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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Imperialismus, Sozialismus und anderes

Das unmittelbare Ergebnis dieser imperialistischen Kolonialpolitik liegt klar
zutage: das immer mehr sich festigende Weltreich Englands, Frankreichs
Kolonialreich, Rußlands, Japans. Amerikas Ausdehnung -- und all das in
den letzten dreißig imperialistischen Jahren entstanden ---. sie bezeugen die
Richtigkeit der Auffassung, daß die moderne Kolonialpolitik nicht nur eine Be¬
gleiterscheinung, sondern eine unmittelbare Folge des Imperialismus ist.

Aber die mittelbaren Folgen des Imperialismus gehen wohl noch weiter;
und wenn man auch sehr viele Entschlüsse der modernen Politik nicht als aus
imperialistischen Geist heraus unternommen bezeichnen kann, so wird sich doch
oft feststellen lassen, daß manche Unternehmung nur dem Umstand ihre Aus¬
führung verdankt, daß die Nachbarstaaten imperialistische Politik trieben. Es
wäre sicher verfehlt, Bismarck, diesen wundervollen Schlußstein des individua¬
listisch-nationalen Zeitalters, als Imperialisten in Anspruch zu nehmen -- ob¬
wohl er sicher einer gewesen wäre, hätte er in unserer Zeit gelebt --, aber die
Vermutung erscheint gerechtfertigt, daß er die afrikanischen Kolonien erst dann
dem Reich erwarb, nachdem der englische und französische Imperialismus eine
völlige Aufteilung Afrikas unter Ausschluß Deutschlands wahrscheinlich gemacht
hatte. Um für diese Vermutung den schlüssigen Beweis zu liefern, bedürfte es
einer Untersuchung Bismarckscher Kolonialpolitik, die den Rahmen dieser Ent¬
gegnung weit überschreiten würde. Es wäre dabei vor allem zu prüfen,
welches die Beweggründe waren, die Bismarck, den noch im Anfang der achtziger
Jahre wohlwollenden Zuschauer französischer Kolonialpläne, zum aktiven Kolonial-
politiker werden ließen; wie weit die Änderung seiner wirtschaftspolitischen An¬
schauungen bei dem Übergang zum Schutzzoll auf seine kolonialpolitischen An¬
schauungen gewirkt haben; oder ob es schließlich nur das Bestreben war.
deutschen Reichsangehörigen. Peters und Lüderitz. Schutz und Rückhalt zu ge¬
währen, das ihn gewissermaßen ohne seinen Willen in die aktive Kolonial¬
politik hineintrieb. Daß jedenfalls in der Nation der Antrieb erwachte, sich in
überseeischen Ländern festzusetzen, das wird man den Anregungen zuschreiben
müssen, die aus den imperialistisch schon fortgeschrittenen und darum kolonisa¬
torisch tätigeren Nachbarländern herüberkamen. Und daß der Eroberer unserer
größten Kolonie. Carl Peters, von dem Geist des modernen Imperialismus
beseelt war, wird er selbst bestätigen.

Aus alledem möchte ich den Schluß ziehen, daß Imperialismus und
moderne Kolonialpolitik untrennbar miteinander verbunden sind, und daß je
stärker der Imperialismus Gemeingut eines Volkes geworden ist, desto nach¬
haltiger auch die Kolonialpolitik dieses Volkes ist.

Noch über einen anderen Punkt bin ich mit dem Verfasser des Artikels in
der Kölnischen Zeitung nicht einer Ansicht, oder ich fürchte vielmehr, daß ich
bei eingehender Aussprache nicht einer Ansicht mit ihm sein würde. Denn er
zieht im Anschluß an die Besprechung meiner theoretischen Erörterungen den
deutschen Imperialismus in den Kreis seiner Betrachtung, und mir scheint, als


Imperialismus, Sozialismus und anderes

Das unmittelbare Ergebnis dieser imperialistischen Kolonialpolitik liegt klar
zutage: das immer mehr sich festigende Weltreich Englands, Frankreichs
Kolonialreich, Rußlands, Japans. Amerikas Ausdehnung — und all das in
den letzten dreißig imperialistischen Jahren entstanden -—. sie bezeugen die
Richtigkeit der Auffassung, daß die moderne Kolonialpolitik nicht nur eine Be¬
gleiterscheinung, sondern eine unmittelbare Folge des Imperialismus ist.

Aber die mittelbaren Folgen des Imperialismus gehen wohl noch weiter;
und wenn man auch sehr viele Entschlüsse der modernen Politik nicht als aus
imperialistischen Geist heraus unternommen bezeichnen kann, so wird sich doch
oft feststellen lassen, daß manche Unternehmung nur dem Umstand ihre Aus¬
führung verdankt, daß die Nachbarstaaten imperialistische Politik trieben. Es
wäre sicher verfehlt, Bismarck, diesen wundervollen Schlußstein des individua¬
listisch-nationalen Zeitalters, als Imperialisten in Anspruch zu nehmen — ob¬
wohl er sicher einer gewesen wäre, hätte er in unserer Zeit gelebt —, aber die
Vermutung erscheint gerechtfertigt, daß er die afrikanischen Kolonien erst dann
dem Reich erwarb, nachdem der englische und französische Imperialismus eine
völlige Aufteilung Afrikas unter Ausschluß Deutschlands wahrscheinlich gemacht
hatte. Um für diese Vermutung den schlüssigen Beweis zu liefern, bedürfte es
einer Untersuchung Bismarckscher Kolonialpolitik, die den Rahmen dieser Ent¬
gegnung weit überschreiten würde. Es wäre dabei vor allem zu prüfen,
welches die Beweggründe waren, die Bismarck, den noch im Anfang der achtziger
Jahre wohlwollenden Zuschauer französischer Kolonialpläne, zum aktiven Kolonial-
politiker werden ließen; wie weit die Änderung seiner wirtschaftspolitischen An¬
schauungen bei dem Übergang zum Schutzzoll auf seine kolonialpolitischen An¬
schauungen gewirkt haben; oder ob es schließlich nur das Bestreben war.
deutschen Reichsangehörigen. Peters und Lüderitz. Schutz und Rückhalt zu ge¬
währen, das ihn gewissermaßen ohne seinen Willen in die aktive Kolonial¬
politik hineintrieb. Daß jedenfalls in der Nation der Antrieb erwachte, sich in
überseeischen Ländern festzusetzen, das wird man den Anregungen zuschreiben
müssen, die aus den imperialistisch schon fortgeschrittenen und darum kolonisa¬
torisch tätigeren Nachbarländern herüberkamen. Und daß der Eroberer unserer
größten Kolonie. Carl Peters, von dem Geist des modernen Imperialismus
beseelt war, wird er selbst bestätigen.

Aus alledem möchte ich den Schluß ziehen, daß Imperialismus und
moderne Kolonialpolitik untrennbar miteinander verbunden sind, und daß je
stärker der Imperialismus Gemeingut eines Volkes geworden ist, desto nach¬
haltiger auch die Kolonialpolitik dieses Volkes ist.

Noch über einen anderen Punkt bin ich mit dem Verfasser des Artikels in
der Kölnischen Zeitung nicht einer Ansicht, oder ich fürchte vielmehr, daß ich
bei eingehender Aussprache nicht einer Ansicht mit ihm sein würde. Denn er
zieht im Anschluß an die Besprechung meiner theoretischen Erörterungen den
deutschen Imperialismus in den Kreis seiner Betrachtung, und mir scheint, als


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[0497] Imperialismus, Sozialismus und anderes Das unmittelbare Ergebnis dieser imperialistischen Kolonialpolitik liegt klar zutage: das immer mehr sich festigende Weltreich Englands, Frankreichs Kolonialreich, Rußlands, Japans. Amerikas Ausdehnung — und all das in den letzten dreißig imperialistischen Jahren entstanden -—. sie bezeugen die Richtigkeit der Auffassung, daß die moderne Kolonialpolitik nicht nur eine Be¬ gleiterscheinung, sondern eine unmittelbare Folge des Imperialismus ist. Aber die mittelbaren Folgen des Imperialismus gehen wohl noch weiter; und wenn man auch sehr viele Entschlüsse der modernen Politik nicht als aus imperialistischen Geist heraus unternommen bezeichnen kann, so wird sich doch oft feststellen lassen, daß manche Unternehmung nur dem Umstand ihre Aus¬ führung verdankt, daß die Nachbarstaaten imperialistische Politik trieben. Es wäre sicher verfehlt, Bismarck, diesen wundervollen Schlußstein des individua¬ listisch-nationalen Zeitalters, als Imperialisten in Anspruch zu nehmen — ob¬ wohl er sicher einer gewesen wäre, hätte er in unserer Zeit gelebt —, aber die Vermutung erscheint gerechtfertigt, daß er die afrikanischen Kolonien erst dann dem Reich erwarb, nachdem der englische und französische Imperialismus eine völlige Aufteilung Afrikas unter Ausschluß Deutschlands wahrscheinlich gemacht hatte. Um für diese Vermutung den schlüssigen Beweis zu liefern, bedürfte es einer Untersuchung Bismarckscher Kolonialpolitik, die den Rahmen dieser Ent¬ gegnung weit überschreiten würde. Es wäre dabei vor allem zu prüfen, welches die Beweggründe waren, die Bismarck, den noch im Anfang der achtziger Jahre wohlwollenden Zuschauer französischer Kolonialpläne, zum aktiven Kolonial- politiker werden ließen; wie weit die Änderung seiner wirtschaftspolitischen An¬ schauungen bei dem Übergang zum Schutzzoll auf seine kolonialpolitischen An¬ schauungen gewirkt haben; oder ob es schließlich nur das Bestreben war. deutschen Reichsangehörigen. Peters und Lüderitz. Schutz und Rückhalt zu ge¬ währen, das ihn gewissermaßen ohne seinen Willen in die aktive Kolonial¬ politik hineintrieb. Daß jedenfalls in der Nation der Antrieb erwachte, sich in überseeischen Ländern festzusetzen, das wird man den Anregungen zuschreiben müssen, die aus den imperialistisch schon fortgeschrittenen und darum kolonisa¬ torisch tätigeren Nachbarländern herüberkamen. Und daß der Eroberer unserer größten Kolonie. Carl Peters, von dem Geist des modernen Imperialismus beseelt war, wird er selbst bestätigen. Aus alledem möchte ich den Schluß ziehen, daß Imperialismus und moderne Kolonialpolitik untrennbar miteinander verbunden sind, und daß je stärker der Imperialismus Gemeingut eines Volkes geworden ist, desto nach¬ haltiger auch die Kolonialpolitik dieses Volkes ist. Noch über einen anderen Punkt bin ich mit dem Verfasser des Artikels in der Kölnischen Zeitung nicht einer Ansicht, oder ich fürchte vielmehr, daß ich bei eingehender Aussprache nicht einer Ansicht mit ihm sein würde. Denn er zieht im Anschluß an die Besprechung meiner theoretischen Erörterungen den deutschen Imperialismus in den Kreis seiner Betrachtung, und mir scheint, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/497>, abgerufen am 24.08.2024.