Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Denis Viderot

waren es drei Gebiete, auf denen er sich betätigte: das Theater, der Roman,
die Kunstkritik.

Er hatte den Mut, selbst gegen geheiligte Überlieferungen aufzutreten und
das französische Theater, den Stolz und Ruhm Frankreichs, für reformbedürftig
zu erklären. Er predigt die Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit und will
ein neues Drama, das bürgerliche oder häusliche, schaffen. Er schreibt selbst
zwei Musterstücke "Der natürliche Sohn" und "Der Hausvater" und entwickelt
seine Gedanken über das Drama besonders in dem älsevur8 cle la poe8le
äramatique. Lessing hat die beiden Schauspiele sehr geschätzt und sie mit der
genannten Abhandlung ins Deutsche übertragen. Wir Heutigen finden, daß
es ein Fehler von Diderot war, der dramatischen Poesie den Zweck zu unter¬
legen, die Menschen zu bessern, die Moral zu heben. "I^a vertu est tout,
la vie n'sse risn" schrieb Diderot im Widmrmgsbrief zum pers ac kannte.

Bemerkenswert ist es, daß Diderot an den drei Einheiten des französischen
Theaters (Einheit des Ortes, der Zeit, der Handlung) festhält. Mit seinen
genauen Anweisungen über das Geberdenspiel scheint er mir die Schauspieler
allzusehr einzuengen.

Diderots Eigenart tritt in seinen erzählenden Dichtungen deutlich hervor.
Sie werden, wie er selbst, verschieden beurteilt. Wir sehen ab von den "bijoux
inäiserets", seiner Jugendsünde, die er selbst später auss schärfste verdammte.
"I^a, reliZleuZe", die Nonne, ein düsteres Gemälde des Klosterlebens, gibt sich
mehr als Studie nach dem Leben denn als Dichtung. Der Roman "^aequeg
le fatalste", der so begeisterte Bewunderer gefunden hat, ja selbst die von
Goethe hochgeschätzte und übersetzte köstliche Satire "I^e neveu ac Kameau"
werden, namentlich von französischen Kritikern, getadelt. Man wird aber zu¬
geben müssen, daß diese Werke, wenn auch vom Alter nicht ganz unberührt,
den Stempel eines an Ideen, Geist und Witz reichen Kopfes tragen und eine
bedeutende Kunst der Schilderung bekunden. Sie werden freilich wohl immer
ein Gericht für Feinschmecker bleiben.

Als Kunstrichter hat Diderot eine fruchtbare Tätigkeit entfaltet. Seine
"Salons", die Berichte über die Kunstausstellungen von 1759 bis 1781 sind
von bleibendem Wert. In seinem IZ88av 8ur la peinture, den Goethe teil¬
weise erläuterte und kritisierte, hat er sich allerdings in manche Widersprüche
verwickelt und gezeigt, daß er kein Systematiker ist.

Seine größte Stärke lag in der mündlichen Rede; er war berühmt als
geistreicher hinreißender ca,u8cur. Es wurde förmlich Mode, ihn zu besuchen,
und mancher deutsche Fürst ist zu ihm in seine bescheidene Wohnung hinauf¬
gestiegen. Mit Friedrich dem Zweiten von Preußen kam er nicht in Berührung;
der große König fand ihn wohl allzusehr ,.hour^col8", auch soll er es Diderot
übel genommen haben, daß dieser in Friedrichs französischen Versen Spuren des
märkischen Sandes zu finden glaubte. Übrigens ist Diderot Mitglied der
Berliner Akademie geworden, während ihm die französische Akademie verschlossen


Denis Viderot

waren es drei Gebiete, auf denen er sich betätigte: das Theater, der Roman,
die Kunstkritik.

Er hatte den Mut, selbst gegen geheiligte Überlieferungen aufzutreten und
das französische Theater, den Stolz und Ruhm Frankreichs, für reformbedürftig
zu erklären. Er predigt die Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit und will
ein neues Drama, das bürgerliche oder häusliche, schaffen. Er schreibt selbst
zwei Musterstücke „Der natürliche Sohn" und „Der Hausvater" und entwickelt
seine Gedanken über das Drama besonders in dem älsevur8 cle la poe8le
äramatique. Lessing hat die beiden Schauspiele sehr geschätzt und sie mit der
genannten Abhandlung ins Deutsche übertragen. Wir Heutigen finden, daß
es ein Fehler von Diderot war, der dramatischen Poesie den Zweck zu unter¬
legen, die Menschen zu bessern, die Moral zu heben. „I^a vertu est tout,
la vie n'sse risn" schrieb Diderot im Widmrmgsbrief zum pers ac kannte.

Bemerkenswert ist es, daß Diderot an den drei Einheiten des französischen
Theaters (Einheit des Ortes, der Zeit, der Handlung) festhält. Mit seinen
genauen Anweisungen über das Geberdenspiel scheint er mir die Schauspieler
allzusehr einzuengen.

Diderots Eigenart tritt in seinen erzählenden Dichtungen deutlich hervor.
Sie werden, wie er selbst, verschieden beurteilt. Wir sehen ab von den „bijoux
inäiserets", seiner Jugendsünde, die er selbst später auss schärfste verdammte.
„I^a, reliZleuZe", die Nonne, ein düsteres Gemälde des Klosterlebens, gibt sich
mehr als Studie nach dem Leben denn als Dichtung. Der Roman „^aequeg
le fatalste", der so begeisterte Bewunderer gefunden hat, ja selbst die von
Goethe hochgeschätzte und übersetzte köstliche Satire „I^e neveu ac Kameau"
werden, namentlich von französischen Kritikern, getadelt. Man wird aber zu¬
geben müssen, daß diese Werke, wenn auch vom Alter nicht ganz unberührt,
den Stempel eines an Ideen, Geist und Witz reichen Kopfes tragen und eine
bedeutende Kunst der Schilderung bekunden. Sie werden freilich wohl immer
ein Gericht für Feinschmecker bleiben.

Als Kunstrichter hat Diderot eine fruchtbare Tätigkeit entfaltet. Seine
„Salons", die Berichte über die Kunstausstellungen von 1759 bis 1781 sind
von bleibendem Wert. In seinem IZ88av 8ur la peinture, den Goethe teil¬
weise erläuterte und kritisierte, hat er sich allerdings in manche Widersprüche
verwickelt und gezeigt, daß er kein Systematiker ist.

Seine größte Stärke lag in der mündlichen Rede; er war berühmt als
geistreicher hinreißender ca,u8cur. Es wurde förmlich Mode, ihn zu besuchen,
und mancher deutsche Fürst ist zu ihm in seine bescheidene Wohnung hinauf¬
gestiegen. Mit Friedrich dem Zweiten von Preußen kam er nicht in Berührung;
der große König fand ihn wohl allzusehr ,.hour^col8", auch soll er es Diderot
übel genommen haben, daß dieser in Friedrichs französischen Versen Spuren des
märkischen Sandes zu finden glaubte. Übrigens ist Diderot Mitglied der
Berliner Akademie geworden, während ihm die französische Akademie verschlossen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326866"/>
          <fw type="header" place="top"> Denis Viderot</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_188" prev="#ID_187"> waren es drei Gebiete, auf denen er sich betätigte: das Theater, der Roman,<lb/>
die Kunstkritik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_189"> Er hatte den Mut, selbst gegen geheiligte Überlieferungen aufzutreten und<lb/>
das französische Theater, den Stolz und Ruhm Frankreichs, für reformbedürftig<lb/>
zu erklären. Er predigt die Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit und will<lb/>
ein neues Drama, das bürgerliche oder häusliche, schaffen. Er schreibt selbst<lb/>
zwei Musterstücke &#x201E;Der natürliche Sohn" und &#x201E;Der Hausvater" und entwickelt<lb/>
seine Gedanken über das Drama besonders in dem älsevur8 cle la poe8le<lb/>
äramatique. Lessing hat die beiden Schauspiele sehr geschätzt und sie mit der<lb/>
genannten Abhandlung ins Deutsche übertragen. Wir Heutigen finden, daß<lb/>
es ein Fehler von Diderot war, der dramatischen Poesie den Zweck zu unter¬<lb/>
legen, die Menschen zu bessern, die Moral zu heben. &#x201E;I^a vertu est tout,<lb/>
la vie n'sse risn" schrieb Diderot im Widmrmgsbrief zum pers ac kannte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_190"> Bemerkenswert ist es, daß Diderot an den drei Einheiten des französischen<lb/>
Theaters (Einheit des Ortes, der Zeit, der Handlung) festhält. Mit seinen<lb/>
genauen Anweisungen über das Geberdenspiel scheint er mir die Schauspieler<lb/>
allzusehr einzuengen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_191"> Diderots Eigenart tritt in seinen erzählenden Dichtungen deutlich hervor.<lb/>
Sie werden, wie er selbst, verschieden beurteilt. Wir sehen ab von den &#x201E;bijoux<lb/>
inäiserets", seiner Jugendsünde, die er selbst später auss schärfste verdammte.<lb/>
&#x201E;I^a, reliZleuZe", die Nonne, ein düsteres Gemälde des Klosterlebens, gibt sich<lb/>
mehr als Studie nach dem Leben denn als Dichtung. Der Roman &#x201E;^aequeg<lb/>
le fatalste", der so begeisterte Bewunderer gefunden hat, ja selbst die von<lb/>
Goethe hochgeschätzte und übersetzte köstliche Satire &#x201E;I^e neveu ac Kameau"<lb/>
werden, namentlich von französischen Kritikern, getadelt. Man wird aber zu¬<lb/>
geben müssen, daß diese Werke, wenn auch vom Alter nicht ganz unberührt,<lb/>
den Stempel eines an Ideen, Geist und Witz reichen Kopfes tragen und eine<lb/>
bedeutende Kunst der Schilderung bekunden. Sie werden freilich wohl immer<lb/>
ein Gericht für Feinschmecker bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_192"> Als Kunstrichter hat Diderot eine fruchtbare Tätigkeit entfaltet. Seine<lb/>
&#x201E;Salons", die Berichte über die Kunstausstellungen von 1759 bis 1781 sind<lb/>
von bleibendem Wert. In seinem IZ88av 8ur la peinture, den Goethe teil¬<lb/>
weise erläuterte und kritisierte, hat er sich allerdings in manche Widersprüche<lb/>
verwickelt und gezeigt, daß er kein Systematiker ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_193" next="#ID_194"> Seine größte Stärke lag in der mündlichen Rede; er war berühmt als<lb/>
geistreicher hinreißender ca,u8cur. Es wurde förmlich Mode, ihn zu besuchen,<lb/>
und mancher deutsche Fürst ist zu ihm in seine bescheidene Wohnung hinauf¬<lb/>
gestiegen. Mit Friedrich dem Zweiten von Preußen kam er nicht in Berührung;<lb/>
der große König fand ihn wohl allzusehr ,.hour^col8", auch soll er es Diderot<lb/>
übel genommen haben, daß dieser in Friedrichs französischen Versen Spuren des<lb/>
märkischen Sandes zu finden glaubte. Übrigens ist Diderot Mitglied der<lb/>
Berliner Akademie geworden, während ihm die französische Akademie verschlossen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] Denis Viderot waren es drei Gebiete, auf denen er sich betätigte: das Theater, der Roman, die Kunstkritik. Er hatte den Mut, selbst gegen geheiligte Überlieferungen aufzutreten und das französische Theater, den Stolz und Ruhm Frankreichs, für reformbedürftig zu erklären. Er predigt die Rückkehr zur Natur und zur Wahrheit und will ein neues Drama, das bürgerliche oder häusliche, schaffen. Er schreibt selbst zwei Musterstücke „Der natürliche Sohn" und „Der Hausvater" und entwickelt seine Gedanken über das Drama besonders in dem älsevur8 cle la poe8le äramatique. Lessing hat die beiden Schauspiele sehr geschätzt und sie mit der genannten Abhandlung ins Deutsche übertragen. Wir Heutigen finden, daß es ein Fehler von Diderot war, der dramatischen Poesie den Zweck zu unter¬ legen, die Menschen zu bessern, die Moral zu heben. „I^a vertu est tout, la vie n'sse risn" schrieb Diderot im Widmrmgsbrief zum pers ac kannte. Bemerkenswert ist es, daß Diderot an den drei Einheiten des französischen Theaters (Einheit des Ortes, der Zeit, der Handlung) festhält. Mit seinen genauen Anweisungen über das Geberdenspiel scheint er mir die Schauspieler allzusehr einzuengen. Diderots Eigenart tritt in seinen erzählenden Dichtungen deutlich hervor. Sie werden, wie er selbst, verschieden beurteilt. Wir sehen ab von den „bijoux inäiserets", seiner Jugendsünde, die er selbst später auss schärfste verdammte. „I^a, reliZleuZe", die Nonne, ein düsteres Gemälde des Klosterlebens, gibt sich mehr als Studie nach dem Leben denn als Dichtung. Der Roman „^aequeg le fatalste", der so begeisterte Bewunderer gefunden hat, ja selbst die von Goethe hochgeschätzte und übersetzte köstliche Satire „I^e neveu ac Kameau" werden, namentlich von französischen Kritikern, getadelt. Man wird aber zu¬ geben müssen, daß diese Werke, wenn auch vom Alter nicht ganz unberührt, den Stempel eines an Ideen, Geist und Witz reichen Kopfes tragen und eine bedeutende Kunst der Schilderung bekunden. Sie werden freilich wohl immer ein Gericht für Feinschmecker bleiben. Als Kunstrichter hat Diderot eine fruchtbare Tätigkeit entfaltet. Seine „Salons", die Berichte über die Kunstausstellungen von 1759 bis 1781 sind von bleibendem Wert. In seinem IZ88av 8ur la peinture, den Goethe teil¬ weise erläuterte und kritisierte, hat er sich allerdings in manche Widersprüche verwickelt und gezeigt, daß er kein Systematiker ist. Seine größte Stärke lag in der mündlichen Rede; er war berühmt als geistreicher hinreißender ca,u8cur. Es wurde förmlich Mode, ihn zu besuchen, und mancher deutsche Fürst ist zu ihm in seine bescheidene Wohnung hinauf¬ gestiegen. Mit Friedrich dem Zweiten von Preußen kam er nicht in Berührung; der große König fand ihn wohl allzusehr ,.hour^col8", auch soll er es Diderot übel genommen haben, daß dieser in Friedrichs französischen Versen Spuren des märkischen Sandes zu finden glaubte. Übrigens ist Diderot Mitglied der Berliner Akademie geworden, während ihm die französische Akademie verschlossen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/54>, abgerufen am 22.07.2024.