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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Rechtsfrage von Z^ern

dann das Militär noch haben, wenn, was niemand hoffen will, was aber doch
jedermann als möglich betrachten muß, ähnliche Dinge wie in Zabern sich einmal
wiederholen? Soll es dann rechtlos sein?

Nun haben auch die, die von der Kabinettsorder nichts wußten oder --
nach dem vorhin Gesagten zu Recht -- nichts wissen wollen, darauf hingewiesen,
daß das Militär ja doch immer ebenso wie jeder Privatmann die allgemeinen
Straf- und strafprozeßrechtlichen Notrechte habe, einerseits das Recht der straf¬
rechtlichen Notwehr, anderseits das jedermann zustehende Recht zur vorläufigen
Festnahme gemäß Se. P. O. F 127. Das ist selbstverständlich richtig, und diese
beiden Rechte sind auch geeignet, manche notwendigen Maßnahmen des Militärs
zu rechtfertigen. So konnte man in dem Prozeß gegen den Leutnant von
Forstner schon aus dem Gesichtspunkt der Notwehr, mindestens aber der fast
allseitig anerkannten Putativnotwehr zu einem Freispruch kommen. Und
bezüglich des Rechts der vorläufigen Festnahme hat ein Beamter des Berliner
Polizeipräsidiums, Dr. Lindenau, in der Juristenzeitung S. 1462 noch besonders
betont, "daß auch Übertretungen und leichte Vergehen als frische Tat im Sinne
des § 127 Se. P. O. die vorläufige Festnahme rechtfertigen können"; er schien
dabei etwa an den berüchtigten Paragraphen über den groben Unfug zu denken,
der wie sonst so oft auch hier als Retter in der Not angerufen werden könnte.
Aber können solche Versuche, das Verhalten des Militärs zu rechtfertigen, wirklich
befriedigen? Wäre es ein würdiges Schauspiel, wenn man wirklich nur durch
Heranziehung des groben Unfugsparagraphen Dinge rechtfertigen könnte, von
denen man das Gefühl hat, daß sie gerechtfertigt sein müssen? Mir will scheinen,
daß solche Deduktionen doch etwas gar zu Kleinliches und Spießbürgerliches
mären, zu sehr nach Advokatenkunststücklein aussehen würden, um dort am Platze
zu sein, wo so Großes zur Erörterung steht wie der Konflikt zwischen Militär¬
gewalt und Bürgerfreiheit. Aber auch von diesem mehr gefühlsmäßigen Moment
abgesehen und rein auf das praktische Ergebnis gesehen, wird man un¬
befriedigt sein müssen; denn genügen die allgemeinen Notrechte den Bedürfnissen
des Militärs? sind sie auf dessen Bedürfnisse oder nicht vielmehr einfach auf
die Bedürfnisse des Privatmannes zugeschnitten?

Und damit erkennen wir den Grundirrtum derer, die nur von diesen all¬
gemeinen Notrechten sprechen: Die einzelne Militärperson ist Privatmann und
als solcher mit denselben Rechten ausgestattet wie jeder andere Privatmann,
mit nicht weniger und mit nicht mehr, aber das Militär als solches, das Militär
in seiner Gesamtheit ist mehr als ein Privatmann, es ist ein Teil der Staats¬
verwaltung; der Staat aber und die Staatsverwaltung lebt nicht einfach
nach dem Recht des Privatmannes, sondern lebt nach einem eigenen Recht, dem
Verwaltungsrecht. Die Frage ist, ob es neben den für den Privatmann be¬
stimmten strafrechtlichen Notrechten nicht noch ein besonderes, auf die Bedürf¬
nisse der staatlichen Verwaltung zugeschnittenes verwaltungsrechtliches Notrecht
gibt. Diese Frage ist zu bejahen, wie noch zu zeigen sein wird.




Die Rechtsfrage von Z^ern

dann das Militär noch haben, wenn, was niemand hoffen will, was aber doch
jedermann als möglich betrachten muß, ähnliche Dinge wie in Zabern sich einmal
wiederholen? Soll es dann rechtlos sein?

Nun haben auch die, die von der Kabinettsorder nichts wußten oder —
nach dem vorhin Gesagten zu Recht — nichts wissen wollen, darauf hingewiesen,
daß das Militär ja doch immer ebenso wie jeder Privatmann die allgemeinen
Straf- und strafprozeßrechtlichen Notrechte habe, einerseits das Recht der straf¬
rechtlichen Notwehr, anderseits das jedermann zustehende Recht zur vorläufigen
Festnahme gemäß Se. P. O. F 127. Das ist selbstverständlich richtig, und diese
beiden Rechte sind auch geeignet, manche notwendigen Maßnahmen des Militärs
zu rechtfertigen. So konnte man in dem Prozeß gegen den Leutnant von
Forstner schon aus dem Gesichtspunkt der Notwehr, mindestens aber der fast
allseitig anerkannten Putativnotwehr zu einem Freispruch kommen. Und
bezüglich des Rechts der vorläufigen Festnahme hat ein Beamter des Berliner
Polizeipräsidiums, Dr. Lindenau, in der Juristenzeitung S. 1462 noch besonders
betont, „daß auch Übertretungen und leichte Vergehen als frische Tat im Sinne
des § 127 Se. P. O. die vorläufige Festnahme rechtfertigen können"; er schien
dabei etwa an den berüchtigten Paragraphen über den groben Unfug zu denken,
der wie sonst so oft auch hier als Retter in der Not angerufen werden könnte.
Aber können solche Versuche, das Verhalten des Militärs zu rechtfertigen, wirklich
befriedigen? Wäre es ein würdiges Schauspiel, wenn man wirklich nur durch
Heranziehung des groben Unfugsparagraphen Dinge rechtfertigen könnte, von
denen man das Gefühl hat, daß sie gerechtfertigt sein müssen? Mir will scheinen,
daß solche Deduktionen doch etwas gar zu Kleinliches und Spießbürgerliches
mären, zu sehr nach Advokatenkunststücklein aussehen würden, um dort am Platze
zu sein, wo so Großes zur Erörterung steht wie der Konflikt zwischen Militär¬
gewalt und Bürgerfreiheit. Aber auch von diesem mehr gefühlsmäßigen Moment
abgesehen und rein auf das praktische Ergebnis gesehen, wird man un¬
befriedigt sein müssen; denn genügen die allgemeinen Notrechte den Bedürfnissen
des Militärs? sind sie auf dessen Bedürfnisse oder nicht vielmehr einfach auf
die Bedürfnisse des Privatmannes zugeschnitten?

Und damit erkennen wir den Grundirrtum derer, die nur von diesen all¬
gemeinen Notrechten sprechen: Die einzelne Militärperson ist Privatmann und
als solcher mit denselben Rechten ausgestattet wie jeder andere Privatmann,
mit nicht weniger und mit nicht mehr, aber das Militär als solches, das Militär
in seiner Gesamtheit ist mehr als ein Privatmann, es ist ein Teil der Staats¬
verwaltung; der Staat aber und die Staatsverwaltung lebt nicht einfach
nach dem Recht des Privatmannes, sondern lebt nach einem eigenen Recht, dem
Verwaltungsrecht. Die Frage ist, ob es neben den für den Privatmann be¬
stimmten strafrechtlichen Notrechten nicht noch ein besonderes, auf die Bedürf¬
nisse der staatlichen Verwaltung zugeschnittenes verwaltungsrechtliches Notrecht
gibt. Diese Frage ist zu bejahen, wie noch zu zeigen sein wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/112>, abgerufen am 01.01.2025.