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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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der Festnahme als zulässig erscheint. Dazu kommt aber auch, daß § 4 der
Instruktion vom 29. Januar 1831 (Preußisches Justizministerialblatt, Seite 35)
bestimmt, daß "Wachen" auch solche Personen festnehmen können, welche ihren
Anordnungen nicht Folge leisten, wenn es auf Stillung eines Tumults, Zer¬
streuung von Aufläufen, oder Verhinderung eines die öffentliche Ruhe störenden
Straßcnunfugs ankommt. Man könnte daher, falls die am 28. November auf
dem Schloßplatz angerückte Mannschaft als "Wache" im Sinne dieser Instruktion
zu gelten hätte -- auch dies kann erst nach genauer Feststellung des Tat¬
bestandes entschieden werden --, die Festnahme aus Grund des Z 4 der Wach-
instruktion rechtfertigen. Liegt nun aber eine Rechtswidrigkeit nicht darin, daß
die Inhaftierten nicht sofort der Polizei übergeben bzw. dem Amtsrichter vor¬
geführt wurden? Würde sich das am 28. November eingeschlagene Verfahren
nur nach strafprozessualen Grundsätzen, insbesondere Z 127 und 128 regeln,
so wäre diese Frage zu bejahen, sofern natürlich die Möglichkeit dieses Vor¬
gehens gegeben war, was, wenn etwa die Inhaftierung gegen Abend erfolgte,
zweifelhaft erscheint. Hier dreht es sich jedoch auch zweifellos um eine Fest¬
nahme auf Grund der oben zitierten besonderen militärischen Vorschriften, die
ein Festnahmerecht 8ni Zeriens schaffen, auf das nicht kurzerhand die straf¬
vrozessualen Grundsätze zur Anwendung kommen. Nach § 16 der vorerwähnten
Wachinstruktion sind auch die Wachen berechtigt, Personen in Verwahrung zu
nehmen, wenn die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ruhe diese Maßregeln
erfordern. Es würde daher eventuell Sache der Tatuntersuchung sein, fest¬
zustellen, in welchem Umfang diese Voraussetzungen gegeben waren, und ob
danach das Zurückbehalten der festgenommenen Personen in der Kaserne während
der Nacht sich als rechtswidrig darstellt oder nicht.

Was nun Punkt 2 betrifft, nämlich das Recht der Posten, Wachen
und Patrouillen zur Verhaftung von Zivilisten überhaupt, so sind
zunächst auch hier wiederum die Grundsätze des Z 127 und 128 der Straf¬
prozeßordnung, daneben aber auch die bereits zitierten ZZ 4 und 16 der Wach¬
instruktion von 1881 maßgebend. Zweifellos sind gegen das Militär
geschleuderte insultierende Zurufe zunächst mindestens Beleidigungen im Sinne
des § 185 des Se. G. B., so daß also die Betreffenden sich einer strafbaren
Handlung schuldig machen."

Auf Punkt 3, den Vorfall in Dettweiler, hält auch Kahn das Gesetz
vom 20. März 1837 anwendbar, "weil man die zum Felddienst ausgerückte
Abteilung wohl zwanglos als .Kommando' im Sinne des Z 1 dieses Gesetzes
ansehen kann. Waren die Inhaftierenden der Meinung, daß der Festgenommene
das beleidigende Wort gerufen hat -- ob sie dieser Meinung sein durften,
was für die Frage des Dolus ja recht erheblich ist, muß auch durch die
Untersuchung erst festgestellt werden -- so war seine Festnahme auf Grund des
8 127 Se. P. O. gerechtfertigt. Hätte er sich nunmehr dieser Festnahme zu
entziehen versucht, -- nach den Zeitungsberichten war dies offenbar der Fall --,


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der Festnahme als zulässig erscheint. Dazu kommt aber auch, daß § 4 der
Instruktion vom 29. Januar 1831 (Preußisches Justizministerialblatt, Seite 35)
bestimmt, daß „Wachen" auch solche Personen festnehmen können, welche ihren
Anordnungen nicht Folge leisten, wenn es auf Stillung eines Tumults, Zer¬
streuung von Aufläufen, oder Verhinderung eines die öffentliche Ruhe störenden
Straßcnunfugs ankommt. Man könnte daher, falls die am 28. November auf
dem Schloßplatz angerückte Mannschaft als „Wache" im Sinne dieser Instruktion
zu gelten hätte — auch dies kann erst nach genauer Feststellung des Tat¬
bestandes entschieden werden —, die Festnahme aus Grund des Z 4 der Wach-
instruktion rechtfertigen. Liegt nun aber eine Rechtswidrigkeit nicht darin, daß
die Inhaftierten nicht sofort der Polizei übergeben bzw. dem Amtsrichter vor¬
geführt wurden? Würde sich das am 28. November eingeschlagene Verfahren
nur nach strafprozessualen Grundsätzen, insbesondere Z 127 und 128 regeln,
so wäre diese Frage zu bejahen, sofern natürlich die Möglichkeit dieses Vor¬
gehens gegeben war, was, wenn etwa die Inhaftierung gegen Abend erfolgte,
zweifelhaft erscheint. Hier dreht es sich jedoch auch zweifellos um eine Fest¬
nahme auf Grund der oben zitierten besonderen militärischen Vorschriften, die
ein Festnahmerecht 8ni Zeriens schaffen, auf das nicht kurzerhand die straf¬
vrozessualen Grundsätze zur Anwendung kommen. Nach § 16 der vorerwähnten
Wachinstruktion sind auch die Wachen berechtigt, Personen in Verwahrung zu
nehmen, wenn die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ruhe diese Maßregeln
erfordern. Es würde daher eventuell Sache der Tatuntersuchung sein, fest¬
zustellen, in welchem Umfang diese Voraussetzungen gegeben waren, und ob
danach das Zurückbehalten der festgenommenen Personen in der Kaserne während
der Nacht sich als rechtswidrig darstellt oder nicht.

Was nun Punkt 2 betrifft, nämlich das Recht der Posten, Wachen
und Patrouillen zur Verhaftung von Zivilisten überhaupt, so sind
zunächst auch hier wiederum die Grundsätze des Z 127 und 128 der Straf¬
prozeßordnung, daneben aber auch die bereits zitierten ZZ 4 und 16 der Wach¬
instruktion von 1881 maßgebend. Zweifellos sind gegen das Militär
geschleuderte insultierende Zurufe zunächst mindestens Beleidigungen im Sinne
des § 185 des Se. G. B., so daß also die Betreffenden sich einer strafbaren
Handlung schuldig machen."

Auf Punkt 3, den Vorfall in Dettweiler, hält auch Kahn das Gesetz
vom 20. März 1837 anwendbar, „weil man die zum Felddienst ausgerückte
Abteilung wohl zwanglos als .Kommando' im Sinne des Z 1 dieses Gesetzes
ansehen kann. Waren die Inhaftierenden der Meinung, daß der Festgenommene
das beleidigende Wort gerufen hat — ob sie dieser Meinung sein durften,
was für die Frage des Dolus ja recht erheblich ist, muß auch durch die
Untersuchung erst festgestellt werden — so war seine Festnahme auf Grund des
8 127 Se. P. O. gerechtfertigt. Hätte er sich nunmehr dieser Festnahme zu
entziehen versucht, — nach den Zeitungsberichten war dies offenbar der Fall —,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/539>, abgerufen am 26.06.2024.