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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Imperialismus, Socialismus und anderes

ob er zwar einem deutschen Imperialismus das Wort redete, aber einem Im¬
perialismus mit Modifikationen und Konzessionen, einer Art Imperialismus
zweiter Klasse. Er meint, daß ich -- in meinen theoretischen Auseinander¬
setzungen -- zu viel für den Imperialismus in Anspruch nehme und somit zu
einer nicht richtigen Einschätzung dessen gelange, was der Imperialismus sei
und sein könne, besonders vom deutschen Standpunkt aus. Nachdem er dann
den englischen Imperialismus charakterisiert hat, fährt er weiter fort: "Im
übrigen ist für uns, die bei der Weltverteilung zu spät Gekommenen, die wir
stärkeren Imperialismen anderer Völker gegenüberstehen, der Imperialismus eine
Aufgabe anderer Art." Während weiter die Ziele des russischen, englischen,
französischen Imperialismus feststanden, seien die Ziele des deutschen Im¬
perialismus keineswegs fest umrissen.

Ich möchte mich hier nicht auf die Frage der praktischen Anwendung
eines deutschen Imperialismus einlassen -- hierüber gibt übrigens ein Artikel
von Darms in Heft 21 Jahrg. 1913 der Grenzboten einige Anhaltspunkte --,
sondern ich möchte mich auf einige theoretische Bemerkungen beschränken. An¬
genommen den Fall, daß die deutsche Politik später einmal nach imperialistischen
Gesichtspunkten gelenkt werden sollte, so würde ich es für verfehlt halten, sie
in die Wege zu leiten mit dem Bewußtsein des "bei der Weltverteilung zu
spät Gekommenen", der die anderen Imperialismen als stärker anerkennt, der
dem deutschen Imperialismus schon eine Aufgabe anderer Art zuweist. Das
wäre ein resignierter, satter Bourgeois-Imperialismus, der sich mit anderen
Imperialismen dadurch auseinandersetzen würde, daß er ihnen aus dem Wege
geht -- theoretisch mit dem Begriff unvereinbar und, was wichtiger ist, praktisch
zum Scheitern verurteilt. Der Imperialismus ist -- um Ausdrücke des Kirchen¬
rechts zu gebrauchen -- keine quietistische Gemeinschaft, sondern eine eLLle8la
militan8. Ich könnte die Ansicht verstehen, obwohl ich sie nicht teile, daß
Deutschland sich überhaupt jeder imperialistischen Politik enthalten und seinen
kontinentalen Aufgaben leben solle; aber ich fände es unbegreiflich, Deutsch¬
land mit dem Glanz einer Weltpolitik umgeben zu wollen, ohne doch bereit zu
sein, die letzten Folgen aus diesem Entschluß zu ziehen.

Dem, der sich scheut, im gegebenen Fall bis zum Äußersten zu gehen und
das Letzte auf sich zu nehmen, wird immer der entscheidende Erfolg versagt
sein. Dem Gegner teilt sich das Gefühl, daß der andere im Notfall "auch
anders" nämlich zurück kann, instinktiv mit und bestärkt ihn in seinem Wider¬
stand. Darum müßte eine deutsche imperialistische Politik sich ebenbürtig und
mit gleichen Ansprüchen in die Reihe der anderen stellen. Wer mit dem Be¬
wußtsein in den Kampf geht, daß seine Ansprüche anderer, schwächerer Art
seien, daß er zu spät gekommen sei, der hat den Kampf von vornherein
verloren.




Imperialismus, Socialismus und anderes

ob er zwar einem deutschen Imperialismus das Wort redete, aber einem Im¬
perialismus mit Modifikationen und Konzessionen, einer Art Imperialismus
zweiter Klasse. Er meint, daß ich — in meinen theoretischen Auseinander¬
setzungen — zu viel für den Imperialismus in Anspruch nehme und somit zu
einer nicht richtigen Einschätzung dessen gelange, was der Imperialismus sei
und sein könne, besonders vom deutschen Standpunkt aus. Nachdem er dann
den englischen Imperialismus charakterisiert hat, fährt er weiter fort: „Im
übrigen ist für uns, die bei der Weltverteilung zu spät Gekommenen, die wir
stärkeren Imperialismen anderer Völker gegenüberstehen, der Imperialismus eine
Aufgabe anderer Art." Während weiter die Ziele des russischen, englischen,
französischen Imperialismus feststanden, seien die Ziele des deutschen Im¬
perialismus keineswegs fest umrissen.

Ich möchte mich hier nicht auf die Frage der praktischen Anwendung
eines deutschen Imperialismus einlassen — hierüber gibt übrigens ein Artikel
von Darms in Heft 21 Jahrg. 1913 der Grenzboten einige Anhaltspunkte —,
sondern ich möchte mich auf einige theoretische Bemerkungen beschränken. An¬
genommen den Fall, daß die deutsche Politik später einmal nach imperialistischen
Gesichtspunkten gelenkt werden sollte, so würde ich es für verfehlt halten, sie
in die Wege zu leiten mit dem Bewußtsein des „bei der Weltverteilung zu
spät Gekommenen", der die anderen Imperialismen als stärker anerkennt, der
dem deutschen Imperialismus schon eine Aufgabe anderer Art zuweist. Das
wäre ein resignierter, satter Bourgeois-Imperialismus, der sich mit anderen
Imperialismen dadurch auseinandersetzen würde, daß er ihnen aus dem Wege
geht — theoretisch mit dem Begriff unvereinbar und, was wichtiger ist, praktisch
zum Scheitern verurteilt. Der Imperialismus ist — um Ausdrücke des Kirchen¬
rechts zu gebrauchen — keine quietistische Gemeinschaft, sondern eine eLLle8la
militan8. Ich könnte die Ansicht verstehen, obwohl ich sie nicht teile, daß
Deutschland sich überhaupt jeder imperialistischen Politik enthalten und seinen
kontinentalen Aufgaben leben solle; aber ich fände es unbegreiflich, Deutsch¬
land mit dem Glanz einer Weltpolitik umgeben zu wollen, ohne doch bereit zu
sein, die letzten Folgen aus diesem Entschluß zu ziehen.

Dem, der sich scheut, im gegebenen Fall bis zum Äußersten zu gehen und
das Letzte auf sich zu nehmen, wird immer der entscheidende Erfolg versagt
sein. Dem Gegner teilt sich das Gefühl, daß der andere im Notfall „auch
anders" nämlich zurück kann, instinktiv mit und bestärkt ihn in seinem Wider¬
stand. Darum müßte eine deutsche imperialistische Politik sich ebenbürtig und
mit gleichen Ansprüchen in die Reihe der anderen stellen. Wer mit dem Be¬
wußtsein in den Kampf geht, daß seine Ansprüche anderer, schwächerer Art
seien, daß er zu spät gekommen sei, der hat den Kampf von vornherein
verloren.




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[0498] Imperialismus, Socialismus und anderes ob er zwar einem deutschen Imperialismus das Wort redete, aber einem Im¬ perialismus mit Modifikationen und Konzessionen, einer Art Imperialismus zweiter Klasse. Er meint, daß ich — in meinen theoretischen Auseinander¬ setzungen — zu viel für den Imperialismus in Anspruch nehme und somit zu einer nicht richtigen Einschätzung dessen gelange, was der Imperialismus sei und sein könne, besonders vom deutschen Standpunkt aus. Nachdem er dann den englischen Imperialismus charakterisiert hat, fährt er weiter fort: „Im übrigen ist für uns, die bei der Weltverteilung zu spät Gekommenen, die wir stärkeren Imperialismen anderer Völker gegenüberstehen, der Imperialismus eine Aufgabe anderer Art." Während weiter die Ziele des russischen, englischen, französischen Imperialismus feststanden, seien die Ziele des deutschen Im¬ perialismus keineswegs fest umrissen. Ich möchte mich hier nicht auf die Frage der praktischen Anwendung eines deutschen Imperialismus einlassen — hierüber gibt übrigens ein Artikel von Darms in Heft 21 Jahrg. 1913 der Grenzboten einige Anhaltspunkte —, sondern ich möchte mich auf einige theoretische Bemerkungen beschränken. An¬ genommen den Fall, daß die deutsche Politik später einmal nach imperialistischen Gesichtspunkten gelenkt werden sollte, so würde ich es für verfehlt halten, sie in die Wege zu leiten mit dem Bewußtsein des „bei der Weltverteilung zu spät Gekommenen", der die anderen Imperialismen als stärker anerkennt, der dem deutschen Imperialismus schon eine Aufgabe anderer Art zuweist. Das wäre ein resignierter, satter Bourgeois-Imperialismus, der sich mit anderen Imperialismen dadurch auseinandersetzen würde, daß er ihnen aus dem Wege geht — theoretisch mit dem Begriff unvereinbar und, was wichtiger ist, praktisch zum Scheitern verurteilt. Der Imperialismus ist — um Ausdrücke des Kirchen¬ rechts zu gebrauchen — keine quietistische Gemeinschaft, sondern eine eLLle8la militan8. Ich könnte die Ansicht verstehen, obwohl ich sie nicht teile, daß Deutschland sich überhaupt jeder imperialistischen Politik enthalten und seinen kontinentalen Aufgaben leben solle; aber ich fände es unbegreiflich, Deutsch¬ land mit dem Glanz einer Weltpolitik umgeben zu wollen, ohne doch bereit zu sein, die letzten Folgen aus diesem Entschluß zu ziehen. Dem, der sich scheut, im gegebenen Fall bis zum Äußersten zu gehen und das Letzte auf sich zu nehmen, wird immer der entscheidende Erfolg versagt sein. Dem Gegner teilt sich das Gefühl, daß der andere im Notfall „auch anders" nämlich zurück kann, instinktiv mit und bestärkt ihn in seinem Wider¬ stand. Darum müßte eine deutsche imperialistische Politik sich ebenbürtig und mit gleichen Ansprüchen in die Reihe der anderen stellen. Wer mit dem Be¬ wußtsein in den Kampf geht, daß seine Ansprüche anderer, schwächerer Art seien, daß er zu spät gekommen sei, der hat den Kampf von vornherein verloren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/498>, abgerufen am 02.10.2024.