Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Thronvorzicht und Legitimismus

Aufrechterhaltung desselben Standpunkts in der politischen Frage eine neue Form
gefunden werden.

So blieb nur das zweite der oben erwähnten Mittel übrig, um sich gegen
die welfischen Ansprüche zu sichern. Es besteht darin, daß man sich dessen ver¬
sicherte, daß die lebenden Mitglieder der welsischen Dynastie sich verpflichteten,
ihre -- in der Theorie aufrechterhaltener -- Ansprüche für ihre Person nicht
geltend zu machen. Das ist in der praktischen Wirkung genau dasselbe wie ein
Verzicht, denn es fordert genau dieselbe Handlungsweise oder -- wenn man
will -- dieselben Unterlassungen, die durch einen Verzicht bedingt würden. Noch
mehr zu fordern hat, wie hier zu zeigen versucht wurde, keine praktische Be¬
deutung, da Versprechungen sür die Zukunft für die Erben der bekämpften An¬
sprüche doch unverbindlich sind.

Man wird wiederum einwenden, daß im Jahre 1907 von dem Herzog von
Cumberland ein förmlicher Verzicht für sich und seine Nachkommen gefordert
worden sei. Die Erklärung dieser Forderung habe ich schon früher zu geben
versucht. Die Forderung, die übrigens nicht in dem Bundesratsbeschluß von
1907, sondern in einer Reichstagsrede des damaligen Reichskanzlers enthalten
war, war die Antwort auf ein Ansinnen des Herzogs und bedeutete in diesem
Zusammenhange eine einfache Ablehnung des damals vorliegenden Gedanken¬
ganges in dem Schreiben des Herzogs. Es ist nichts Ungewöhnliches -- auch
im Privatleben --, daß man die Ablehnung eines gegnerischen Vorschlags in
die Form einer Gegenbedingung kleidet, von der man im voraus weiß, daß
sie nicht erfüllt werden wird. Die Voraussetzungen waren eben damals ganz
andere.

Es ist mir auch der Gedanke begegnet, daß zwar die Bedeutungslosigkeit
eines Verzichts für die Nachkommen zuzugeben sei, daß man aber doch lieber
diesen Verzicht hätte fordern sollen, um die öffentliche Meinung zu beruhigen,
daß es sich nicht um ein schwächliches Nachgeben der preußischen Regierung
handle. Ich bin nun freilich der Meinung, daß, wenn man das getan hätte,
man die öffentliche Meinung nach einer falschen Richtung hin beruhigt hätte.
Auf die Welsen selbst hätte das gar kemen Eindruck gemacht, wohl aber hätten
von den anderen viele sich dem falschen Glauben hingegeben, die Welsen seien
nun vollkommen unschädlich. Diese Wirkung wäre viel schlimmer gewesen als
die Folgen der jetzigen Lösung.

Daß diese Folgen nicht durchweg erfreulich sind, ist ja richtig. Auch wenn
das Welfentum vom braunschweigischen Hofe her nicht die geringste Förderung
erhält, wird doch die bloße Tatsache, daß das Weifenhaus trotz aller Hindernisse
nun zur Ausübung wenigstens eines Teils seiner dynastischen Ansprüche gelangt
ist, einen starken Eindruck auf die Fanatiker des Legitimismus ausüben. Aber
dieselbe Wendung, die in ihrer theoretischen Bedeutung die welfischen Hoffnungen
auf die Gerechtigkeit des Himmels zu beleben geeignet ist, legt zugleich den
Träger dieser Hoffnungen durch seine Stellung als Bundesfürst und die von ihm


Thronvorzicht und Legitimismus

Aufrechterhaltung desselben Standpunkts in der politischen Frage eine neue Form
gefunden werden.

So blieb nur das zweite der oben erwähnten Mittel übrig, um sich gegen
die welfischen Ansprüche zu sichern. Es besteht darin, daß man sich dessen ver¬
sicherte, daß die lebenden Mitglieder der welsischen Dynastie sich verpflichteten,
ihre — in der Theorie aufrechterhaltener — Ansprüche für ihre Person nicht
geltend zu machen. Das ist in der praktischen Wirkung genau dasselbe wie ein
Verzicht, denn es fordert genau dieselbe Handlungsweise oder — wenn man
will — dieselben Unterlassungen, die durch einen Verzicht bedingt würden. Noch
mehr zu fordern hat, wie hier zu zeigen versucht wurde, keine praktische Be¬
deutung, da Versprechungen sür die Zukunft für die Erben der bekämpften An¬
sprüche doch unverbindlich sind.

Man wird wiederum einwenden, daß im Jahre 1907 von dem Herzog von
Cumberland ein förmlicher Verzicht für sich und seine Nachkommen gefordert
worden sei. Die Erklärung dieser Forderung habe ich schon früher zu geben
versucht. Die Forderung, die übrigens nicht in dem Bundesratsbeschluß von
1907, sondern in einer Reichstagsrede des damaligen Reichskanzlers enthalten
war, war die Antwort auf ein Ansinnen des Herzogs und bedeutete in diesem
Zusammenhange eine einfache Ablehnung des damals vorliegenden Gedanken¬
ganges in dem Schreiben des Herzogs. Es ist nichts Ungewöhnliches — auch
im Privatleben —, daß man die Ablehnung eines gegnerischen Vorschlags in
die Form einer Gegenbedingung kleidet, von der man im voraus weiß, daß
sie nicht erfüllt werden wird. Die Voraussetzungen waren eben damals ganz
andere.

Es ist mir auch der Gedanke begegnet, daß zwar die Bedeutungslosigkeit
eines Verzichts für die Nachkommen zuzugeben sei, daß man aber doch lieber
diesen Verzicht hätte fordern sollen, um die öffentliche Meinung zu beruhigen,
daß es sich nicht um ein schwächliches Nachgeben der preußischen Regierung
handle. Ich bin nun freilich der Meinung, daß, wenn man das getan hätte,
man die öffentliche Meinung nach einer falschen Richtung hin beruhigt hätte.
Auf die Welsen selbst hätte das gar kemen Eindruck gemacht, wohl aber hätten
von den anderen viele sich dem falschen Glauben hingegeben, die Welsen seien
nun vollkommen unschädlich. Diese Wirkung wäre viel schlimmer gewesen als
die Folgen der jetzigen Lösung.

Daß diese Folgen nicht durchweg erfreulich sind, ist ja richtig. Auch wenn
das Welfentum vom braunschweigischen Hofe her nicht die geringste Förderung
erhält, wird doch die bloße Tatsache, daß das Weifenhaus trotz aller Hindernisse
nun zur Ausübung wenigstens eines Teils seiner dynastischen Ansprüche gelangt
ist, einen starken Eindruck auf die Fanatiker des Legitimismus ausüben. Aber
dieselbe Wendung, die in ihrer theoretischen Bedeutung die welfischen Hoffnungen
auf die Gerechtigkeit des Himmels zu beleben geeignet ist, legt zugleich den
Träger dieser Hoffnungen durch seine Stellung als Bundesfürst und die von ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327262"/>
          <fw type="header" place="top"> Thronvorzicht und Legitimismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1762" prev="#ID_1761"> Aufrechterhaltung desselben Standpunkts in der politischen Frage eine neue Form<lb/>
gefunden werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1763"> So blieb nur das zweite der oben erwähnten Mittel übrig, um sich gegen<lb/>
die welfischen Ansprüche zu sichern. Es besteht darin, daß man sich dessen ver¬<lb/>
sicherte, daß die lebenden Mitglieder der welsischen Dynastie sich verpflichteten,<lb/>
ihre &#x2014; in der Theorie aufrechterhaltener &#x2014; Ansprüche für ihre Person nicht<lb/>
geltend zu machen. Das ist in der praktischen Wirkung genau dasselbe wie ein<lb/>
Verzicht, denn es fordert genau dieselbe Handlungsweise oder &#x2014; wenn man<lb/>
will &#x2014; dieselben Unterlassungen, die durch einen Verzicht bedingt würden. Noch<lb/>
mehr zu fordern hat, wie hier zu zeigen versucht wurde, keine praktische Be¬<lb/>
deutung, da Versprechungen sür die Zukunft für die Erben der bekämpften An¬<lb/>
sprüche doch unverbindlich sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1764"> Man wird wiederum einwenden, daß im Jahre 1907 von dem Herzog von<lb/>
Cumberland ein förmlicher Verzicht für sich und seine Nachkommen gefordert<lb/>
worden sei. Die Erklärung dieser Forderung habe ich schon früher zu geben<lb/>
versucht. Die Forderung, die übrigens nicht in dem Bundesratsbeschluß von<lb/>
1907, sondern in einer Reichstagsrede des damaligen Reichskanzlers enthalten<lb/>
war, war die Antwort auf ein Ansinnen des Herzogs und bedeutete in diesem<lb/>
Zusammenhange eine einfache Ablehnung des damals vorliegenden Gedanken¬<lb/>
ganges in dem Schreiben des Herzogs. Es ist nichts Ungewöhnliches &#x2014; auch<lb/>
im Privatleben &#x2014;, daß man die Ablehnung eines gegnerischen Vorschlags in<lb/>
die Form einer Gegenbedingung kleidet, von der man im voraus weiß, daß<lb/>
sie nicht erfüllt werden wird. Die Voraussetzungen waren eben damals ganz<lb/>
andere.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1765"> Es ist mir auch der Gedanke begegnet, daß zwar die Bedeutungslosigkeit<lb/>
eines Verzichts für die Nachkommen zuzugeben sei, daß man aber doch lieber<lb/>
diesen Verzicht hätte fordern sollen, um die öffentliche Meinung zu beruhigen,<lb/>
daß es sich nicht um ein schwächliches Nachgeben der preußischen Regierung<lb/>
handle. Ich bin nun freilich der Meinung, daß, wenn man das getan hätte,<lb/>
man die öffentliche Meinung nach einer falschen Richtung hin beruhigt hätte.<lb/>
Auf die Welsen selbst hätte das gar kemen Eindruck gemacht, wohl aber hätten<lb/>
von den anderen viele sich dem falschen Glauben hingegeben, die Welsen seien<lb/>
nun vollkommen unschädlich. Diese Wirkung wäre viel schlimmer gewesen als<lb/>
die Folgen der jetzigen Lösung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1766" next="#ID_1767"> Daß diese Folgen nicht durchweg erfreulich sind, ist ja richtig. Auch wenn<lb/>
das Welfentum vom braunschweigischen Hofe her nicht die geringste Förderung<lb/>
erhält, wird doch die bloße Tatsache, daß das Weifenhaus trotz aller Hindernisse<lb/>
nun zur Ausübung wenigstens eines Teils seiner dynastischen Ansprüche gelangt<lb/>
ist, einen starken Eindruck auf die Fanatiker des Legitimismus ausüben. Aber<lb/>
dieselbe Wendung, die in ihrer theoretischen Bedeutung die welfischen Hoffnungen<lb/>
auf die Gerechtigkeit des Himmels zu beleben geeignet ist, legt zugleich den<lb/>
Träger dieser Hoffnungen durch seine Stellung als Bundesfürst und die von ihm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] Thronvorzicht und Legitimismus Aufrechterhaltung desselben Standpunkts in der politischen Frage eine neue Form gefunden werden. So blieb nur das zweite der oben erwähnten Mittel übrig, um sich gegen die welfischen Ansprüche zu sichern. Es besteht darin, daß man sich dessen ver¬ sicherte, daß die lebenden Mitglieder der welsischen Dynastie sich verpflichteten, ihre — in der Theorie aufrechterhaltener — Ansprüche für ihre Person nicht geltend zu machen. Das ist in der praktischen Wirkung genau dasselbe wie ein Verzicht, denn es fordert genau dieselbe Handlungsweise oder — wenn man will — dieselben Unterlassungen, die durch einen Verzicht bedingt würden. Noch mehr zu fordern hat, wie hier zu zeigen versucht wurde, keine praktische Be¬ deutung, da Versprechungen sür die Zukunft für die Erben der bekämpften An¬ sprüche doch unverbindlich sind. Man wird wiederum einwenden, daß im Jahre 1907 von dem Herzog von Cumberland ein förmlicher Verzicht für sich und seine Nachkommen gefordert worden sei. Die Erklärung dieser Forderung habe ich schon früher zu geben versucht. Die Forderung, die übrigens nicht in dem Bundesratsbeschluß von 1907, sondern in einer Reichstagsrede des damaligen Reichskanzlers enthalten war, war die Antwort auf ein Ansinnen des Herzogs und bedeutete in diesem Zusammenhange eine einfache Ablehnung des damals vorliegenden Gedanken¬ ganges in dem Schreiben des Herzogs. Es ist nichts Ungewöhnliches — auch im Privatleben —, daß man die Ablehnung eines gegnerischen Vorschlags in die Form einer Gegenbedingung kleidet, von der man im voraus weiß, daß sie nicht erfüllt werden wird. Die Voraussetzungen waren eben damals ganz andere. Es ist mir auch der Gedanke begegnet, daß zwar die Bedeutungslosigkeit eines Verzichts für die Nachkommen zuzugeben sei, daß man aber doch lieber diesen Verzicht hätte fordern sollen, um die öffentliche Meinung zu beruhigen, daß es sich nicht um ein schwächliches Nachgeben der preußischen Regierung handle. Ich bin nun freilich der Meinung, daß, wenn man das getan hätte, man die öffentliche Meinung nach einer falschen Richtung hin beruhigt hätte. Auf die Welsen selbst hätte das gar kemen Eindruck gemacht, wohl aber hätten von den anderen viele sich dem falschen Glauben hingegeben, die Welsen seien nun vollkommen unschädlich. Diese Wirkung wäre viel schlimmer gewesen als die Folgen der jetzigen Lösung. Daß diese Folgen nicht durchweg erfreulich sind, ist ja richtig. Auch wenn das Welfentum vom braunschweigischen Hofe her nicht die geringste Förderung erhält, wird doch die bloße Tatsache, daß das Weifenhaus trotz aller Hindernisse nun zur Ausübung wenigstens eines Teils seiner dynastischen Ansprüche gelangt ist, einen starken Eindruck auf die Fanatiker des Legitimismus ausüben. Aber dieselbe Wendung, die in ihrer theoretischen Bedeutung die welfischen Hoffnungen auf die Gerechtigkeit des Himmels zu beleben geeignet ist, legt zugleich den Träger dieser Hoffnungen durch seine Stellung als Bundesfürst und die von ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/450>, abgerufen am 22.07.2024.