Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hexe von Mayen

"Dem hochheiligen Abt? Maria und Joseph! Mit dem darf kein Mensch
reden, so heilig ist er! Und dann wollt Ihr, die Ihr --" Kätha suchte nach
Worten, während Heilwig wieder im Gefängnis hin und her lief.

"Herr Placidus Kessenich! Mein Herr Vater hat ost von ihm geredet.
Seine Hilfe wird er mir nicht versagen, wenn er weiß, daß ich in Not bin!
Du mußt nur eine Botschaft ins Kloster tragen!"

Aber Kätha bekreuzigte sich.

"Kein Weib darf ins heilige Kloster! Ich darf auch nit fort aus der Stadt,
und dann weiß ich auch nit, ob Ihr die Wahrheit redet! Der Böse kann arge
Dinge schaffen! Heilige Mutter Gottes, bitt für mich!"

Kätha war so aufgeregt, daß sie unter Gebet das Turmgemach verließ
und nicht darauf achtete, daß die Gefangene hinter ihr herrief. Sie war vom
Teufel besessen, das war ganz gewiß! Wie konnte sie sich unterfangen, vom
Herrn Abt zu reden? Von dem hohen Herrn, der vielleicht ein oder das andere
Mal in Manen an einem Festtage die Messe hielt, aber fast so vornehm war
wie der Herr Kurfürst von Trier! Nur mühsam kam die arme Kätha die steilen
Steinstufen des Turmes hinunter, und dann warf sie die Wäsche der Fremden
mit Abscheu in einen Zuber, goß kochendes Wasser darüber und schwenkte einen
Palmzweig, den sie vom Osterfest noch hatte.

Sie war so erregt, daß sie den Junker Wiltberg nicht bemerkte, der schon
eine Weile in der Tür stand und ihren Namen rief.

"Kätha, auch heute bist du nicht bei mir gewesen und hast mir kein Essen
gebracht! Was bedeutet dies?"

Sie trat aus dem Dampf heraus und wischte sich das Gesicht.

"Es ist mir leid, Junker, und wenn Ihr mir Geld gebt zum Einkauf,
soll es nit wieder vorkommen!"

"Ich hab kein Geld!" entgegnete Sebastian. "Du hast mir auch sonst
beigestanden, ohne nach dem Mammon zu fragen. Einmal wird die Zeit
kommen, da ich alle meine Schulden werde bezahlen können, und bis dahin leihst
du dem Gottvater!"

Kätha wischte sich die Augen. "Schon gut, Junker, ich werde Euch morgen
bringen, was ich schaffen kann. Viel ist es nit, und die Unselige im Turm:
darf doch auch nit verhungern, ehe sie brennt. Heilige Jungfrau, gottelästerlich
hat sie gesprochen! Ich mag es kaum wiederholen!"

Sebastian trat näher und vergaß seinen Hunger.

"Was hat sie gesagt? Kann ich sie nicht besuchen und ihr eine christliche
Unterweisung geben?"

"Vielleicht könnt Ihr es! Ich glaub aber, sie ist von Sinnen! Vom
Abt in Laach hat sie geredet, und wollt eine Botschaft schicken zum heiligen
Herrn Abt! Ich glaub, sie muß in Ketten gelegt werden!"

"Laßt mich zu ihr, daß ich mit ihr rede!" rief Sebastian eifrig. "Welch
Frevel sitzt in ihrer Seele!"


Die Hexe von Mayen

„Dem hochheiligen Abt? Maria und Joseph! Mit dem darf kein Mensch
reden, so heilig ist er! Und dann wollt Ihr, die Ihr —" Kätha suchte nach
Worten, während Heilwig wieder im Gefängnis hin und her lief.

„Herr Placidus Kessenich! Mein Herr Vater hat ost von ihm geredet.
Seine Hilfe wird er mir nicht versagen, wenn er weiß, daß ich in Not bin!
Du mußt nur eine Botschaft ins Kloster tragen!"

Aber Kätha bekreuzigte sich.

„Kein Weib darf ins heilige Kloster! Ich darf auch nit fort aus der Stadt,
und dann weiß ich auch nit, ob Ihr die Wahrheit redet! Der Böse kann arge
Dinge schaffen! Heilige Mutter Gottes, bitt für mich!"

Kätha war so aufgeregt, daß sie unter Gebet das Turmgemach verließ
und nicht darauf achtete, daß die Gefangene hinter ihr herrief. Sie war vom
Teufel besessen, das war ganz gewiß! Wie konnte sie sich unterfangen, vom
Herrn Abt zu reden? Von dem hohen Herrn, der vielleicht ein oder das andere
Mal in Manen an einem Festtage die Messe hielt, aber fast so vornehm war
wie der Herr Kurfürst von Trier! Nur mühsam kam die arme Kätha die steilen
Steinstufen des Turmes hinunter, und dann warf sie die Wäsche der Fremden
mit Abscheu in einen Zuber, goß kochendes Wasser darüber und schwenkte einen
Palmzweig, den sie vom Osterfest noch hatte.

Sie war so erregt, daß sie den Junker Wiltberg nicht bemerkte, der schon
eine Weile in der Tür stand und ihren Namen rief.

„Kätha, auch heute bist du nicht bei mir gewesen und hast mir kein Essen
gebracht! Was bedeutet dies?"

Sie trat aus dem Dampf heraus und wischte sich das Gesicht.

„Es ist mir leid, Junker, und wenn Ihr mir Geld gebt zum Einkauf,
soll es nit wieder vorkommen!"

„Ich hab kein Geld!" entgegnete Sebastian. „Du hast mir auch sonst
beigestanden, ohne nach dem Mammon zu fragen. Einmal wird die Zeit
kommen, da ich alle meine Schulden werde bezahlen können, und bis dahin leihst
du dem Gottvater!"

Kätha wischte sich die Augen. „Schon gut, Junker, ich werde Euch morgen
bringen, was ich schaffen kann. Viel ist es nit, und die Unselige im Turm:
darf doch auch nit verhungern, ehe sie brennt. Heilige Jungfrau, gottelästerlich
hat sie gesprochen! Ich mag es kaum wiederholen!"

Sebastian trat näher und vergaß seinen Hunger.

„Was hat sie gesagt? Kann ich sie nicht besuchen und ihr eine christliche
Unterweisung geben?"

„Vielleicht könnt Ihr es! Ich glaub aber, sie ist von Sinnen! Vom
Abt in Laach hat sie geredet, und wollt eine Botschaft schicken zum heiligen
Herrn Abt! Ich glaub, sie muß in Ketten gelegt werden!"

„Laßt mich zu ihr, daß ich mit ihr rede!" rief Sebastian eifrig. „Welch
Frevel sitzt in ihrer Seele!"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327601"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_544"> &#x201E;Dem hochheiligen Abt? Maria und Joseph! Mit dem darf kein Mensch<lb/>
reden, so heilig ist er! Und dann wollt Ihr, die Ihr &#x2014;" Kätha suchte nach<lb/>
Worten, während Heilwig wieder im Gefängnis hin und her lief.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_545"> &#x201E;Herr Placidus Kessenich! Mein Herr Vater hat ost von ihm geredet.<lb/>
Seine Hilfe wird er mir nicht versagen, wenn er weiß, daß ich in Not bin!<lb/>
Du mußt nur eine Botschaft ins Kloster tragen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_546"> Aber Kätha bekreuzigte sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_547"> &#x201E;Kein Weib darf ins heilige Kloster! Ich darf auch nit fort aus der Stadt,<lb/>
und dann weiß ich auch nit, ob Ihr die Wahrheit redet! Der Böse kann arge<lb/>
Dinge schaffen! Heilige Mutter Gottes, bitt für mich!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_548"> Kätha war so aufgeregt, daß sie unter Gebet das Turmgemach verließ<lb/>
und nicht darauf achtete, daß die Gefangene hinter ihr herrief. Sie war vom<lb/>
Teufel besessen, das war ganz gewiß! Wie konnte sie sich unterfangen, vom<lb/>
Herrn Abt zu reden? Von dem hohen Herrn, der vielleicht ein oder das andere<lb/>
Mal in Manen an einem Festtage die Messe hielt, aber fast so vornehm war<lb/>
wie der Herr Kurfürst von Trier! Nur mühsam kam die arme Kätha die steilen<lb/>
Steinstufen des Turmes hinunter, und dann warf sie die Wäsche der Fremden<lb/>
mit Abscheu in einen Zuber, goß kochendes Wasser darüber und schwenkte einen<lb/>
Palmzweig, den sie vom Osterfest noch hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_549"> Sie war so erregt, daß sie den Junker Wiltberg nicht bemerkte, der schon<lb/>
eine Weile in der Tür stand und ihren Namen rief.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_550"> &#x201E;Kätha, auch heute bist du nicht bei mir gewesen und hast mir kein Essen<lb/>
gebracht! Was bedeutet dies?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_551"> Sie trat aus dem Dampf heraus und wischte sich das Gesicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_552"> &#x201E;Es ist mir leid, Junker, und wenn Ihr mir Geld gebt zum Einkauf,<lb/>
soll es nit wieder vorkommen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_553"> &#x201E;Ich hab kein Geld!" entgegnete Sebastian. &#x201E;Du hast mir auch sonst<lb/>
beigestanden, ohne nach dem Mammon zu fragen. Einmal wird die Zeit<lb/>
kommen, da ich alle meine Schulden werde bezahlen können, und bis dahin leihst<lb/>
du dem Gottvater!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_554"> Kätha wischte sich die Augen. &#x201E;Schon gut, Junker, ich werde Euch morgen<lb/>
bringen, was ich schaffen kann. Viel ist es nit, und die Unselige im Turm:<lb/>
darf doch auch nit verhungern, ehe sie brennt. Heilige Jungfrau, gottelästerlich<lb/>
hat sie gesprochen! Ich mag es kaum wiederholen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_555"> Sebastian trat näher und vergaß seinen Hunger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_556"> &#x201E;Was hat sie gesagt? Kann ich sie nicht besuchen und ihr eine christliche<lb/>
Unterweisung geben?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_557"> &#x201E;Vielleicht könnt Ihr es! Ich glaub aber, sie ist von Sinnen! Vom<lb/>
Abt in Laach hat sie geredet, und wollt eine Botschaft schicken zum heiligen<lb/>
Herrn Abt! Ich glaub, sie muß in Ketten gelegt werden!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_558"> &#x201E;Laßt mich zu ihr, daß ich mit ihr rede!" rief Sebastian eifrig. &#x201E;Welch<lb/>
Frevel sitzt in ihrer Seele!"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0135] Die Hexe von Mayen „Dem hochheiligen Abt? Maria und Joseph! Mit dem darf kein Mensch reden, so heilig ist er! Und dann wollt Ihr, die Ihr —" Kätha suchte nach Worten, während Heilwig wieder im Gefängnis hin und her lief. „Herr Placidus Kessenich! Mein Herr Vater hat ost von ihm geredet. Seine Hilfe wird er mir nicht versagen, wenn er weiß, daß ich in Not bin! Du mußt nur eine Botschaft ins Kloster tragen!" Aber Kätha bekreuzigte sich. „Kein Weib darf ins heilige Kloster! Ich darf auch nit fort aus der Stadt, und dann weiß ich auch nit, ob Ihr die Wahrheit redet! Der Böse kann arge Dinge schaffen! Heilige Mutter Gottes, bitt für mich!" Kätha war so aufgeregt, daß sie unter Gebet das Turmgemach verließ und nicht darauf achtete, daß die Gefangene hinter ihr herrief. Sie war vom Teufel besessen, das war ganz gewiß! Wie konnte sie sich unterfangen, vom Herrn Abt zu reden? Von dem hohen Herrn, der vielleicht ein oder das andere Mal in Manen an einem Festtage die Messe hielt, aber fast so vornehm war wie der Herr Kurfürst von Trier! Nur mühsam kam die arme Kätha die steilen Steinstufen des Turmes hinunter, und dann warf sie die Wäsche der Fremden mit Abscheu in einen Zuber, goß kochendes Wasser darüber und schwenkte einen Palmzweig, den sie vom Osterfest noch hatte. Sie war so erregt, daß sie den Junker Wiltberg nicht bemerkte, der schon eine Weile in der Tür stand und ihren Namen rief. „Kätha, auch heute bist du nicht bei mir gewesen und hast mir kein Essen gebracht! Was bedeutet dies?" Sie trat aus dem Dampf heraus und wischte sich das Gesicht. „Es ist mir leid, Junker, und wenn Ihr mir Geld gebt zum Einkauf, soll es nit wieder vorkommen!" „Ich hab kein Geld!" entgegnete Sebastian. „Du hast mir auch sonst beigestanden, ohne nach dem Mammon zu fragen. Einmal wird die Zeit kommen, da ich alle meine Schulden werde bezahlen können, und bis dahin leihst du dem Gottvater!" Kätha wischte sich die Augen. „Schon gut, Junker, ich werde Euch morgen bringen, was ich schaffen kann. Viel ist es nit, und die Unselige im Turm: darf doch auch nit verhungern, ehe sie brennt. Heilige Jungfrau, gottelästerlich hat sie gesprochen! Ich mag es kaum wiederholen!" Sebastian trat näher und vergaß seinen Hunger. „Was hat sie gesagt? Kann ich sie nicht besuchen und ihr eine christliche Unterweisung geben?" „Vielleicht könnt Ihr es! Ich glaub aber, sie ist von Sinnen! Vom Abt in Laach hat sie geredet, und wollt eine Botschaft schicken zum heiligen Herrn Abt! Ich glaub, sie muß in Ketten gelegt werden!" „Laßt mich zu ihr, daß ich mit ihr rede!" rief Sebastian eifrig. „Welch Frevel sitzt in ihrer Seele!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/135
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/135>, abgerufen am 01.01.2025.