Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Wahrheit und Schönheit in der Annst nicht jene Freiheit des Geistes, um der Idealität des Kunstwerkes gegenüber auf Interessant ist es nun, die Wahrheitsforderung des Idealismus psychologisch So führt der Idealismus, obwohl er sich noch nicht freigemacht hat vom Wahrheit und Schönheit in der Annst nicht jene Freiheit des Geistes, um der Idealität des Kunstwerkes gegenüber auf Interessant ist es nun, die Wahrheitsforderung des Idealismus psychologisch So führt der Idealismus, obwohl er sich noch nicht freigemacht hat vom <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327586"/> <fw type="header" place="top"> Wahrheit und Schönheit in der Annst</fw><lb/> <p xml:id="ID_435" prev="#ID_434"> nicht jene Freiheit des Geistes, um der Idealität des Kunstwerkes gegenüber auf<lb/> die gewohnten Denkformen zu verzichten; und wenn man auch über die Forde¬<lb/> rung der materialen Wahrheit hinauskommt, die Forderung der Wahrscheinlichkeit,<lb/> der Wahrheit der Möglichkeit nach bleibt doch, und zwar stärker noch der bil¬<lb/> denden Kunst als der Dichtung gegenüber. — Auch ethische Erwägunzen spielen<lb/> mit. Man erklärt, die Kunst solle dem Leben nicht entfremden, solle uns^nicht<lb/> in ein weltfremdes Traumleben stürzen und uns untüchtig für das praktische<lb/> Dasein machen. Aus solchen Erwägungen heraus schöpft gewöhnlich der Rea¬<lb/> lismus sein ethisches Pathos, mit dem er jede Phantasiekunst befehdet. Da die<lb/> „Wahrscheinlichkeit" für die meisten Menschen eine Vorbedingung für deu Kunst¬<lb/> genuß ist, so wird die Ästhetik damit rechnen müssen, wenn auch die höchsten<lb/> Gebiete der Künste solchen Menschen stets werden verschlossen bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_436"> Interessant ist es nun, die Wahrheitsforderung des Idealismus psychologisch<lb/> zu analysieren. Sie ist ein Kompromiß und versucht einerseits dem logischen<lb/> Wahrheitsbedürfnis gerecht zu bleiben und daneben doch auch jenen Forderungen<lb/> der Kunst zu genügen, die aus ästhetischen Gründen eine Umgestaltung der<lb/> Wirklichkeit heischen. Wir können es heute offen sagen: die Theorie des<lb/> Joealismus ist falsch, die Praxis der großen idealistischen Künstler hat aber trotz<lb/> ihrer Theorie große Werke geschaffen. Nicht darum sind Odyssee und Wallen¬<lb/> stein, sind Tizians Heilige oder Goethes Lyrika große Kunstwerke, weil sie<lb/> irgendwelche platonische Ideen verkörpern, sondern darum, weil sie das ästhetische<lb/> Gefühl am tiefsten erregen. Und in der Tat liegt ein Berührungspunkt vor<lb/> zwischen der Theorie des Idealismus und der ästhethischen Praxis aller stili¬<lb/> sierenden Kunst. Wie die Ideen die Verkörperung des „Wesentlichen" mit Aus¬<lb/> schaltung des Unwesentlichen und Zufälligen (--u,^-^/.-:-«) sind, so arbeiten auch<lb/> die großen Kunstwerke das Wesentliche und Typische heraus, allerdings nicht im<lb/> scholastisch-absoluten Sinn, sondern im Hinblick auf die künstlerische Wirkung.<lb/> Slilgebung ist Steigerung und Herausarbeitung des künstlerisch Wertvollen und<lb/> Wirksamen und Beiseitelassen des .künstlerisch Unwesentlichen. Dies hat zu jener<lb/> Verquickung mit logischen Theorien geführt, indem man das logisch Wesentliche<lb/> und das ästhetisch Wesentliche zusammenwarf. In Wirklichkeit ist es für ein<lb/> großes Kunstwerk gleichgültig, ob es das Wesen der Dinge im logischen Sinne<lb/> gibt; nur darauf kommt es an, daß es das Wesen der Dinge im ästhetischen<lb/> Sinne herausarbeitet. Und das haben Phidias und der Dichter Schiller getan<lb/> wie alle großen Künstler, wenn ihre Werke auch weit davon entfernt sind, „pla¬<lb/> tonische Ideen" zu verkörpern.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_437" next="#ID_438"> So führt der Idealismus, obwohl er sich noch nicht freigemacht hat vom<lb/> Glauben an die ästhetische Bedeutung der Wahrheit, dennoch bereits in seiner<lb/> Praxis hinüber zu jener anderen Anschauung, daß die Wahrheit in der Kunst<lb/> gleichgültig, ja schädlich sei. Denn die „Wahrheit" des Idealismus ist ja</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0120]
Wahrheit und Schönheit in der Annst
nicht jene Freiheit des Geistes, um der Idealität des Kunstwerkes gegenüber auf
die gewohnten Denkformen zu verzichten; und wenn man auch über die Forde¬
rung der materialen Wahrheit hinauskommt, die Forderung der Wahrscheinlichkeit,
der Wahrheit der Möglichkeit nach bleibt doch, und zwar stärker noch der bil¬
denden Kunst als der Dichtung gegenüber. — Auch ethische Erwägunzen spielen
mit. Man erklärt, die Kunst solle dem Leben nicht entfremden, solle uns^nicht
in ein weltfremdes Traumleben stürzen und uns untüchtig für das praktische
Dasein machen. Aus solchen Erwägungen heraus schöpft gewöhnlich der Rea¬
lismus sein ethisches Pathos, mit dem er jede Phantasiekunst befehdet. Da die
„Wahrscheinlichkeit" für die meisten Menschen eine Vorbedingung für deu Kunst¬
genuß ist, so wird die Ästhetik damit rechnen müssen, wenn auch die höchsten
Gebiete der Künste solchen Menschen stets werden verschlossen bleiben.
Interessant ist es nun, die Wahrheitsforderung des Idealismus psychologisch
zu analysieren. Sie ist ein Kompromiß und versucht einerseits dem logischen
Wahrheitsbedürfnis gerecht zu bleiben und daneben doch auch jenen Forderungen
der Kunst zu genügen, die aus ästhetischen Gründen eine Umgestaltung der
Wirklichkeit heischen. Wir können es heute offen sagen: die Theorie des
Joealismus ist falsch, die Praxis der großen idealistischen Künstler hat aber trotz
ihrer Theorie große Werke geschaffen. Nicht darum sind Odyssee und Wallen¬
stein, sind Tizians Heilige oder Goethes Lyrika große Kunstwerke, weil sie
irgendwelche platonische Ideen verkörpern, sondern darum, weil sie das ästhetische
Gefühl am tiefsten erregen. Und in der Tat liegt ein Berührungspunkt vor
zwischen der Theorie des Idealismus und der ästhethischen Praxis aller stili¬
sierenden Kunst. Wie die Ideen die Verkörperung des „Wesentlichen" mit Aus¬
schaltung des Unwesentlichen und Zufälligen (--u,^-^/.-:-«) sind, so arbeiten auch
die großen Kunstwerke das Wesentliche und Typische heraus, allerdings nicht im
scholastisch-absoluten Sinn, sondern im Hinblick auf die künstlerische Wirkung.
Slilgebung ist Steigerung und Herausarbeitung des künstlerisch Wertvollen und
Wirksamen und Beiseitelassen des .künstlerisch Unwesentlichen. Dies hat zu jener
Verquickung mit logischen Theorien geführt, indem man das logisch Wesentliche
und das ästhetisch Wesentliche zusammenwarf. In Wirklichkeit ist es für ein
großes Kunstwerk gleichgültig, ob es das Wesen der Dinge im logischen Sinne
gibt; nur darauf kommt es an, daß es das Wesen der Dinge im ästhetischen
Sinne herausarbeitet. Und das haben Phidias und der Dichter Schiller getan
wie alle großen Künstler, wenn ihre Werke auch weit davon entfernt sind, „pla¬
tonische Ideen" zu verkörpern.
So führt der Idealismus, obwohl er sich noch nicht freigemacht hat vom
Glauben an die ästhetische Bedeutung der Wahrheit, dennoch bereits in seiner
Praxis hinüber zu jener anderen Anschauung, daß die Wahrheit in der Kunst
gleichgültig, ja schädlich sei. Denn die „Wahrheit" des Idealismus ist ja
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