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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Ach, es war gut gewesen in der weiten Welt! Aber nun -- Heilwig
legte die Hände zusammen und vergaß die begehrlichen Augen, die sie
betrachteten.

"Wo liegt das Kloster Laach?" fragte sie aus ihren Gedanken heraus, und
der Schreiber sah sie betroffen an.

"Was wolltet Ihr mit dem heiligen Kloster? Das ist nichts für Euch, die
Ihr Euch selbst eine Ketzerin nennt!"

"Antwortet auf meine Frage!"

Heilwigs Stimme klang halb bittend, aber Wendemut besann sich darauf,
daß er das Oberhaupt der Stadt Manen vertrat.

"Ihr benehmet Euch unziemlich!" sagte er feierlich. "Morgen werde ich
wiederkommen und hoffe, daß Ihr mir ein Geständnis ablegen werdet!"

Er ging, und Jupp, der draußen halb schläfrig mit seinem rostigen Schlüssel
gewartet hatte, schloß umständlich die Tür des dunklen Turmgemaches.

Heilwig war allein. Erregt stand sie auf und lief auf den brüchigen Stein¬
fliesen herum. Ihr Abenteuer hatte sie in den letzten Tagen so in Anspruch
genommen, daß sie eigentlich kaum zur Besinnung gekommen war. Es ist leine
Kleinigkeit für ein adliges Fräulein, das niemals allein und unbehütet gereist
ist, im fremden Land auf der Straße zu wandern, in einem Land, das eine
andere Sprache spricht, das eine andere Religion hat.

Sie sagten, daß sie deutsch sprächen und Christen wären. War das aber
deutsch, was die Menschen in den kleinen schmutzigen Dörfern sprachen, und
waren das Christen, die von Heilwig verlangten, daß sie vor einem plumpen
Heiligenbild die Knie beugen und den Rosenkranz beten sollte? Denn das
wurde von ihr verlangt, und als sie sich weigerte, stürzte" die Weiber von
Kottenheim auf sie, schalten sie eine Hexe und der Vogt wollte sie in Gewahr¬
sam nehmen. Bis gerade der Büttel von der nächsten Stadt des Weges
kam und sein Recht heischte. Denn ein simpler Dorfvogt darf nicht Recht
sprechen, noch Gericht halten: das muß die Stadt tun, in deren Bannkreis
er wohnt.

Unruhig ging Heilwig noch hin und her, in trübe Gedanke versunken, als
die Tür leise offen ging. Kätha schlüpfte herein. Sie trug ein Bündel mit
Kleidern und einen Napf mit dampfender Milch.

Heilwig hatte sie um andere Kleider gebeten und ihr zur Belohnung eine
kleine Kette versprochen, die sie um den Hals trug, und wenn das ältere Mädchen
auch nicht viel wußte von Gotteswerk, so schien ihr doch das Kettlein in die Augen
und besonders der rote Stein daran. Aber es war nicht allein die Gewinn¬
sucht: das fremde trotzige Mädchen gefiel ihr. Sie kannte wohl Dirnen, die
in den Turm kamen, weil sie verschiedener Missetaten beschuldigt waren; diese
aber war ganz anders. Weinte und schrie nicht, sah ihr gerade in die Augen
und schien nicht einmal Furcht zu empfinden. Keine Furcht, wenn man als
Hexe wahrscheinlich verbrannt werden sollte!


Die Hexe von Mayen

Ach, es war gut gewesen in der weiten Welt! Aber nun — Heilwig
legte die Hände zusammen und vergaß die begehrlichen Augen, die sie
betrachteten.

„Wo liegt das Kloster Laach?" fragte sie aus ihren Gedanken heraus, und
der Schreiber sah sie betroffen an.

„Was wolltet Ihr mit dem heiligen Kloster? Das ist nichts für Euch, die
Ihr Euch selbst eine Ketzerin nennt!"

„Antwortet auf meine Frage!"

Heilwigs Stimme klang halb bittend, aber Wendemut besann sich darauf,
daß er das Oberhaupt der Stadt Manen vertrat.

„Ihr benehmet Euch unziemlich!" sagte er feierlich. „Morgen werde ich
wiederkommen und hoffe, daß Ihr mir ein Geständnis ablegen werdet!"

Er ging, und Jupp, der draußen halb schläfrig mit seinem rostigen Schlüssel
gewartet hatte, schloß umständlich die Tür des dunklen Turmgemaches.

Heilwig war allein. Erregt stand sie auf und lief auf den brüchigen Stein¬
fliesen herum. Ihr Abenteuer hatte sie in den letzten Tagen so in Anspruch
genommen, daß sie eigentlich kaum zur Besinnung gekommen war. Es ist leine
Kleinigkeit für ein adliges Fräulein, das niemals allein und unbehütet gereist
ist, im fremden Land auf der Straße zu wandern, in einem Land, das eine
andere Sprache spricht, das eine andere Religion hat.

Sie sagten, daß sie deutsch sprächen und Christen wären. War das aber
deutsch, was die Menschen in den kleinen schmutzigen Dörfern sprachen, und
waren das Christen, die von Heilwig verlangten, daß sie vor einem plumpen
Heiligenbild die Knie beugen und den Rosenkranz beten sollte? Denn das
wurde von ihr verlangt, und als sie sich weigerte, stürzte« die Weiber von
Kottenheim auf sie, schalten sie eine Hexe und der Vogt wollte sie in Gewahr¬
sam nehmen. Bis gerade der Büttel von der nächsten Stadt des Weges
kam und sein Recht heischte. Denn ein simpler Dorfvogt darf nicht Recht
sprechen, noch Gericht halten: das muß die Stadt tun, in deren Bannkreis
er wohnt.

Unruhig ging Heilwig noch hin und her, in trübe Gedanke versunken, als
die Tür leise offen ging. Kätha schlüpfte herein. Sie trug ein Bündel mit
Kleidern und einen Napf mit dampfender Milch.

Heilwig hatte sie um andere Kleider gebeten und ihr zur Belohnung eine
kleine Kette versprochen, die sie um den Hals trug, und wenn das ältere Mädchen
auch nicht viel wußte von Gotteswerk, so schien ihr doch das Kettlein in die Augen
und besonders der rote Stein daran. Aber es war nicht allein die Gewinn¬
sucht: das fremde trotzige Mädchen gefiel ihr. Sie kannte wohl Dirnen, die
in den Turm kamen, weil sie verschiedener Missetaten beschuldigt waren; diese
aber war ganz anders. Weinte und schrie nicht, sah ihr gerade in die Augen
und schien nicht einmal Furcht zu empfinden. Keine Furcht, wenn man als
Hexe wahrscheinlich verbrannt werden sollte!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/133>, abgerufen am 01.01.2025.