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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

aber sie war auch nicht häßlich, und wenn ihr grünes Tuchkleid weniger ver¬
tragen gewesen wäre, und ihre Schuhe noch heil, so würde sie noch stattlicher
gewesen sein.

Aber der Schreiber liebte den gewaltigen Ton mehr als den milden.

"Du redest unartig!" sagte er. "Als Gefangene bist du hier eingebracht
und der Hexerei bezichtigt. Lege ein Geständnis ab: das ist besser, als sich ans
Lügen zu versteifen!"

"Ich habe nichts zu gestehen!" lautete die ruhige Antwort, "und vom
Hexen weiß ich wohl weniger als Ihr. Wenigstens würde ich mich hüten,
einem unbescholtenen adligen Menschen eine solche Beschuldigung ins Gesicht zu
werfen!"

"Was redetst du vom Adel?" Wendemut spitzte die Ohren.

"Weil ich eine adlige Jungfrau bin, Heilwig von Sehestede heiße und
verlangen kann, daß Ihr mich meinem Stande gemäß behandelt!"

Die Jungfrau sprach sehr kurz und der Schreiber war betroffen. Aber er
feste sich mit Würde.

"Womit wollt Ihr Eure Behauptung beweisen?"

"Ich habe keine Beweise! Ihr müßt mir schon glauben."

"Gute Dirne!" Wendemut lächelte mitleidig. "Du hältst mich für leicht¬
gläubig. Ich kenne keinen Adligen dieses Namens, und wer sich einen falschen
Namen beilegt, der kann gestäupt und an den Pranger gestellt werden!"

"Ihr seid töricht!" Mit blitzenden Augen war das Mädchen aufgesprungen.
"Wagt es, mich noch weiter anzureden, als wäre ich eine Dirne von der Land¬
straße! Mein Vater, der königlich dänische Staatsrat von Sehestede wird mich
schon zu finden wissen und Euch auch! Und denn sollt Ihr dem Pranger nicht
entgehen!"

Sie sprach mit fliegendem Atem und mit einem solchen Zorn, daß der
Schreiber aufstand. Er war eine feige Seele, und wer ihm fest entgegentrat,
vor dem beugte er sich.

"Ich weiß nichts von einem königlich dänischen Staatsrat," begann er.

"Es gibt wohl vieles in der Welt, von dem Ihr nichts wißt!" lautete
die Antwort. "Aber mein Vater bekleidet dieses Amt und ist von seinem
Herrn an den Hof im Haag gesandt worden, um dort wichtige Verhandlungen
zu pflegen. Mich nahm er mit. Auf der Rückreise sind wir in der Nähe von
Köln überfallen worden: es waren wohl Franzosen, die einen Streifzug machten.
Mich riß einer aufs Pferd und jagte mit mir davon. Aber er war betrunken
und konnte sein Pferd nicht meistern, noch weniger mich. Da konnte ich vom
Tier gleiten und mich im Wald verbergen. Dann bin ich einige Tage ge¬
wandert, meistens bei Nacht, weil ich den Feinden nicht wieder in die Hände
fallen wollte. Endlich bat ich in einem Dorfe um ein Stück Brod: denn ich
war müde und matt geworden. Aber die Leute verstanden meine Sprache


Die Hexe von Mayen

aber sie war auch nicht häßlich, und wenn ihr grünes Tuchkleid weniger ver¬
tragen gewesen wäre, und ihre Schuhe noch heil, so würde sie noch stattlicher
gewesen sein.

Aber der Schreiber liebte den gewaltigen Ton mehr als den milden.

„Du redest unartig!" sagte er. „Als Gefangene bist du hier eingebracht
und der Hexerei bezichtigt. Lege ein Geständnis ab: das ist besser, als sich ans
Lügen zu versteifen!"

„Ich habe nichts zu gestehen!" lautete die ruhige Antwort, „und vom
Hexen weiß ich wohl weniger als Ihr. Wenigstens würde ich mich hüten,
einem unbescholtenen adligen Menschen eine solche Beschuldigung ins Gesicht zu
werfen!"

„Was redetst du vom Adel?" Wendemut spitzte die Ohren.

„Weil ich eine adlige Jungfrau bin, Heilwig von Sehestede heiße und
verlangen kann, daß Ihr mich meinem Stande gemäß behandelt!"

Die Jungfrau sprach sehr kurz und der Schreiber war betroffen. Aber er
feste sich mit Würde.

„Womit wollt Ihr Eure Behauptung beweisen?"

„Ich habe keine Beweise! Ihr müßt mir schon glauben."

„Gute Dirne!" Wendemut lächelte mitleidig. „Du hältst mich für leicht¬
gläubig. Ich kenne keinen Adligen dieses Namens, und wer sich einen falschen
Namen beilegt, der kann gestäupt und an den Pranger gestellt werden!"

„Ihr seid töricht!" Mit blitzenden Augen war das Mädchen aufgesprungen.
„Wagt es, mich noch weiter anzureden, als wäre ich eine Dirne von der Land¬
straße! Mein Vater, der königlich dänische Staatsrat von Sehestede wird mich
schon zu finden wissen und Euch auch! Und denn sollt Ihr dem Pranger nicht
entgehen!"

Sie sprach mit fliegendem Atem und mit einem solchen Zorn, daß der
Schreiber aufstand. Er war eine feige Seele, und wer ihm fest entgegentrat,
vor dem beugte er sich.

„Ich weiß nichts von einem königlich dänischen Staatsrat," begann er.

„Es gibt wohl vieles in der Welt, von dem Ihr nichts wißt!" lautete
die Antwort. „Aber mein Vater bekleidet dieses Amt und ist von seinem
Herrn an den Hof im Haag gesandt worden, um dort wichtige Verhandlungen
zu pflegen. Mich nahm er mit. Auf der Rückreise sind wir in der Nähe von
Köln überfallen worden: es waren wohl Franzosen, die einen Streifzug machten.
Mich riß einer aufs Pferd und jagte mit mir davon. Aber er war betrunken
und konnte sein Pferd nicht meistern, noch weniger mich. Da konnte ich vom
Tier gleiten und mich im Wald verbergen. Dann bin ich einige Tage ge¬
wandert, meistens bei Nacht, weil ich den Feinden nicht wieder in die Hände
fallen wollte. Endlich bat ich in einem Dorfe um ein Stück Brod: denn ich
war müde und matt geworden. Aber die Leute verstanden meine Sprache


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[0131] Die Hexe von Mayen aber sie war auch nicht häßlich, und wenn ihr grünes Tuchkleid weniger ver¬ tragen gewesen wäre, und ihre Schuhe noch heil, so würde sie noch stattlicher gewesen sein. Aber der Schreiber liebte den gewaltigen Ton mehr als den milden. „Du redest unartig!" sagte er. „Als Gefangene bist du hier eingebracht und der Hexerei bezichtigt. Lege ein Geständnis ab: das ist besser, als sich ans Lügen zu versteifen!" „Ich habe nichts zu gestehen!" lautete die ruhige Antwort, „und vom Hexen weiß ich wohl weniger als Ihr. Wenigstens würde ich mich hüten, einem unbescholtenen adligen Menschen eine solche Beschuldigung ins Gesicht zu werfen!" „Was redetst du vom Adel?" Wendemut spitzte die Ohren. „Weil ich eine adlige Jungfrau bin, Heilwig von Sehestede heiße und verlangen kann, daß Ihr mich meinem Stande gemäß behandelt!" Die Jungfrau sprach sehr kurz und der Schreiber war betroffen. Aber er feste sich mit Würde. „Womit wollt Ihr Eure Behauptung beweisen?" „Ich habe keine Beweise! Ihr müßt mir schon glauben." „Gute Dirne!" Wendemut lächelte mitleidig. „Du hältst mich für leicht¬ gläubig. Ich kenne keinen Adligen dieses Namens, und wer sich einen falschen Namen beilegt, der kann gestäupt und an den Pranger gestellt werden!" „Ihr seid töricht!" Mit blitzenden Augen war das Mädchen aufgesprungen. „Wagt es, mich noch weiter anzureden, als wäre ich eine Dirne von der Land¬ straße! Mein Vater, der königlich dänische Staatsrat von Sehestede wird mich schon zu finden wissen und Euch auch! Und denn sollt Ihr dem Pranger nicht entgehen!" Sie sprach mit fliegendem Atem und mit einem solchen Zorn, daß der Schreiber aufstand. Er war eine feige Seele, und wer ihm fest entgegentrat, vor dem beugte er sich. „Ich weiß nichts von einem königlich dänischen Staatsrat," begann er. „Es gibt wohl vieles in der Welt, von dem Ihr nichts wißt!" lautete die Antwort. „Aber mein Vater bekleidet dieses Amt und ist von seinem Herrn an den Hof im Haag gesandt worden, um dort wichtige Verhandlungen zu pflegen. Mich nahm er mit. Auf der Rückreise sind wir in der Nähe von Köln überfallen worden: es waren wohl Franzosen, die einen Streifzug machten. Mich riß einer aufs Pferd und jagte mit mir davon. Aber er war betrunken und konnte sein Pferd nicht meistern, noch weniger mich. Da konnte ich vom Tier gleiten und mich im Wald verbergen. Dann bin ich einige Tage ge¬ wandert, meistens bei Nacht, weil ich den Feinden nicht wieder in die Hände fallen wollte. Endlich bat ich in einem Dorfe um ein Stück Brod: denn ich war müde und matt geworden. Aber die Leute verstanden meine Sprache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/131>, abgerufen am 29.12.2024.