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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Rechtsfrage von Zabern

antragte, solange es annehmen konnte, daß mit einfacheren Mitteln sein Ziel
zu erreichen sei.

Dieses einfachere Mittel nun schien ihm die Kabinettsorder vom 17. Oktober
1820 zu bieten, die ein Einschreiten des Militärs auch ohne Requisition in
zwei Ausnahmefällen und insbesondere dann gestattet, wenn bei Störung der
öffentlichen Ruhe durch Exzesse der Militärbefehlshaber bei Beobachtung des
Auftrittes nach Pflicht und Gewissen findet, daß die Zivilbehörde mit der Re¬
quisition um Militärbeistand zu lange zögert, indem ihre Kräfte nicht mehr zu¬
reichen, die Ruhe herzustellen.

Anschütz hat, als er sein vernichtend scharfes Urteil über den "Zaberner
Militärslandal" schrieb, diese Kabinettsorder nicht gekannt. Man wird ihm
aber daraus keinen allzugroßen Vorwurf machen dürfen, da die Kabinettsorder
auch sonst von der Wissenschaft durchweg übersehen worden ist. In der Praxis
freilich hat man sich öfters schon darüber den Kopf zerbrochen; eine kriegs¬
ministerielle Instruktion vom 1. Mai 1851 hat seinerzeit erneut auf sie hin¬
gewiesen- in die dienstinstruktionellen Bestimmungen über den Waffengebrauch
des Militärs ist sie mit kaiserlicher Genehmigung mit aufgenommen worden;
bei den Berliner Unruhen vor einigen Jahren haben die beteiligten Behörden
sich wieder mit ihr beschäftigt, wobei sich die wenig erfreuliche Erscheinung
ergab, daß das Kriegsministerium sie nach wie vor für gültig erachtete, während
das Ministerium des Innern es ablehnte, die Kabinettsorder an die ihm unter¬
geordneten Behörden weiterzugehen.

Es fragt sich, ob die Kabinettsorder von 1820, die an sich als Bestand
der Preußischen Militärgesetzgebuug gemäß R. V. 61 auch für das Reichsland
gelten würde, noch zu Recht besteht. Diese Frage kann meines Erachtens nur
mit einem unzweifelhaften Nein beantwortet werden, da die Order, abgesehen
davon, daß sie niemals in der Gesetzsammlung veröffentlicht worden ist, wenn
nicht schon durch das Gesetz vom 20. März 1837, so doch jedenfalls durch
V. U, 36 aufgehoben worden ist. Die gegenteilige Auffassung, die nach einem
Bericht der Grenzboten vom 10. Dezember 1913 S. 526 in einem mir nicht
bekannten Aufsatz der Kölnischen Zeitung bezüglich der kriegsministeriellen In¬
struktion vom 1. Mai 1851 vertreten worden ist, erscheint mir unhaltbar.
Danach hat also der Oberst von Reuter sich auf ihre Bestimmungen nicht stützen
können und es liegt, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, in der Tat ob¬
jektiv eine Amtsanmaßung vor.

Eine Bestrafung wegen Amtsanmaßung kann freilich im vorliegenden Fall
deswegen noch nicht erfolgen, da der Oberst subjektiv an die Gültigkeit der
Order glaubte und immerhin auch glauben konnte. Es kommen ihm daher die
Grundsätze über den sogenannten nichtstrafrechtlichen Irrtum zugute. ^

Wie aber gestaltet sich die Rechtslage, wenn, wie es aus Anlaß des der¬
zeitigen Prozesses endlich geschehen sollte, auch die Militärbehörden die Ungültigkeit
der Kabinetlsorder von 1820 anerkennen? Welche rechtlichen Möglichkeiten wird


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Die Rechtsfrage von Zabern

antragte, solange es annehmen konnte, daß mit einfacheren Mitteln sein Ziel
zu erreichen sei.

Dieses einfachere Mittel nun schien ihm die Kabinettsorder vom 17. Oktober
1820 zu bieten, die ein Einschreiten des Militärs auch ohne Requisition in
zwei Ausnahmefällen und insbesondere dann gestattet, wenn bei Störung der
öffentlichen Ruhe durch Exzesse der Militärbefehlshaber bei Beobachtung des
Auftrittes nach Pflicht und Gewissen findet, daß die Zivilbehörde mit der Re¬
quisition um Militärbeistand zu lange zögert, indem ihre Kräfte nicht mehr zu¬
reichen, die Ruhe herzustellen.

Anschütz hat, als er sein vernichtend scharfes Urteil über den „Zaberner
Militärslandal" schrieb, diese Kabinettsorder nicht gekannt. Man wird ihm
aber daraus keinen allzugroßen Vorwurf machen dürfen, da die Kabinettsorder
auch sonst von der Wissenschaft durchweg übersehen worden ist. In der Praxis
freilich hat man sich öfters schon darüber den Kopf zerbrochen; eine kriegs¬
ministerielle Instruktion vom 1. Mai 1851 hat seinerzeit erneut auf sie hin¬
gewiesen- in die dienstinstruktionellen Bestimmungen über den Waffengebrauch
des Militärs ist sie mit kaiserlicher Genehmigung mit aufgenommen worden;
bei den Berliner Unruhen vor einigen Jahren haben die beteiligten Behörden
sich wieder mit ihr beschäftigt, wobei sich die wenig erfreuliche Erscheinung
ergab, daß das Kriegsministerium sie nach wie vor für gültig erachtete, während
das Ministerium des Innern es ablehnte, die Kabinettsorder an die ihm unter¬
geordneten Behörden weiterzugehen.

Es fragt sich, ob die Kabinettsorder von 1820, die an sich als Bestand
der Preußischen Militärgesetzgebuug gemäß R. V. 61 auch für das Reichsland
gelten würde, noch zu Recht besteht. Diese Frage kann meines Erachtens nur
mit einem unzweifelhaften Nein beantwortet werden, da die Order, abgesehen
davon, daß sie niemals in der Gesetzsammlung veröffentlicht worden ist, wenn
nicht schon durch das Gesetz vom 20. März 1837, so doch jedenfalls durch
V. U, 36 aufgehoben worden ist. Die gegenteilige Auffassung, die nach einem
Bericht der Grenzboten vom 10. Dezember 1913 S. 526 in einem mir nicht
bekannten Aufsatz der Kölnischen Zeitung bezüglich der kriegsministeriellen In¬
struktion vom 1. Mai 1851 vertreten worden ist, erscheint mir unhaltbar.
Danach hat also der Oberst von Reuter sich auf ihre Bestimmungen nicht stützen
können und es liegt, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, in der Tat ob¬
jektiv eine Amtsanmaßung vor.

Eine Bestrafung wegen Amtsanmaßung kann freilich im vorliegenden Fall
deswegen noch nicht erfolgen, da der Oberst subjektiv an die Gültigkeit der
Order glaubte und immerhin auch glauben konnte. Es kommen ihm daher die
Grundsätze über den sogenannten nichtstrafrechtlichen Irrtum zugute. ^

Wie aber gestaltet sich die Rechtslage, wenn, wie es aus Anlaß des der¬
zeitigen Prozesses endlich geschehen sollte, auch die Militärbehörden die Ungültigkeit
der Kabinetlsorder von 1820 anerkennen? Welche rechtlichen Möglichkeiten wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/111>, abgerufen am 01.01.2025.