Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspicgcl

gessen werden: er hat durch sein Einschreiten Ärgeres verhindert' er hat ver¬
hindert, daß seine jüngeren Offiziere zur Selbsthilfe griffen und sich gegen die
öffentlichen Beleidigungen mit der blanken Waffe verteidigten. Und dazu wären
sie voll berechtigt, ja verpflichtet gewesen, wenn der Garnisonälteste ebenso
saumselig gewesen wäre wie die Zivilbehörde.




Wie konnten nun diese lokalen Verhältnisse zu einer Kanzlerkrise führen?
Wie war es möglich, daß der oberste verantwortliche Beamte des Reichs wegen
jener Vorgänge sich einer Behandlung durch den Reichstag hatte aussetzen lassen
müssen, deren wir Zeuge gewesen sind? Behalten wir im Auge, daß Zabern
im Elsaß liegt, lassen wir aber unerörtert, wie weit die allgemeine Politik in den
Reichslanden die Verhältnisse in Zabern beeinflußt hat, so bleibt doch eine
auffällige Tatsache bestehen, die der Aufklärung dringend bedürftig ist: die Tat¬
sache, daß die der Armee feindlich gesinnte Presse, ebenso wie die ultramontane
und die französische, Wochen hindurch Unwahrheiten in die Welt setzen konnte, ohne
daß dagegen von amtlicher Seite aufgetreten wurde I Warum wurde nicht so¬
fort nach den ersten Veröffentlichungen des Zaberner Anzeigers durch den Statt¬
halter verkündet, daß der Leutnant von Forstner bestraft sei? Warum wurde
nicht sofort nach der ersten Meldung des Obersten von Reuter (vor dem 10. No>
vember), daß die Bevölkerung unruhig sei, ein verstärktes Gendarmerie - De-
tachement nach Zabern gelegt? Warum wurde die Staatsanwaltschaft in
Zabern nicht angewiesen, dem Zaberner Anzeiger scharf auf die Finger zu sehn
und das Erscheinen aufreizender Artikel zu verhindern? Warum traf uicht
spätestens am 27. November ein starkes Schutzmanns- oder Gendarmerie¬
aufgebot aus Straßburg in Zabern ein? Warum ist in Zabern nicht durch
öffentlichen Anschlag gewarnt worden, den Hetzereien anonymer Zeitungs¬
schreiber zu glauben? Alle solche Maßnahmen werden getroffen, wenn
auch nur zehn Arbeiter die Köpfe zusammenstecken und ein ängstlicher
Unternehmer für eine Maschine besorgt ist. Sogar Militär wird aufgeboten,
wenn irgendwo materielle Werte gefährdet scheinen, -- dann find unsere
Offiziere und Unteroffiziere gerade gut, und sie müssen antreten ohne Rücksicht
darauf, ob der Herr Fabrikant ein anständiger Kerl ist oder ein Leuteschinder.
Wenn aber durch eine Lappalie, lediglich weil es dem Redakteur eines Lokal¬
blattes gefällt, die Sicherheit eines ganzen Offizierkorps bedroht ist, dann
versagt der kostspielige Sicherheitsapparat? So, und nicht anders waren die
Fragen zu formulieren, die der Reichstag an den Herrn Reichskanzler richtete
und zwar wieder von den nationalen Parteien I Diese Fragen mußten den
Grund einer Kanzlerkrise bilden, denn sie treffen die Verfehlungen der reichs-
ländischen Regierung, für die Herr von Bethmann-Hollweg verantwortlich ist.
Dann wäre auch die Zaberner Hetzpresse nicht Sieger geblieben und es wäre
nicht möglich geworden, daß die Garnison von Zabern ähnlich wie einst die


Grenzboten IV 1913 34
Reichsspicgcl

gessen werden: er hat durch sein Einschreiten Ärgeres verhindert' er hat ver¬
hindert, daß seine jüngeren Offiziere zur Selbsthilfe griffen und sich gegen die
öffentlichen Beleidigungen mit der blanken Waffe verteidigten. Und dazu wären
sie voll berechtigt, ja verpflichtet gewesen, wenn der Garnisonälteste ebenso
saumselig gewesen wäre wie die Zivilbehörde.




Wie konnten nun diese lokalen Verhältnisse zu einer Kanzlerkrise führen?
Wie war es möglich, daß der oberste verantwortliche Beamte des Reichs wegen
jener Vorgänge sich einer Behandlung durch den Reichstag hatte aussetzen lassen
müssen, deren wir Zeuge gewesen sind? Behalten wir im Auge, daß Zabern
im Elsaß liegt, lassen wir aber unerörtert, wie weit die allgemeine Politik in den
Reichslanden die Verhältnisse in Zabern beeinflußt hat, so bleibt doch eine
auffällige Tatsache bestehen, die der Aufklärung dringend bedürftig ist: die Tat¬
sache, daß die der Armee feindlich gesinnte Presse, ebenso wie die ultramontane
und die französische, Wochen hindurch Unwahrheiten in die Welt setzen konnte, ohne
daß dagegen von amtlicher Seite aufgetreten wurde I Warum wurde nicht so¬
fort nach den ersten Veröffentlichungen des Zaberner Anzeigers durch den Statt¬
halter verkündet, daß der Leutnant von Forstner bestraft sei? Warum wurde
nicht sofort nach der ersten Meldung des Obersten von Reuter (vor dem 10. No>
vember), daß die Bevölkerung unruhig sei, ein verstärktes Gendarmerie - De-
tachement nach Zabern gelegt? Warum wurde die Staatsanwaltschaft in
Zabern nicht angewiesen, dem Zaberner Anzeiger scharf auf die Finger zu sehn
und das Erscheinen aufreizender Artikel zu verhindern? Warum traf uicht
spätestens am 27. November ein starkes Schutzmanns- oder Gendarmerie¬
aufgebot aus Straßburg in Zabern ein? Warum ist in Zabern nicht durch
öffentlichen Anschlag gewarnt worden, den Hetzereien anonymer Zeitungs¬
schreiber zu glauben? Alle solche Maßnahmen werden getroffen, wenn
auch nur zehn Arbeiter die Köpfe zusammenstecken und ein ängstlicher
Unternehmer für eine Maschine besorgt ist. Sogar Militär wird aufgeboten,
wenn irgendwo materielle Werte gefährdet scheinen, — dann find unsere
Offiziere und Unteroffiziere gerade gut, und sie müssen antreten ohne Rücksicht
darauf, ob der Herr Fabrikant ein anständiger Kerl ist oder ein Leuteschinder.
Wenn aber durch eine Lappalie, lediglich weil es dem Redakteur eines Lokal¬
blattes gefällt, die Sicherheit eines ganzen Offizierkorps bedroht ist, dann
versagt der kostspielige Sicherheitsapparat? So, und nicht anders waren die
Fragen zu formulieren, die der Reichstag an den Herrn Reichskanzler richtete
und zwar wieder von den nationalen Parteien I Diese Fragen mußten den
Grund einer Kanzlerkrise bilden, denn sie treffen die Verfehlungen der reichs-
ländischen Regierung, für die Herr von Bethmann-Hollweg verantwortlich ist.
Dann wäre auch die Zaberner Hetzpresse nicht Sieger geblieben und es wäre
nicht möglich geworden, daß die Garnison von Zabern ähnlich wie einst die


Grenzboten IV 1913 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327353"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspicgcl</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2153" prev="#ID_2152"> gessen werden: er hat durch sein Einschreiten Ärgeres verhindert' er hat ver¬<lb/>
hindert, daß seine jüngeren Offiziere zur Selbsthilfe griffen und sich gegen die<lb/>
öffentlichen Beleidigungen mit der blanken Waffe verteidigten. Und dazu wären<lb/>
sie voll berechtigt, ja verpflichtet gewesen, wenn der Garnisonälteste ebenso<lb/>
saumselig gewesen wäre wie die Zivilbehörde.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p xml:id="ID_2154" next="#ID_2155"> Wie konnten nun diese lokalen Verhältnisse zu einer Kanzlerkrise führen?<lb/>
Wie war es möglich, daß der oberste verantwortliche Beamte des Reichs wegen<lb/>
jener Vorgänge sich einer Behandlung durch den Reichstag hatte aussetzen lassen<lb/>
müssen, deren wir Zeuge gewesen sind? Behalten wir im Auge, daß Zabern<lb/>
im Elsaß liegt, lassen wir aber unerörtert, wie weit die allgemeine Politik in den<lb/>
Reichslanden die Verhältnisse in Zabern beeinflußt hat, so bleibt doch eine<lb/>
auffällige Tatsache bestehen, die der Aufklärung dringend bedürftig ist: die Tat¬<lb/>
sache, daß die der Armee feindlich gesinnte Presse, ebenso wie die ultramontane<lb/>
und die französische, Wochen hindurch Unwahrheiten in die Welt setzen konnte, ohne<lb/>
daß dagegen von amtlicher Seite aufgetreten wurde I Warum wurde nicht so¬<lb/>
fort nach den ersten Veröffentlichungen des Zaberner Anzeigers durch den Statt¬<lb/>
halter verkündet, daß der Leutnant von Forstner bestraft sei? Warum wurde<lb/>
nicht sofort nach der ersten Meldung des Obersten von Reuter (vor dem 10. No&gt;<lb/>
vember), daß die Bevölkerung unruhig sei, ein verstärktes Gendarmerie - De-<lb/>
tachement nach Zabern gelegt? Warum wurde die Staatsanwaltschaft in<lb/>
Zabern nicht angewiesen, dem Zaberner Anzeiger scharf auf die Finger zu sehn<lb/>
und das Erscheinen aufreizender Artikel zu verhindern? Warum traf uicht<lb/>
spätestens am 27. November ein starkes Schutzmanns- oder Gendarmerie¬<lb/>
aufgebot aus Straßburg in Zabern ein? Warum ist in Zabern nicht durch<lb/>
öffentlichen Anschlag gewarnt worden, den Hetzereien anonymer Zeitungs¬<lb/>
schreiber zu glauben? Alle solche Maßnahmen werden getroffen, wenn<lb/>
auch nur zehn Arbeiter die Köpfe zusammenstecken und ein ängstlicher<lb/>
Unternehmer für eine Maschine besorgt ist. Sogar Militär wird aufgeboten,<lb/>
wenn irgendwo materielle Werte gefährdet scheinen, &#x2014; dann find unsere<lb/>
Offiziere und Unteroffiziere gerade gut, und sie müssen antreten ohne Rücksicht<lb/>
darauf, ob der Herr Fabrikant ein anständiger Kerl ist oder ein Leuteschinder.<lb/>
Wenn aber durch eine Lappalie, lediglich weil es dem Redakteur eines Lokal¬<lb/>
blattes gefällt, die Sicherheit eines ganzen Offizierkorps bedroht ist, dann<lb/>
versagt der kostspielige Sicherheitsapparat? So, und nicht anders waren die<lb/>
Fragen zu formulieren, die der Reichstag an den Herrn Reichskanzler richtete<lb/>
und zwar wieder von den nationalen Parteien I Diese Fragen mußten den<lb/>
Grund einer Kanzlerkrise bilden, denn sie treffen die Verfehlungen der reichs-<lb/>
ländischen Regierung, für die Herr von Bethmann-Hollweg verantwortlich ist.<lb/>
Dann wäre auch die Zaberner Hetzpresse nicht Sieger geblieben und es wäre<lb/>
nicht möglich geworden, daß die Garnison von Zabern ähnlich wie einst die</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1913 34</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0541] Reichsspicgcl gessen werden: er hat durch sein Einschreiten Ärgeres verhindert' er hat ver¬ hindert, daß seine jüngeren Offiziere zur Selbsthilfe griffen und sich gegen die öffentlichen Beleidigungen mit der blanken Waffe verteidigten. Und dazu wären sie voll berechtigt, ja verpflichtet gewesen, wenn der Garnisonälteste ebenso saumselig gewesen wäre wie die Zivilbehörde. Wie konnten nun diese lokalen Verhältnisse zu einer Kanzlerkrise führen? Wie war es möglich, daß der oberste verantwortliche Beamte des Reichs wegen jener Vorgänge sich einer Behandlung durch den Reichstag hatte aussetzen lassen müssen, deren wir Zeuge gewesen sind? Behalten wir im Auge, daß Zabern im Elsaß liegt, lassen wir aber unerörtert, wie weit die allgemeine Politik in den Reichslanden die Verhältnisse in Zabern beeinflußt hat, so bleibt doch eine auffällige Tatsache bestehen, die der Aufklärung dringend bedürftig ist: die Tat¬ sache, daß die der Armee feindlich gesinnte Presse, ebenso wie die ultramontane und die französische, Wochen hindurch Unwahrheiten in die Welt setzen konnte, ohne daß dagegen von amtlicher Seite aufgetreten wurde I Warum wurde nicht so¬ fort nach den ersten Veröffentlichungen des Zaberner Anzeigers durch den Statt¬ halter verkündet, daß der Leutnant von Forstner bestraft sei? Warum wurde nicht sofort nach der ersten Meldung des Obersten von Reuter (vor dem 10. No> vember), daß die Bevölkerung unruhig sei, ein verstärktes Gendarmerie - De- tachement nach Zabern gelegt? Warum wurde die Staatsanwaltschaft in Zabern nicht angewiesen, dem Zaberner Anzeiger scharf auf die Finger zu sehn und das Erscheinen aufreizender Artikel zu verhindern? Warum traf uicht spätestens am 27. November ein starkes Schutzmanns- oder Gendarmerie¬ aufgebot aus Straßburg in Zabern ein? Warum ist in Zabern nicht durch öffentlichen Anschlag gewarnt worden, den Hetzereien anonymer Zeitungs¬ schreiber zu glauben? Alle solche Maßnahmen werden getroffen, wenn auch nur zehn Arbeiter die Köpfe zusammenstecken und ein ängstlicher Unternehmer für eine Maschine besorgt ist. Sogar Militär wird aufgeboten, wenn irgendwo materielle Werte gefährdet scheinen, — dann find unsere Offiziere und Unteroffiziere gerade gut, und sie müssen antreten ohne Rücksicht darauf, ob der Herr Fabrikant ein anständiger Kerl ist oder ein Leuteschinder. Wenn aber durch eine Lappalie, lediglich weil es dem Redakteur eines Lokal¬ blattes gefällt, die Sicherheit eines ganzen Offizierkorps bedroht ist, dann versagt der kostspielige Sicherheitsapparat? So, und nicht anders waren die Fragen zu formulieren, die der Reichstag an den Herrn Reichskanzler richtete und zwar wieder von den nationalen Parteien I Diese Fragen mußten den Grund einer Kanzlerkrise bilden, denn sie treffen die Verfehlungen der reichs- ländischen Regierung, für die Herr von Bethmann-Hollweg verantwortlich ist. Dann wäre auch die Zaberner Hetzpresse nicht Sieger geblieben und es wäre nicht möglich geworden, daß die Garnison von Zabern ähnlich wie einst die Grenzboten IV 1913 34

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/541
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/541>, abgerufen am 22.07.2024.