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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Wahrheit und Schönheit in der Aunst

gestaltung der Wirklichkeit zum Zwecke der vertieften ästhetischen Wirkung.
Schon die Verwendung des Verses ist eine solche Stilisierung. Daß die Per¬
sonen des "Wallenstein" oder des "Tasso" in wohlgesetzten Jamben, nicht in
lüderlicher Prosa reden, ist durchaus antirealistisch. Und auch in der Gestaltung
der Handlung und Charaktere merken wir überall die auswählende Hand des
Dichters, der kunstfremde Nebensächlichkeiten ausmerzt, um die Hauptsache stärker
hervortreten zu lassen. Wir sehen also, in dieser Kunstart begegnen sich
Realistik und Antirealistik. Wir haben bereits oben gezeigt, daß die theoretische
Forderung, daß diese Stilisierung auf die Wahrheit und die platonische Idee
zu gehen habe, falsch ist und in Wirklichkeit nie erfüllt worden ist. Gemeinsam
ist der Stilisierung und dem logischen Idealismus nur ein Herausarbeiten des
Wesentlichen, aber die guten Künstler haben stets das ästhetisch, nicht das logisch
Wesentliche herausgearbeitet, und diese beiden sind keineswegs identisch.

Man könnte nun meinen, in dieser Kunstart des stilvollen Realismus, der
einerseits in gewisser Weise Wirklichkeit, aber doch auch wieder gestaltete und
aus ästhetischen Gründen stilisierte Wirklichkeit gäbe, müsse sich eine endgültige
Lösung finden lassen, da diese Kunst sowohl den antirealistischen wie den
realistischen Tendenzen entgegenkommt, und in der Tat lassen sich die am
höchsten gewerteten Kunstwerke aller Zeiten, von den hellenischen Dichtern und
Malern über die Kunst der Renaissance hin bis zum deutschen Klassizismus,
unter diese Rubrik unterbringen.

Trotzdem aber ergeht es dieser Vermittlung zwischen zwei Extremen, wie
es stets solchen Vermittlungen ergeht: sie werden abgelehnt von den Radikalen
beider Parteien. Nicht nur daß die extremen Realisten den stilisierten Rea¬
lismus als unwahr und verlogen brandmarken, auch diejenigen, die den völlig
realitätsfremden Charakter der Kunst betonen, halten den stilisierten Realismus
für ein Kompromiß. Sie erklären,. jede Rücksichtnahme auf die Wirklichkeit
müsse aufhören, nur die rein ästhetischen Elemente müßten beachtet werden, das
heißt diejenigen, die aus der Stimmung des Künstlers entsprängen und Stimmung
im Genießenden wirkten; eine Rücksichtnahme auf irgendeine Realität käme
nicht in Betracht. Wir haben solche Anschauungen in neuester Zeit, bis ius
Groteske gehend in ihrer Formulierung, besonders von den sogenannten
Expressionisten vortragen hören, und ihre Bilder sind denn auch oft genug zum
Spott des Publikums geworden. Aber auch von ganz großen Künstlern früherer
Zeiten sind solche Ideen geäußert worden, von Hebbel z. B., daß alles Ge¬
schehen in der Kunst nur symbolischen Sinn habe, keinen Wert an sich. Nur
weil es ein Gleichnis für ein tieferes seelisches Geschehen, ein Ausdruck von
Stimmungen und Gefühlen ist, nur darum habe es Berechtigung. Imi Sym¬
bolismus sind diese Gedanken neu variiert worden. Es ist offenbar, daß diesen
Künstlern die Farben und Worte nicht mehr den gewöhnlichen Wert haben,
nicht Darstellungswert, sondern nur noch Ausdruckswert, und man muß daher auf
alle Realistik vor solchen Bildern verzichten. Das Ideal dieser Kunst ist die Musik,


Wahrheit und Schönheit in der Aunst

gestaltung der Wirklichkeit zum Zwecke der vertieften ästhetischen Wirkung.
Schon die Verwendung des Verses ist eine solche Stilisierung. Daß die Per¬
sonen des „Wallenstein" oder des „Tasso" in wohlgesetzten Jamben, nicht in
lüderlicher Prosa reden, ist durchaus antirealistisch. Und auch in der Gestaltung
der Handlung und Charaktere merken wir überall die auswählende Hand des
Dichters, der kunstfremde Nebensächlichkeiten ausmerzt, um die Hauptsache stärker
hervortreten zu lassen. Wir sehen also, in dieser Kunstart begegnen sich
Realistik und Antirealistik. Wir haben bereits oben gezeigt, daß die theoretische
Forderung, daß diese Stilisierung auf die Wahrheit und die platonische Idee
zu gehen habe, falsch ist und in Wirklichkeit nie erfüllt worden ist. Gemeinsam
ist der Stilisierung und dem logischen Idealismus nur ein Herausarbeiten des
Wesentlichen, aber die guten Künstler haben stets das ästhetisch, nicht das logisch
Wesentliche herausgearbeitet, und diese beiden sind keineswegs identisch.

Man könnte nun meinen, in dieser Kunstart des stilvollen Realismus, der
einerseits in gewisser Weise Wirklichkeit, aber doch auch wieder gestaltete und
aus ästhetischen Gründen stilisierte Wirklichkeit gäbe, müsse sich eine endgültige
Lösung finden lassen, da diese Kunst sowohl den antirealistischen wie den
realistischen Tendenzen entgegenkommt, und in der Tat lassen sich die am
höchsten gewerteten Kunstwerke aller Zeiten, von den hellenischen Dichtern und
Malern über die Kunst der Renaissance hin bis zum deutschen Klassizismus,
unter diese Rubrik unterbringen.

Trotzdem aber ergeht es dieser Vermittlung zwischen zwei Extremen, wie
es stets solchen Vermittlungen ergeht: sie werden abgelehnt von den Radikalen
beider Parteien. Nicht nur daß die extremen Realisten den stilisierten Rea¬
lismus als unwahr und verlogen brandmarken, auch diejenigen, die den völlig
realitätsfremden Charakter der Kunst betonen, halten den stilisierten Realismus
für ein Kompromiß. Sie erklären,. jede Rücksichtnahme auf die Wirklichkeit
müsse aufhören, nur die rein ästhetischen Elemente müßten beachtet werden, das
heißt diejenigen, die aus der Stimmung des Künstlers entsprängen und Stimmung
im Genießenden wirkten; eine Rücksichtnahme auf irgendeine Realität käme
nicht in Betracht. Wir haben solche Anschauungen in neuester Zeit, bis ius
Groteske gehend in ihrer Formulierung, besonders von den sogenannten
Expressionisten vortragen hören, und ihre Bilder sind denn auch oft genug zum
Spott des Publikums geworden. Aber auch von ganz großen Künstlern früherer
Zeiten sind solche Ideen geäußert worden, von Hebbel z. B., daß alles Ge¬
schehen in der Kunst nur symbolischen Sinn habe, keinen Wert an sich. Nur
weil es ein Gleichnis für ein tieferes seelisches Geschehen, ein Ausdruck von
Stimmungen und Gefühlen ist, nur darum habe es Berechtigung. Imi Sym¬
bolismus sind diese Gedanken neu variiert worden. Es ist offenbar, daß diesen
Künstlern die Farben und Worte nicht mehr den gewöhnlichen Wert haben,
nicht Darstellungswert, sondern nur noch Ausdruckswert, und man muß daher auf
alle Realistik vor solchen Bildern verzichten. Das Ideal dieser Kunst ist die Musik,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/122>, abgerufen am 01.01.2025.