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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspicgel

so war Z 4 des Gesetzes anwendbar, der bestimmt, daß wenn bei Arrestationen
der bereits Verhaftete zu entspringen versucht, das Militär sich der Waffe zur
Fluchtverhinderung bedienen darf. Arrestation im Sinne des Gesetzes ist jedoch
auch die vorläufige Festnahme. (Vergl. den Aufsatz von Delius im Archiv
für öffentliches Recht 1896, Seite 135)."

Diese Feststellungen der beiden Juristen sind besonders deshalb wertvoll,
weil daraus klar hervorgeht, daß die vorhandenen bürgerlichen Gesetze aus¬
reichen, um das Verhalten des Militärs korrekt erscheinen zu lassen, daß also
weder von Rechtsbruch, noch von Diktatur des Säbels und Rechtsunsicherheit
gesprochen zu werden braucht.

Das Gesagte gilt freilich mit einer Einschränkung: Oberst von Reuter
durste die 27 Verhafteten nicht bei sich in der Kaserne behalten; er mußte sie
der Polizei übergeben, die sie dann am nächsten Morgen dem Gericht vor¬
zuführen hatte. Warum das nicht geschehen, ist Gegenstand der Untersuchung.
Ob die Untersuchung etwas zutage fördert, was das Verhalten des Garnison¬
ältesten erklärt, kann bezweifelt werden, da ja gerade hierüber die Ansichten
von Zivil- und Militärbehörde diametral auseinanderlaufen. Herr Dr. Kahn
glaubt manches durch die Unzulänglichkeit der Gesetzesvorschriften erklären zu
können. Unbedingt stimme ich ihm bei, wenn er ausführt: "Aus dem Vor¬
stehenden erhellt wohl ohne weiteres, daß soweit sich die einzelnen Tatbestände
bis jetzt übersehen lassen, die Rechtsfragen vielfach auf des Messers Schneide
stehen und selbst dem geschulten Juristen zum Teil eine harte Nuß aufzuknacken
geben. Es ergibt sich daraus, mit um wieviel größeren Schwierigkeiten der
juristische Laie, und dies ist schließlich auch ein höherer Offizier, bei der Er¬
wägung, wie weit er gehen kann, zu kämpfen hat. Fühlt er nunmehr als
Offizier die Notwendigkeit eines energischen Vorgehens, als eine vom militä¬
rischen Standpunkt aus gegebene alia neceWitas, so ist es leicht zu denken, in
welche Pflichtenkollision hier der militärische Befehlshaber geraten kann." Aber,
möchte ich hinzufügen, kein deutscher Befehlshaber wird einen Augenblick im
Zweifel darüber sein, in welcher Richtung er sich entscheidet, sobald er die innere
Überzeugung gewonnen hat, daß er von den in Friedenszeiten bestellten Hütern
des Gesetzes keinen ausreichenden Schutz für die ihm anvertraute Truppe finden
kann. Dann setzt er eben seine persönliche Existenz ein und wendet die Macht¬
mittel an, die ihm das Gesetz für solche Ausnahmefälle zur Verfügung stellt.
Herr Oberst von Reuter hat seine Stellung gewagt! Allerdings hat er in
einem Punkt seine Machtbefugnisse überschritten; aber doch nur in einem
formellen. Denn es kommt doch für die Praxis schließlich auf dasselbe heraus,
ob man in Polizeigewahrsam oder in Militärhaft gehalten wird. Er soll damit
beileibe nicht entschuldigt werden: die Konsequenzen einer Verwischung der
Grenzen zwischen Mililärrecht und Zivilrecht wären für die persönliche Sicher¬
heit des einzelnen Staatsbürgers zu weittragend, als daß man das formelle
Vergehen gering achten dürfte. Dennoch sollte eins dem Obersten nicht ver-


Reichsspicgel

so war Z 4 des Gesetzes anwendbar, der bestimmt, daß wenn bei Arrestationen
der bereits Verhaftete zu entspringen versucht, das Militär sich der Waffe zur
Fluchtverhinderung bedienen darf. Arrestation im Sinne des Gesetzes ist jedoch
auch die vorläufige Festnahme. (Vergl. den Aufsatz von Delius im Archiv
für öffentliches Recht 1896, Seite 135)."

Diese Feststellungen der beiden Juristen sind besonders deshalb wertvoll,
weil daraus klar hervorgeht, daß die vorhandenen bürgerlichen Gesetze aus¬
reichen, um das Verhalten des Militärs korrekt erscheinen zu lassen, daß also
weder von Rechtsbruch, noch von Diktatur des Säbels und Rechtsunsicherheit
gesprochen zu werden braucht.

Das Gesagte gilt freilich mit einer Einschränkung: Oberst von Reuter
durste die 27 Verhafteten nicht bei sich in der Kaserne behalten; er mußte sie
der Polizei übergeben, die sie dann am nächsten Morgen dem Gericht vor¬
zuführen hatte. Warum das nicht geschehen, ist Gegenstand der Untersuchung.
Ob die Untersuchung etwas zutage fördert, was das Verhalten des Garnison¬
ältesten erklärt, kann bezweifelt werden, da ja gerade hierüber die Ansichten
von Zivil- und Militärbehörde diametral auseinanderlaufen. Herr Dr. Kahn
glaubt manches durch die Unzulänglichkeit der Gesetzesvorschriften erklären zu
können. Unbedingt stimme ich ihm bei, wenn er ausführt: „Aus dem Vor¬
stehenden erhellt wohl ohne weiteres, daß soweit sich die einzelnen Tatbestände
bis jetzt übersehen lassen, die Rechtsfragen vielfach auf des Messers Schneide
stehen und selbst dem geschulten Juristen zum Teil eine harte Nuß aufzuknacken
geben. Es ergibt sich daraus, mit um wieviel größeren Schwierigkeiten der
juristische Laie, und dies ist schließlich auch ein höherer Offizier, bei der Er¬
wägung, wie weit er gehen kann, zu kämpfen hat. Fühlt er nunmehr als
Offizier die Notwendigkeit eines energischen Vorgehens, als eine vom militä¬
rischen Standpunkt aus gegebene alia neceWitas, so ist es leicht zu denken, in
welche Pflichtenkollision hier der militärische Befehlshaber geraten kann." Aber,
möchte ich hinzufügen, kein deutscher Befehlshaber wird einen Augenblick im
Zweifel darüber sein, in welcher Richtung er sich entscheidet, sobald er die innere
Überzeugung gewonnen hat, daß er von den in Friedenszeiten bestellten Hütern
des Gesetzes keinen ausreichenden Schutz für die ihm anvertraute Truppe finden
kann. Dann setzt er eben seine persönliche Existenz ein und wendet die Macht¬
mittel an, die ihm das Gesetz für solche Ausnahmefälle zur Verfügung stellt.
Herr Oberst von Reuter hat seine Stellung gewagt! Allerdings hat er in
einem Punkt seine Machtbefugnisse überschritten; aber doch nur in einem
formellen. Denn es kommt doch für die Praxis schließlich auf dasselbe heraus,
ob man in Polizeigewahrsam oder in Militärhaft gehalten wird. Er soll damit
beileibe nicht entschuldigt werden: die Konsequenzen einer Verwischung der
Grenzen zwischen Mililärrecht und Zivilrecht wären für die persönliche Sicher¬
heit des einzelnen Staatsbürgers zu weittragend, als daß man das formelle
Vergehen gering achten dürfte. Dennoch sollte eins dem Obersten nicht ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/540>, abgerufen am 28.09.2024.