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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Raym

nicht und gaben mir auch nichts. Sie warfen mich mit Steinen und schalten
mich eine Ketzerin."

Herr Wendemut, der bis dahin schweigend zugehört hatte, machte eine
Handbewegung.

"So seid Ihr keine gläubige katholische Christin?"

"Ich bin lutherisch!"

Die Antwort klang kurz und stolz, und Herr Wendemut öffnete seine
Augen, so weit er es vermochte. Eine Lutherische hatte er seines Wissens noch
niemals gesehen und sie sich immer ziemlich greulich vorgestellt.

"So seid Ihr also keine Hexe, wenigstens Ihr gesteht es nicht ein?" fragte
er, und Heilung Sehestede lachte zornig.

"Lieber Herr, Ihr fraget sonderbar! Versorget mich lieber mit einigen
Laubtalern, damit ich mir ein neues Kleid kaufen kann, und laßt mich aus
diesem schmutzigen Loch. Der Schließer und seine Tochter sind zwar keine
üblen Leute, und die Magd hat mir heute das erste warme Essen gebracht,
das ich seit Tagen erhielt, aber mit dieser Art von Leuten liebe ich doch
nicht immer umzugehen. Vielleicht könnt Ihr mir ein adliges Quartier
anweisen, bis ich meinen Herrn Vater benachrichtigt habe, daß er mich
auslöst."

"Wenn Euer Herr Vater bei den Franzosen ist, wird er Euch nicht aus¬
lösen können!" erwiderte der Schreiber.

Ein Sonnenstrahl fiel gerade durch die blinde Scheibe des Turmes und
auf Heilwigs Gesicht und blonde Haare. Der Zug des Trotzes verließ sie einen
Augenblick und machte einem sinnenden Ausdruck Platz. Dadurch kam etwas
Liebliches in ihre Züge und LambertMendemut empfand diese Lieblichkeit durch
ein plötzliches Herzklopfen. Aber er nahm sich zusammen, und seine Stimme
blieb trocken und strenge.

"Seht Ihr, nun wißt Ihr schon nicht weiter! Mag sein, daß Euer Vater
irgendein Rat ist und daß die Franzosen ihn aufgefangen haben: helfen kann
er Euch aber nicht, und was Ihr von mir verlangt, ist aberwitzig. Ihr seid
eine Gefährliche! Wer weiß, vielleicht doch eine Hrxe, die Unheil stiften will!
Ihr müßt in scharfer Haft bleiben!"

Er hatte sich in Eifer geredet, während Heilwig ihn aufmerksam und ein
wenig verächtlich betrachtete. Der Mann gefiel ihr nicht: gerade, wie ihr ihr
Abenteuer gleichfalls nicht gefiel. Aber hatte ihr Vater sie damals, als sie ihn
bat, sie mitzunehmen, nicht gewarnt, daß häßliche Abenteuer kommen konnten?
Besser war es, auf dem behaglichen schleswigschen Gut Sehestede zu bleiben,
als hinauszufahren in die weite Welt, wo es Kriege gab und wilde, böse
Menschen. Weshalb aber war man jung und sehnte sich nach etwas anderem,
als den weiten, grünen Wiesen, dem Brüllen der Kühe, dem Tanz auf dem
Kieler Umschlag mit den wilden Junkern, die nur von Händeln sprachen und
wieviele Leibeigene sie hatten!


Die Hexe von Raym

nicht und gaben mir auch nichts. Sie warfen mich mit Steinen und schalten
mich eine Ketzerin."

Herr Wendemut, der bis dahin schweigend zugehört hatte, machte eine
Handbewegung.

„So seid Ihr keine gläubige katholische Christin?"

„Ich bin lutherisch!"

Die Antwort klang kurz und stolz, und Herr Wendemut öffnete seine
Augen, so weit er es vermochte. Eine Lutherische hatte er seines Wissens noch
niemals gesehen und sie sich immer ziemlich greulich vorgestellt.

„So seid Ihr also keine Hexe, wenigstens Ihr gesteht es nicht ein?" fragte
er, und Heilung Sehestede lachte zornig.

„Lieber Herr, Ihr fraget sonderbar! Versorget mich lieber mit einigen
Laubtalern, damit ich mir ein neues Kleid kaufen kann, und laßt mich aus
diesem schmutzigen Loch. Der Schließer und seine Tochter sind zwar keine
üblen Leute, und die Magd hat mir heute das erste warme Essen gebracht,
das ich seit Tagen erhielt, aber mit dieser Art von Leuten liebe ich doch
nicht immer umzugehen. Vielleicht könnt Ihr mir ein adliges Quartier
anweisen, bis ich meinen Herrn Vater benachrichtigt habe, daß er mich
auslöst."

„Wenn Euer Herr Vater bei den Franzosen ist, wird er Euch nicht aus¬
lösen können!" erwiderte der Schreiber.

Ein Sonnenstrahl fiel gerade durch die blinde Scheibe des Turmes und
auf Heilwigs Gesicht und blonde Haare. Der Zug des Trotzes verließ sie einen
Augenblick und machte einem sinnenden Ausdruck Platz. Dadurch kam etwas
Liebliches in ihre Züge und LambertMendemut empfand diese Lieblichkeit durch
ein plötzliches Herzklopfen. Aber er nahm sich zusammen, und seine Stimme
blieb trocken und strenge.

„Seht Ihr, nun wißt Ihr schon nicht weiter! Mag sein, daß Euer Vater
irgendein Rat ist und daß die Franzosen ihn aufgefangen haben: helfen kann
er Euch aber nicht, und was Ihr von mir verlangt, ist aberwitzig. Ihr seid
eine Gefährliche! Wer weiß, vielleicht doch eine Hrxe, die Unheil stiften will!
Ihr müßt in scharfer Haft bleiben!"

Er hatte sich in Eifer geredet, während Heilwig ihn aufmerksam und ein
wenig verächtlich betrachtete. Der Mann gefiel ihr nicht: gerade, wie ihr ihr
Abenteuer gleichfalls nicht gefiel. Aber hatte ihr Vater sie damals, als sie ihn
bat, sie mitzunehmen, nicht gewarnt, daß häßliche Abenteuer kommen konnten?
Besser war es, auf dem behaglichen schleswigschen Gut Sehestede zu bleiben,
als hinauszufahren in die weite Welt, wo es Kriege gab und wilde, böse
Menschen. Weshalb aber war man jung und sehnte sich nach etwas anderem,
als den weiten, grünen Wiesen, dem Brüllen der Kühe, dem Tanz auf dem
Kieler Umschlag mit den wilden Junkern, die nur von Händeln sprachen und
wieviele Leibeigene sie hatten!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/132>, abgerufen am 01.01.2025.