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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Thronverzicht und Legitimismus

Glücksburg, der als Nachfolger Friedrichs des Siebenten ausersehen war, zu
verzichten. Der Herzog tat es unter dem harten Druck der Verhältnisse und
erkannte -- zugleich "im Namen seiner Nachkommen" -- das Londoner Pro¬
tokoll von 1852 feierlich als für ihn und sein Haus rechtsverbindlich an. Über
den Protest seines ältesten Sohnes, des Prinzen Friedrich, ging die diplomatische Welt
mit vollkommener Nichtbeachtung hinweg. Das hinderte aber eben diesen Prinzen
Friedrich nicht im geringsten, beim Tode Friedrichs des Siebenten sogleich sein
von ihm niemals aufgegebenes, nach seiner Überzeugung seinem Hause zu¬
kommendes Recht als Herzog von Schleswig-Holstein in Anspruch zu nehmen.
Niemand hat sich darüber gewundert; im Gegenteil, Tausende, ja die Mehrheit
derer, die es anging, hat es anerkannt und sich begeistert dafür eingesetzt. Gewiß
hat Herzog Friedrich damals Gegner gehabt, nicht nur im dänischen Lager,
sondern auch in Deutschland, die sein Recht aus Gründen der praktischen Politik
bekämpften oder aus staatsrechtlichen Gründen anzweifelten. Aber einen Vor¬
wurf, daß er über den Verzicht seines Vaters hinwegging, hat ihm niemand
gemacht. Das galt als ganz selbstverständlich, wie dergleichen überall und
zu allen Zeiten als selbstverständlich gelten wird, wo man an das Vor¬
handensein eines idealen Rechts glaubt, das unabhängig von seinem je¬
weiligen Träger besteht, über das daher auch von einem einzelnen nicht verfügt
werden kann.

Es gibt also nur zwei Mittel, sich gegen solche Ansprüche, die man aus
triftigen Gründen nicht anerkennen kann, zu sichern. Das eine besteht darin,
daß man im Besitz der tatsächlichen Macht den Anspruch, den man nicht aner¬
kennen kann und darf, ignoriert und nur dafür sorgt, daß die Macht, diesen
Anspruch abzuwehren, nicht verloren geht. Im Leben der Völker behauptet sich
als Recht auf die Dauer nur das, was den wirklichen Machtverhältnissen ent¬
spricht, weil nur diese dafür bestimmend sein können, was als Staatsinteresse
im wahren Sinne zu gelten hat. Deshalb kann man ruhig der Wirkung der
Zeit vertrauen, die im bisherigen Verlaufe der Weltgeschichte noch jedesmal aus
einer gewissenhaft im Sinne vernünftiger geschichtlicher Entwicklung geübten
Macht zuletzt ein allgemein anerkanntes Recht gemacht hat. Die Welsen, die
eine geschichtlich notwendige Entwicklung zmückrevidieren wollen, werden an dieser
unausbleiblichen Wirkung der Zeit einmal zerschellen, und auch Fehler und
lokale Ungeschicklichkeiten der preußischen Verwaltung in der Provinz Hannover
werden diesen Prozeß höchstens verzögern, aber nicht aufhalten können. Von
den Angehörigen unserer nationalen Parteien hätte gewiß die Mehrzahl es lieber
gesehen, wenn man sich des hier gekennzeichneten Mittels bedient hätte, um der
welfischen Ansprüche durch dauernde, kühle Ablehnung Herr zu werden. Aber
wenn man auch bedauert, daß es anders gekommen ist, so hilft uns doch dieses
Bedauern jetzt keinen Schritt weiter. Denn die Tatsache bleibt: durch die Ver¬
mählung der Kaisertochter und die Veränderung in den persönlichen Beziehungen
der Dynastien ist es nun einmal anders geworden, und deshalb mußte für die


Thronverzicht und Legitimismus

Glücksburg, der als Nachfolger Friedrichs des Siebenten ausersehen war, zu
verzichten. Der Herzog tat es unter dem harten Druck der Verhältnisse und
erkannte — zugleich „im Namen seiner Nachkommen" — das Londoner Pro¬
tokoll von 1852 feierlich als für ihn und sein Haus rechtsverbindlich an. Über
den Protest seines ältesten Sohnes, des Prinzen Friedrich, ging die diplomatische Welt
mit vollkommener Nichtbeachtung hinweg. Das hinderte aber eben diesen Prinzen
Friedrich nicht im geringsten, beim Tode Friedrichs des Siebenten sogleich sein
von ihm niemals aufgegebenes, nach seiner Überzeugung seinem Hause zu¬
kommendes Recht als Herzog von Schleswig-Holstein in Anspruch zu nehmen.
Niemand hat sich darüber gewundert; im Gegenteil, Tausende, ja die Mehrheit
derer, die es anging, hat es anerkannt und sich begeistert dafür eingesetzt. Gewiß
hat Herzog Friedrich damals Gegner gehabt, nicht nur im dänischen Lager,
sondern auch in Deutschland, die sein Recht aus Gründen der praktischen Politik
bekämpften oder aus staatsrechtlichen Gründen anzweifelten. Aber einen Vor¬
wurf, daß er über den Verzicht seines Vaters hinwegging, hat ihm niemand
gemacht. Das galt als ganz selbstverständlich, wie dergleichen überall und
zu allen Zeiten als selbstverständlich gelten wird, wo man an das Vor¬
handensein eines idealen Rechts glaubt, das unabhängig von seinem je¬
weiligen Träger besteht, über das daher auch von einem einzelnen nicht verfügt
werden kann.

Es gibt also nur zwei Mittel, sich gegen solche Ansprüche, die man aus
triftigen Gründen nicht anerkennen kann, zu sichern. Das eine besteht darin,
daß man im Besitz der tatsächlichen Macht den Anspruch, den man nicht aner¬
kennen kann und darf, ignoriert und nur dafür sorgt, daß die Macht, diesen
Anspruch abzuwehren, nicht verloren geht. Im Leben der Völker behauptet sich
als Recht auf die Dauer nur das, was den wirklichen Machtverhältnissen ent¬
spricht, weil nur diese dafür bestimmend sein können, was als Staatsinteresse
im wahren Sinne zu gelten hat. Deshalb kann man ruhig der Wirkung der
Zeit vertrauen, die im bisherigen Verlaufe der Weltgeschichte noch jedesmal aus
einer gewissenhaft im Sinne vernünftiger geschichtlicher Entwicklung geübten
Macht zuletzt ein allgemein anerkanntes Recht gemacht hat. Die Welsen, die
eine geschichtlich notwendige Entwicklung zmückrevidieren wollen, werden an dieser
unausbleiblichen Wirkung der Zeit einmal zerschellen, und auch Fehler und
lokale Ungeschicklichkeiten der preußischen Verwaltung in der Provinz Hannover
werden diesen Prozeß höchstens verzögern, aber nicht aufhalten können. Von
den Angehörigen unserer nationalen Parteien hätte gewiß die Mehrzahl es lieber
gesehen, wenn man sich des hier gekennzeichneten Mittels bedient hätte, um der
welfischen Ansprüche durch dauernde, kühle Ablehnung Herr zu werden. Aber
wenn man auch bedauert, daß es anders gekommen ist, so hilft uns doch dieses
Bedauern jetzt keinen Schritt weiter. Denn die Tatsache bleibt: durch die Ver¬
mählung der Kaisertochter und die Veränderung in den persönlichen Beziehungen
der Dynastien ist es nun einmal anders geworden, und deshalb mußte für die


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[0449] Thronverzicht und Legitimismus Glücksburg, der als Nachfolger Friedrichs des Siebenten ausersehen war, zu verzichten. Der Herzog tat es unter dem harten Druck der Verhältnisse und erkannte — zugleich „im Namen seiner Nachkommen" — das Londoner Pro¬ tokoll von 1852 feierlich als für ihn und sein Haus rechtsverbindlich an. Über den Protest seines ältesten Sohnes, des Prinzen Friedrich, ging die diplomatische Welt mit vollkommener Nichtbeachtung hinweg. Das hinderte aber eben diesen Prinzen Friedrich nicht im geringsten, beim Tode Friedrichs des Siebenten sogleich sein von ihm niemals aufgegebenes, nach seiner Überzeugung seinem Hause zu¬ kommendes Recht als Herzog von Schleswig-Holstein in Anspruch zu nehmen. Niemand hat sich darüber gewundert; im Gegenteil, Tausende, ja die Mehrheit derer, die es anging, hat es anerkannt und sich begeistert dafür eingesetzt. Gewiß hat Herzog Friedrich damals Gegner gehabt, nicht nur im dänischen Lager, sondern auch in Deutschland, die sein Recht aus Gründen der praktischen Politik bekämpften oder aus staatsrechtlichen Gründen anzweifelten. Aber einen Vor¬ wurf, daß er über den Verzicht seines Vaters hinwegging, hat ihm niemand gemacht. Das galt als ganz selbstverständlich, wie dergleichen überall und zu allen Zeiten als selbstverständlich gelten wird, wo man an das Vor¬ handensein eines idealen Rechts glaubt, das unabhängig von seinem je¬ weiligen Träger besteht, über das daher auch von einem einzelnen nicht verfügt werden kann. Es gibt also nur zwei Mittel, sich gegen solche Ansprüche, die man aus triftigen Gründen nicht anerkennen kann, zu sichern. Das eine besteht darin, daß man im Besitz der tatsächlichen Macht den Anspruch, den man nicht aner¬ kennen kann und darf, ignoriert und nur dafür sorgt, daß die Macht, diesen Anspruch abzuwehren, nicht verloren geht. Im Leben der Völker behauptet sich als Recht auf die Dauer nur das, was den wirklichen Machtverhältnissen ent¬ spricht, weil nur diese dafür bestimmend sein können, was als Staatsinteresse im wahren Sinne zu gelten hat. Deshalb kann man ruhig der Wirkung der Zeit vertrauen, die im bisherigen Verlaufe der Weltgeschichte noch jedesmal aus einer gewissenhaft im Sinne vernünftiger geschichtlicher Entwicklung geübten Macht zuletzt ein allgemein anerkanntes Recht gemacht hat. Die Welsen, die eine geschichtlich notwendige Entwicklung zmückrevidieren wollen, werden an dieser unausbleiblichen Wirkung der Zeit einmal zerschellen, und auch Fehler und lokale Ungeschicklichkeiten der preußischen Verwaltung in der Provinz Hannover werden diesen Prozeß höchstens verzögern, aber nicht aufhalten können. Von den Angehörigen unserer nationalen Parteien hätte gewiß die Mehrzahl es lieber gesehen, wenn man sich des hier gekennzeichneten Mittels bedient hätte, um der welfischen Ansprüche durch dauernde, kühle Ablehnung Herr zu werden. Aber wenn man auch bedauert, daß es anders gekommen ist, so hilft uns doch dieses Bedauern jetzt keinen Schritt weiter. Denn die Tatsache bleibt: durch die Ver¬ mählung der Kaisertochter und die Veränderung in den persönlichen Beziehungen der Dynastien ist es nun einmal anders geworden, und deshalb mußte für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/449>, abgerufen am 22.07.2024.