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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Denis Diderot

Rousseau. Im Prospekt erwähnt Diderot, daß Former", der ständige Sekretär
der Berliner Akademie*), ein ähnliches Werk geplant und ihm in liebenswürdigster
Weise seine Vorarbeiten dazu überlassen habe.

Die Enzyklopädie wurde als nationale Tat freudig begrüßt; sie sollte ein
ehrfurchtgebietendes Bild der Kultur der Zeit sein, ein Bollwerk sür geistige
Freiheit und gegen Finsternis und Rückschritt jeder Art. Die Seele des ganzen
war Diderot. Welche Arbeitslast er zu bewältigen hatte, zeigt die Zahl und
der Inhalt der von ihm verfaßten Artikel. Er schrieb über Religionsgeschichte,
Philosophie. Staatsrecht, Politik, Land- und Volkswirtschaft. Grammatik,
Poetik, Rhetorik. Besonders wichtig war ihm die Beschreibung der Gewerbe
und technischen Künste. Es war ein ganz neuartiges Unternehmen. Das Hand¬
werk sollte in seine Ehren eingesetzt und den sonstigen Tätigkeiten des Menschen
gleichgestellt werden. "Niemals vielleicht hat es so viele Schwierigkeiten ver¬
einigt gegeben und so wenig Hilfe, sie zu überwinden", sagt Diderot selbst. Es
galt, die einzelnen Werkstätten zu besuchen, mit den Arbeitern zu reden, die
Arbeitsgeräte und Maschinen zu besichtigen und sie dann zu beschreiben und zu
zeichnen oder zeichnen zu lassen. Während Chambers dreißig Tafeln mit Ab¬
bildungen bot. hatte die französische Enzyklopädie deren eintausendzweihundert
aufzuweisen. Die Herausgabe des Werkes dauerte von 1751 bis 1772. Es ist in
alphabetischer Ordnung aufgestellt und das Vorbild unserer Konversationslexika
geworden, welche ja allerdings keinen anderen Zweck als den der Belehrung haben.
Offiziell stand die Enzyklopädie auf theistischem Standpunkt, aber in verhüllter
Form erstrebte sie den Sieg des freien, durch keine Glaubenslehre beschränkten
Denkens. Ebenso kämpfte sie für politische Freiheit. Wer Diderots Ansichten
kennt, wird zum Beispiel seinen Artikel über Jesus Christus mit einigem
Erstaunen lesen. Er bezeichnet Christus als den Stifter der christlichen Religion,
die man "la pnilvsopkis par sxcellenLs" nenne; wie um sich zu rechtfertigen,
fügt er hinzu: Mrler liMUl-sussment, ^ösus-LKnZt us tut point un
vnilosopne, es kut un visu." Gewagt war feine Äußerung im Artikel
"/mtonte": "/^ULMi Komme na recu cke la nature >e äroit ac commancksr
aux Äurres." Diderot selbst verrät uns sein Geheimnis. Bei wichtigen und
verfänglichen Fragen trägt er in: Hauptartikel die offizielle Meinung im Ton
des Berichterstatters vor, die Kritik und der Zweifel verstecken sich in Neben¬
artikel, auf die er verweist. Es ist ihm gelungen, das Schiff der Enzyklopädie
glücklich durch die Klippen zu steuern, die es bedrohten; dazu hat auch die
unsichere Haltung der Regierung mitgeholfen.

Die gewaltige Arbeit für die Enzyklopädie erschöpfte diesen rastlosen Geist
nicht. Aus allen Lebensgebieten strömten ihm Gedanken zu; allenthalben fand
er Fehlerhaftes zu verbessern, erstarrte Formen zu durchbrechen. Insbesondere



*) Joh. Heinr, Formey aus einer Refugiöfmnilie in Berlin geboren 1711. gestorben 1797,
schrieb über Philosophie, Theologie. Physik u, a.
Denis Diderot

Rousseau. Im Prospekt erwähnt Diderot, daß Former», der ständige Sekretär
der Berliner Akademie*), ein ähnliches Werk geplant und ihm in liebenswürdigster
Weise seine Vorarbeiten dazu überlassen habe.

Die Enzyklopädie wurde als nationale Tat freudig begrüßt; sie sollte ein
ehrfurchtgebietendes Bild der Kultur der Zeit sein, ein Bollwerk sür geistige
Freiheit und gegen Finsternis und Rückschritt jeder Art. Die Seele des ganzen
war Diderot. Welche Arbeitslast er zu bewältigen hatte, zeigt die Zahl und
der Inhalt der von ihm verfaßten Artikel. Er schrieb über Religionsgeschichte,
Philosophie. Staatsrecht, Politik, Land- und Volkswirtschaft. Grammatik,
Poetik, Rhetorik. Besonders wichtig war ihm die Beschreibung der Gewerbe
und technischen Künste. Es war ein ganz neuartiges Unternehmen. Das Hand¬
werk sollte in seine Ehren eingesetzt und den sonstigen Tätigkeiten des Menschen
gleichgestellt werden. „Niemals vielleicht hat es so viele Schwierigkeiten ver¬
einigt gegeben und so wenig Hilfe, sie zu überwinden", sagt Diderot selbst. Es
galt, die einzelnen Werkstätten zu besuchen, mit den Arbeitern zu reden, die
Arbeitsgeräte und Maschinen zu besichtigen und sie dann zu beschreiben und zu
zeichnen oder zeichnen zu lassen. Während Chambers dreißig Tafeln mit Ab¬
bildungen bot. hatte die französische Enzyklopädie deren eintausendzweihundert
aufzuweisen. Die Herausgabe des Werkes dauerte von 1751 bis 1772. Es ist in
alphabetischer Ordnung aufgestellt und das Vorbild unserer Konversationslexika
geworden, welche ja allerdings keinen anderen Zweck als den der Belehrung haben.
Offiziell stand die Enzyklopädie auf theistischem Standpunkt, aber in verhüllter
Form erstrebte sie den Sieg des freien, durch keine Glaubenslehre beschränkten
Denkens. Ebenso kämpfte sie für politische Freiheit. Wer Diderots Ansichten
kennt, wird zum Beispiel seinen Artikel über Jesus Christus mit einigem
Erstaunen lesen. Er bezeichnet Christus als den Stifter der christlichen Religion,
die man „la pnilvsopkis par sxcellenLs" nenne; wie um sich zu rechtfertigen,
fügt er hinzu: Mrler liMUl-sussment, ^ösus-LKnZt us tut point un
vnilosopne, es kut un visu." Gewagt war feine Äußerung im Artikel
„/mtonte": „/^ULMi Komme na recu cke la nature >e äroit ac commancksr
aux Äurres." Diderot selbst verrät uns sein Geheimnis. Bei wichtigen und
verfänglichen Fragen trägt er in: Hauptartikel die offizielle Meinung im Ton
des Berichterstatters vor, die Kritik und der Zweifel verstecken sich in Neben¬
artikel, auf die er verweist. Es ist ihm gelungen, das Schiff der Enzyklopädie
glücklich durch die Klippen zu steuern, die es bedrohten; dazu hat auch die
unsichere Haltung der Regierung mitgeholfen.

Die gewaltige Arbeit für die Enzyklopädie erschöpfte diesen rastlosen Geist
nicht. Aus allen Lebensgebieten strömten ihm Gedanken zu; allenthalben fand
er Fehlerhaftes zu verbessern, erstarrte Formen zu durchbrechen. Insbesondere



*) Joh. Heinr, Formey aus einer Refugiöfmnilie in Berlin geboren 1711. gestorben 1797,
schrieb über Philosophie, Theologie. Physik u, a.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/53>, abgerufen am 22.07.2024.