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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin romantisches Brautpaar

dir. du hast sie nicht verstanden oder magst sie nicht verstehen, und dann ist
die Art, wie du von dir und ihr sprichst, freilich sehr zart. ... Da ich von
Koblenz kam und sie sah, war sie sehr geschämig gegen mich wegen der Liebe
zu dir; du kannst wohl begreifen, daß ich sie von dieser Liebe zu heilen suchte,
und dazu gibt es kein Mittel als Neckerei. Sie weinte im Anfang, dann aber
hörte sie ruhig zu und gestand mir endlich, wenn sie alle die andern erzählen
höre, was du alles mit ihnen gesprochen habest, und daß sie von dir so vieles
erzählen könnten, so mache sie das traurig, und sie liebe dich dann nicht mehr so."

Allmählich wurde Bettinens Bild in Arnims Erinnerung zurückgedrängt
vor den vielen neuen Eindrücken, die er in fremden Ländern in sich aufnahm,
vor den vielen neuen Menschen, die er kennen lernte. "Deine Schwester grüße
jedesmal herzlich, wenn ich auch vergesse, es dir zu sagen." Dieser Auftrag
aus London ist von Ende 1802 bis Ende 1804 die einzige Erwähnung
Bettinens.

Mitte November 1804 kam Clemens Brentano nach Berlin, um den von
seiner Reise zurückgekehrten Freund wiederzusehen. Gewiß bot damals Bettine
oft den Stoff gegenseitiger Unterhaltung; das wichtigste Ergebnis der Zusammen¬
kunft aber war der Entschluß, die deutschen Volkslieder gemeinsam zu sammeln
und herauszugeben. Zur Redaktion des ersten Bandes von "Des Knaben
Wunderhorn", dieser köstlichen Frucht des Freundschaftsbundes zwischen Arnim
und Brentano, traf Arnim im Mai 1805 in Heidelberg ein. Aus dieser glück¬
lichen und schaffensfrohen mit Clemens und seiner Frau Sophie verlebten Zeit
ist uns eine Schilderung des Professors Creuzer erhalten, desselben Mannes,
der an dem freiwilligen Tode der Karoline von Günderode schuld wurde:
"Arnim redet sehr wenig; was er sagt, ist gewöhnlich heiterer Scherz. Aber
im stillen, wenn ich so ihm seitwärts ging, hab ich mich an seiner Erscheinung
geweidet. Zuversicht und Kraft sind ihr aufgeprägt. Es ist doch was Herrliches
um dieses kräftige Auftreten auf den Erdboden, um dieses heitere, klare, feste
Blicken in die Welt hinaus, wie wenn sie einem dienen müßte. Das vermag
Arnim, und zwar ohne gesuchte Kraft, ohne Brutalisieren, sondern so, daß die
Kraft freundlich ist und gemildert und folglich schön. So soll der Mann sein."

Im August ging Arnim nach Frankfurt mit Brentano, der bald nach
Wiesbaden weiterreiste, um dort eine Kur zu gebrauchen. Während der fünf Monate,
die Arnim in Frankfurt verbrachte, um den Druck des Wunderhorus persönlich
zu überwachen, wurde er mit Bettine in täglichem Verkehr genauer bekannt.
Als er dann gegen Weihnachten über Weimar, wo er Goethe besuchte, und über
Halle nach Berlin zurückgekehrt war, wurde die angeknüpfte Freundschaft durch
Briefe weiter gepflegt. Von Liebe war in dieser Zeit noch nicht die Rede;
höflich und scherzhaft schrieb Arnim, ernster und für die Schreiberin sehr
charakteristisch antwortete Bettine. Aus der Fülle ihres reichen Herzens schöpfte
sie im März 1806, als sie bei ihrem Schwager Savigny in Marburg weilte, mit tiefer
poetischer Empfindung und Darstellung diesen Erguß: "Ich denke, der Mangel


Grenzboten IV 1913 27
Lin romantisches Brautpaar

dir. du hast sie nicht verstanden oder magst sie nicht verstehen, und dann ist
die Art, wie du von dir und ihr sprichst, freilich sehr zart. ... Da ich von
Koblenz kam und sie sah, war sie sehr geschämig gegen mich wegen der Liebe
zu dir; du kannst wohl begreifen, daß ich sie von dieser Liebe zu heilen suchte,
und dazu gibt es kein Mittel als Neckerei. Sie weinte im Anfang, dann aber
hörte sie ruhig zu und gestand mir endlich, wenn sie alle die andern erzählen
höre, was du alles mit ihnen gesprochen habest, und daß sie von dir so vieles
erzählen könnten, so mache sie das traurig, und sie liebe dich dann nicht mehr so."

Allmählich wurde Bettinens Bild in Arnims Erinnerung zurückgedrängt
vor den vielen neuen Eindrücken, die er in fremden Ländern in sich aufnahm,
vor den vielen neuen Menschen, die er kennen lernte. „Deine Schwester grüße
jedesmal herzlich, wenn ich auch vergesse, es dir zu sagen." Dieser Auftrag
aus London ist von Ende 1802 bis Ende 1804 die einzige Erwähnung
Bettinens.

Mitte November 1804 kam Clemens Brentano nach Berlin, um den von
seiner Reise zurückgekehrten Freund wiederzusehen. Gewiß bot damals Bettine
oft den Stoff gegenseitiger Unterhaltung; das wichtigste Ergebnis der Zusammen¬
kunft aber war der Entschluß, die deutschen Volkslieder gemeinsam zu sammeln
und herauszugeben. Zur Redaktion des ersten Bandes von „Des Knaben
Wunderhorn", dieser köstlichen Frucht des Freundschaftsbundes zwischen Arnim
und Brentano, traf Arnim im Mai 1805 in Heidelberg ein. Aus dieser glück¬
lichen und schaffensfrohen mit Clemens und seiner Frau Sophie verlebten Zeit
ist uns eine Schilderung des Professors Creuzer erhalten, desselben Mannes,
der an dem freiwilligen Tode der Karoline von Günderode schuld wurde:
„Arnim redet sehr wenig; was er sagt, ist gewöhnlich heiterer Scherz. Aber
im stillen, wenn ich so ihm seitwärts ging, hab ich mich an seiner Erscheinung
geweidet. Zuversicht und Kraft sind ihr aufgeprägt. Es ist doch was Herrliches
um dieses kräftige Auftreten auf den Erdboden, um dieses heitere, klare, feste
Blicken in die Welt hinaus, wie wenn sie einem dienen müßte. Das vermag
Arnim, und zwar ohne gesuchte Kraft, ohne Brutalisieren, sondern so, daß die
Kraft freundlich ist und gemildert und folglich schön. So soll der Mann sein."

Im August ging Arnim nach Frankfurt mit Brentano, der bald nach
Wiesbaden weiterreiste, um dort eine Kur zu gebrauchen. Während der fünf Monate,
die Arnim in Frankfurt verbrachte, um den Druck des Wunderhorus persönlich
zu überwachen, wurde er mit Bettine in täglichem Verkehr genauer bekannt.
Als er dann gegen Weihnachten über Weimar, wo er Goethe besuchte, und über
Halle nach Berlin zurückgekehrt war, wurde die angeknüpfte Freundschaft durch
Briefe weiter gepflegt. Von Liebe war in dieser Zeit noch nicht die Rede;
höflich und scherzhaft schrieb Arnim, ernster und für die Schreiberin sehr
charakteristisch antwortete Bettine. Aus der Fülle ihres reichen Herzens schöpfte
sie im März 1806, als sie bei ihrem Schwager Savigny in Marburg weilte, mit tiefer
poetischer Empfindung und Darstellung diesen Erguß: „Ich denke, der Mangel


Grenzboten IV 1913 27
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[0429] Lin romantisches Brautpaar dir. du hast sie nicht verstanden oder magst sie nicht verstehen, und dann ist die Art, wie du von dir und ihr sprichst, freilich sehr zart. ... Da ich von Koblenz kam und sie sah, war sie sehr geschämig gegen mich wegen der Liebe zu dir; du kannst wohl begreifen, daß ich sie von dieser Liebe zu heilen suchte, und dazu gibt es kein Mittel als Neckerei. Sie weinte im Anfang, dann aber hörte sie ruhig zu und gestand mir endlich, wenn sie alle die andern erzählen höre, was du alles mit ihnen gesprochen habest, und daß sie von dir so vieles erzählen könnten, so mache sie das traurig, und sie liebe dich dann nicht mehr so." Allmählich wurde Bettinens Bild in Arnims Erinnerung zurückgedrängt vor den vielen neuen Eindrücken, die er in fremden Ländern in sich aufnahm, vor den vielen neuen Menschen, die er kennen lernte. „Deine Schwester grüße jedesmal herzlich, wenn ich auch vergesse, es dir zu sagen." Dieser Auftrag aus London ist von Ende 1802 bis Ende 1804 die einzige Erwähnung Bettinens. Mitte November 1804 kam Clemens Brentano nach Berlin, um den von seiner Reise zurückgekehrten Freund wiederzusehen. Gewiß bot damals Bettine oft den Stoff gegenseitiger Unterhaltung; das wichtigste Ergebnis der Zusammen¬ kunft aber war der Entschluß, die deutschen Volkslieder gemeinsam zu sammeln und herauszugeben. Zur Redaktion des ersten Bandes von „Des Knaben Wunderhorn", dieser köstlichen Frucht des Freundschaftsbundes zwischen Arnim und Brentano, traf Arnim im Mai 1805 in Heidelberg ein. Aus dieser glück¬ lichen und schaffensfrohen mit Clemens und seiner Frau Sophie verlebten Zeit ist uns eine Schilderung des Professors Creuzer erhalten, desselben Mannes, der an dem freiwilligen Tode der Karoline von Günderode schuld wurde: „Arnim redet sehr wenig; was er sagt, ist gewöhnlich heiterer Scherz. Aber im stillen, wenn ich so ihm seitwärts ging, hab ich mich an seiner Erscheinung geweidet. Zuversicht und Kraft sind ihr aufgeprägt. Es ist doch was Herrliches um dieses kräftige Auftreten auf den Erdboden, um dieses heitere, klare, feste Blicken in die Welt hinaus, wie wenn sie einem dienen müßte. Das vermag Arnim, und zwar ohne gesuchte Kraft, ohne Brutalisieren, sondern so, daß die Kraft freundlich ist und gemildert und folglich schön. So soll der Mann sein." Im August ging Arnim nach Frankfurt mit Brentano, der bald nach Wiesbaden weiterreiste, um dort eine Kur zu gebrauchen. Während der fünf Monate, die Arnim in Frankfurt verbrachte, um den Druck des Wunderhorus persönlich zu überwachen, wurde er mit Bettine in täglichem Verkehr genauer bekannt. Als er dann gegen Weihnachten über Weimar, wo er Goethe besuchte, und über Halle nach Berlin zurückgekehrt war, wurde die angeknüpfte Freundschaft durch Briefe weiter gepflegt. Von Liebe war in dieser Zeit noch nicht die Rede; höflich und scherzhaft schrieb Arnim, ernster und für die Schreiberin sehr charakteristisch antwortete Bettine. Aus der Fülle ihres reichen Herzens schöpfte sie im März 1806, als sie bei ihrem Schwager Savigny in Marburg weilte, mit tiefer poetischer Empfindung und Darstellung diesen Erguß: „Ich denke, der Mangel Grenzboten IV 1913 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/429>, abgerufen am 28.09.2024.