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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Thronverzicht und Legitimismus

sterben einer Dynastie kann seinen Übergang auf andere nicht hindern, denn
irgendein agnatischer Zusammenhang findet sich immer. Es ist vielleicht wenig
bekannt, aber doch Tatsache, daß es auch einen englischen Legitimismus gibt.
Es ist eine kleine Gruppe von aristokratischen Sonderlingen, die an der Ansicht
festhalten, daß die Revolution von 1688 über den Thron von Großbritannien
in einer unrechtmäßigen Weise verfügt habe und daß dieses Unrecht wieder gut
zu machen sei. Politische Bedeutung haben diese "Jakobiten" ja nur ein halbes
Jahrhundert lang gehabt; heute ist dieser Legitimismus nur ein Kuriosum.
Aber Kuriosum oder nicht, es ist doch immerhin kennzeichnend für die legitimistische
Denkweise, daß selbst das Aussterben des Hauses Stuart die Vertreter dieser
Anschauung nicht vermocht hat, sich mit der Tatsache zu begnügen, daß heute
indirekte Nachkommen des Hauses Stuart in England regieren, sondern daß sie
eigensinnig an der regelrechten Übertragung der Thronrechte auf dem nach ihrer
Meinung legitimen Wege festhalten. Danach wäre das Recht auf den Thron
von Großbritannien an das Haus Modena gelangt und somit im Besitz der
jetzigen Königin von Bayern. Das mag, wie gesagt, so lächerlich erscheinen
wie nur möglich, und so wenig praktische Bedeutung haben, wie es will, -- es
bleibt doch zu beachten, daß diese Lächerlichkeit und Bedeutungslosigkeit nicht
an der Rechtsanschauung an sich haftet, sondern nur dadurch entsteht, daß diese
in starkem Widerspruch zu den wirklichen Machtverhältnissen aufrecht erhalten
wird. Und das Fortbestehen dieser legitimistischen Schrulle selbst unter Ver¬
hältnissen, die ihr den Stempel der äußersten Lächerlichkeit aufdrücken, beweist
doch jedenfalls, daß für das legitimistische Denken auch das Verschwinden der
direkten Nachkommenschaft eines entthronten Monarchen von der geschichtlichen
Bühne das ursprüngliche Recht der Dynastie nicht aufhebt. Unter diesem Ge¬
sichtspunkt wird es sich empfehlen zu prüfen, ob diejenigen recht haben, die durch
einen Verzicht des Herzogs Ernst August auf Hannover "für sich und seine Nach¬
kommen" der hannoverischen Welfenpartei den Kopf zu zertreten glauben. Der
landläufigen Meinung mag ja der Gedanke sehr nahe liegen, daß eine Welfen¬
partei ohne Welfendynastie ein Unding sei, aber dieser Gedanke ist leider falsch.

Der Verzicht, den der Träger eines Thronrechts ausspricht, kann immer
nur den Sinn haben, daß dieser einzelne von seinem Recht nicht Gebrauch
machen will; seine Erben kann er nicht hindern, das Gegenteil zu tun. Spricht
er den Verzicht auch im Namen seiner Erben aus, so ist das eine Rechts¬
handlung, die immer ausdrückt, daß der Verzichtende einer Macht weicht, nicht
aber das Recht der Erben unter allen Umständen aufhebt. Ein Beispiel dafür:
dem Herzog Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, dem
Großvater unserer Kaiserin, der als Haupt der ältesten Nebenlinie des Hauses
Holstein zur Zeit König Friedrichs des Siebenten von Dänemark das alte Recht
der Herzogtümer Schleswig und Holstein vertreten zu müssen glaubte, wurde
bei den Londoner Verhandlungen der Mächte die Verpflichtung auferlegt, für
sich und seine Nachkommen zugunsten des Herzogs Christian von Holstein-


Thronverzicht und Legitimismus

sterben einer Dynastie kann seinen Übergang auf andere nicht hindern, denn
irgendein agnatischer Zusammenhang findet sich immer. Es ist vielleicht wenig
bekannt, aber doch Tatsache, daß es auch einen englischen Legitimismus gibt.
Es ist eine kleine Gruppe von aristokratischen Sonderlingen, die an der Ansicht
festhalten, daß die Revolution von 1688 über den Thron von Großbritannien
in einer unrechtmäßigen Weise verfügt habe und daß dieses Unrecht wieder gut
zu machen sei. Politische Bedeutung haben diese „Jakobiten" ja nur ein halbes
Jahrhundert lang gehabt; heute ist dieser Legitimismus nur ein Kuriosum.
Aber Kuriosum oder nicht, es ist doch immerhin kennzeichnend für die legitimistische
Denkweise, daß selbst das Aussterben des Hauses Stuart die Vertreter dieser
Anschauung nicht vermocht hat, sich mit der Tatsache zu begnügen, daß heute
indirekte Nachkommen des Hauses Stuart in England regieren, sondern daß sie
eigensinnig an der regelrechten Übertragung der Thronrechte auf dem nach ihrer
Meinung legitimen Wege festhalten. Danach wäre das Recht auf den Thron
von Großbritannien an das Haus Modena gelangt und somit im Besitz der
jetzigen Königin von Bayern. Das mag, wie gesagt, so lächerlich erscheinen
wie nur möglich, und so wenig praktische Bedeutung haben, wie es will, — es
bleibt doch zu beachten, daß diese Lächerlichkeit und Bedeutungslosigkeit nicht
an der Rechtsanschauung an sich haftet, sondern nur dadurch entsteht, daß diese
in starkem Widerspruch zu den wirklichen Machtverhältnissen aufrecht erhalten
wird. Und das Fortbestehen dieser legitimistischen Schrulle selbst unter Ver¬
hältnissen, die ihr den Stempel der äußersten Lächerlichkeit aufdrücken, beweist
doch jedenfalls, daß für das legitimistische Denken auch das Verschwinden der
direkten Nachkommenschaft eines entthronten Monarchen von der geschichtlichen
Bühne das ursprüngliche Recht der Dynastie nicht aufhebt. Unter diesem Ge¬
sichtspunkt wird es sich empfehlen zu prüfen, ob diejenigen recht haben, die durch
einen Verzicht des Herzogs Ernst August auf Hannover „für sich und seine Nach¬
kommen" der hannoverischen Welfenpartei den Kopf zu zertreten glauben. Der
landläufigen Meinung mag ja der Gedanke sehr nahe liegen, daß eine Welfen¬
partei ohne Welfendynastie ein Unding sei, aber dieser Gedanke ist leider falsch.

Der Verzicht, den der Träger eines Thronrechts ausspricht, kann immer
nur den Sinn haben, daß dieser einzelne von seinem Recht nicht Gebrauch
machen will; seine Erben kann er nicht hindern, das Gegenteil zu tun. Spricht
er den Verzicht auch im Namen seiner Erben aus, so ist das eine Rechts¬
handlung, die immer ausdrückt, daß der Verzichtende einer Macht weicht, nicht
aber das Recht der Erben unter allen Umständen aufhebt. Ein Beispiel dafür:
dem Herzog Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, dem
Großvater unserer Kaiserin, der als Haupt der ältesten Nebenlinie des Hauses
Holstein zur Zeit König Friedrichs des Siebenten von Dänemark das alte Recht
der Herzogtümer Schleswig und Holstein vertreten zu müssen glaubte, wurde
bei den Londoner Verhandlungen der Mächte die Verpflichtung auferlegt, für
sich und seine Nachkommen zugunsten des Herzogs Christian von Holstein-


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[0448] Thronverzicht und Legitimismus sterben einer Dynastie kann seinen Übergang auf andere nicht hindern, denn irgendein agnatischer Zusammenhang findet sich immer. Es ist vielleicht wenig bekannt, aber doch Tatsache, daß es auch einen englischen Legitimismus gibt. Es ist eine kleine Gruppe von aristokratischen Sonderlingen, die an der Ansicht festhalten, daß die Revolution von 1688 über den Thron von Großbritannien in einer unrechtmäßigen Weise verfügt habe und daß dieses Unrecht wieder gut zu machen sei. Politische Bedeutung haben diese „Jakobiten" ja nur ein halbes Jahrhundert lang gehabt; heute ist dieser Legitimismus nur ein Kuriosum. Aber Kuriosum oder nicht, es ist doch immerhin kennzeichnend für die legitimistische Denkweise, daß selbst das Aussterben des Hauses Stuart die Vertreter dieser Anschauung nicht vermocht hat, sich mit der Tatsache zu begnügen, daß heute indirekte Nachkommen des Hauses Stuart in England regieren, sondern daß sie eigensinnig an der regelrechten Übertragung der Thronrechte auf dem nach ihrer Meinung legitimen Wege festhalten. Danach wäre das Recht auf den Thron von Großbritannien an das Haus Modena gelangt und somit im Besitz der jetzigen Königin von Bayern. Das mag, wie gesagt, so lächerlich erscheinen wie nur möglich, und so wenig praktische Bedeutung haben, wie es will, — es bleibt doch zu beachten, daß diese Lächerlichkeit und Bedeutungslosigkeit nicht an der Rechtsanschauung an sich haftet, sondern nur dadurch entsteht, daß diese in starkem Widerspruch zu den wirklichen Machtverhältnissen aufrecht erhalten wird. Und das Fortbestehen dieser legitimistischen Schrulle selbst unter Ver¬ hältnissen, die ihr den Stempel der äußersten Lächerlichkeit aufdrücken, beweist doch jedenfalls, daß für das legitimistische Denken auch das Verschwinden der direkten Nachkommenschaft eines entthronten Monarchen von der geschichtlichen Bühne das ursprüngliche Recht der Dynastie nicht aufhebt. Unter diesem Ge¬ sichtspunkt wird es sich empfehlen zu prüfen, ob diejenigen recht haben, die durch einen Verzicht des Herzogs Ernst August auf Hannover „für sich und seine Nach¬ kommen" der hannoverischen Welfenpartei den Kopf zu zertreten glauben. Der landläufigen Meinung mag ja der Gedanke sehr nahe liegen, daß eine Welfen¬ partei ohne Welfendynastie ein Unding sei, aber dieser Gedanke ist leider falsch. Der Verzicht, den der Träger eines Thronrechts ausspricht, kann immer nur den Sinn haben, daß dieser einzelne von seinem Recht nicht Gebrauch machen will; seine Erben kann er nicht hindern, das Gegenteil zu tun. Spricht er den Verzicht auch im Namen seiner Erben aus, so ist das eine Rechts¬ handlung, die immer ausdrückt, daß der Verzichtende einer Macht weicht, nicht aber das Recht der Erben unter allen Umständen aufhebt. Ein Beispiel dafür: dem Herzog Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, dem Großvater unserer Kaiserin, der als Haupt der ältesten Nebenlinie des Hauses Holstein zur Zeit König Friedrichs des Siebenten von Dänemark das alte Recht der Herzogtümer Schleswig und Holstein vertreten zu müssen glaubte, wurde bei den Londoner Verhandlungen der Mächte die Verpflichtung auferlegt, für sich und seine Nachkommen zugunsten des Herzogs Christian von Holstein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/448>, abgerufen am 24.08.2024.