfrau rief es mit Heller Stimme, und irgendwoher kam ein jämmer¬ liches Miauen. „Edle Frau, der Vater ist nit daheim und der Herr Stadtschreiber hat den Arrest befohlen. Ich kann nichts machen!" Aber Frau von Bremer schob sie zur Seite, ging durch den halbdunklen Raum und rief noch einmal nach ihrem Kater. Wieder antwortete er, aber als sie den Schweinekoben offenstieß, war er nicht dort. Sie trat wieder auf Kätha zu. „Ärgere mich nicht, Mädchen! Gib mir mein Tier, und du magst einmal nach Niedermendig kommen und dir eine Mandel Eier holen. Oder eine Speck¬ seite, das steht in deinem Belieben! Und nun gib mir meinen Peter!" Kätha stand unschlüssig. Mit den Edelleuten mochte sie es nicht verderben, und die Frau von Bremer kannte sie wohl dem Namen nach. Sie hatte eine offene Hand und kein Bettler ging unbeschenkt von ihrer Tür. Und wenn es nun bald eine Hexe in Mayen zu brennen gab, wer würde dann an den Kater denken, der bestraft werden sollte? Gerade griff sie zum Schlüsselbund, als Sebastian sich in die Unterhaltung mischte. „Gestattet, edle Frau, daß auch ich ein Wörtchen sage. Ist es nicht besser, Ihr wartet, bis die Obrigkeit urteilt? Dieser Kater hat eine Missetat begangen, also muß er gestraft werden. Wenigstens will dies das Gesetz. Wohl aber kann man dagegen einwenden, daß ein unverständiges Tier die Gesetze der Menschen nicht alle innehaben kann. Dafür ist dann seine Herrschaft ver¬ antwortlich. So wird es also besser sein." „Seid Ihr ein Jurist?" fragte Frau von Bremer kurz. Sebastian wollte antworten, als Kätha dazwischen fuhr. „Der Junker Wiltberg will ein Domherr werden!" sagte sie eifrig. „Er kriegt noch einmal viel Geld."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/136
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/136>, abgerufen am 01.01.2025.