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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin romantisches Brautpaar

mit Wohlgefallen nach, daß du da unterwegs getan hast, als verständest du
das nicht, und nachher es dem Arnim zuschobst, aber doch gleich sehr viel
schärfer auftratst, als wenn dir wer weiß welcher originelle Geist so ganz durch
den Leib gefahren wär, und wie du mit deinem zierlichen Sprung ins Mainzer
Schiff mit einem so selbstbewußten Genuß hineinsprangst. -- Es sei prophetisch,
meinte gleich die Günderode."

Unterdessen sprachen sich die Freunde in ihren Briefen über Bettine aus.
Arnim, der nach dem Frankfurter Besuch und einer kurzen Rheinfahrt die da¬
mals übliche große Bildungsreise angetreten hatte, die ihn durch Süddeutschland,
die Schweiz, Frankreich und England führte, urteilte: "Ich lese Bettinens Brief
und lese ihn wieder, und zum erstenmal weiß ich nicht, was ich dir schreiben
soll, da mir sonst gewöhnlich die Feder mit dem Kopfe davonlief. Ich habe
oft so recht fest und tief in einen Wassersturz geblickt, und ich glaubte mich zu
begreifen; ich weiß wahrlich nichts von mir. ob ich Wasser oder Dunst oder
Eis oder ein Stück des glühenden Regenbogens bin, aber ich glaube, daß ich
wechselnd eins nach dem andern werde. . . . Und nun siehe Bettinen dagegen
mit ihrer Klarheit durch sich selbst, sie kennt jede wechselnde Empfindung in
sich, und ihr Nachdenken ist ein Sinnen über sich, sie kann ewig nur durch sich
froh werden und traurig, die ganze Richtung unserer Kräfte treibt entgegen¬
gesetzt, ihre Nähe ergreift mit einer Trauer darüber, daß jeder Augenblick uns
weiter entfernt, und daß ich nicht umkehren kann zu ihrer Ruhe. . . . Bettinen
muß dabei die Zeit nicht vergehen, dafür müssen wir beide sorgen, die wir ihr
gut sind, darum müssen wir froh sein, daß Bettine mich nicht liebt, aber ich
muß jubeln, daß sie mir gut ist, denn siehe, ich bin die Zeit, die wenigen recht
ist, wenn sie ist, und von manchen zurückgewünscht wird, wenn sie vergangen.
Das höhere Gemüt unterscheidet sich vom niederen, daß eben das Höchste von
diesem ihm das niederste wird, es hat jenes in sich aber noch mehr. Was
anderen Mädchen schon hohe Liebe wäre, ist für Bettinen Freundschaft, ihre
Liebe aber muß etwas werden, wovon kein anderes Mädchen etwas ahndet.
Ich war ein freundlicher Ruf in ihre Einsamkeit, in eine Einsamkeit, wo du sie
leider alle verachten gelehrt hast, und ich kam an deiner Hand. Der Frühling
ist ein Unding, und doch lieben wir ihn wie einen Freund, weil ihn die kleinen
Veilchen und hohen Rosen herbeiführen; es ist das einzige Gute an mir. wie
am Frühling, daß wir keinen mit unserer Kälte oder Hitze belästigen, der Wesen
Mannigfalt kann sich frei entfalten. Das nannte Bettine meine Höflichkeit, sie
glaubte nie einen höflicheren Menschen gesehen zu haben. Du wirst dich er¬
innern, das machte sie wohl, sie wurde freier, aber lieber; jede Pflanze braucht
einen festen Boden, und den gibt ihr der Frühling nicht."

Dieser Ansicht stimmte nun freilich Clemens nicht zu; er glaubte die Schwester
besser zu kennen: "Was du von Bettinens Liebe sagst, begreife ich auch wohl
besser als du. Bettine liebt dich auch wie ich. sie könnte auch alles das. aber
sie ist eine Jungfrau, und die Natur stellt sie in ein doppeltes Verhältnis mit


Lin romantisches Brautpaar

mit Wohlgefallen nach, daß du da unterwegs getan hast, als verständest du
das nicht, und nachher es dem Arnim zuschobst, aber doch gleich sehr viel
schärfer auftratst, als wenn dir wer weiß welcher originelle Geist so ganz durch
den Leib gefahren wär, und wie du mit deinem zierlichen Sprung ins Mainzer
Schiff mit einem so selbstbewußten Genuß hineinsprangst. — Es sei prophetisch,
meinte gleich die Günderode."

Unterdessen sprachen sich die Freunde in ihren Briefen über Bettine aus.
Arnim, der nach dem Frankfurter Besuch und einer kurzen Rheinfahrt die da¬
mals übliche große Bildungsreise angetreten hatte, die ihn durch Süddeutschland,
die Schweiz, Frankreich und England führte, urteilte: „Ich lese Bettinens Brief
und lese ihn wieder, und zum erstenmal weiß ich nicht, was ich dir schreiben
soll, da mir sonst gewöhnlich die Feder mit dem Kopfe davonlief. Ich habe
oft so recht fest und tief in einen Wassersturz geblickt, und ich glaubte mich zu
begreifen; ich weiß wahrlich nichts von mir. ob ich Wasser oder Dunst oder
Eis oder ein Stück des glühenden Regenbogens bin, aber ich glaube, daß ich
wechselnd eins nach dem andern werde. . . . Und nun siehe Bettinen dagegen
mit ihrer Klarheit durch sich selbst, sie kennt jede wechselnde Empfindung in
sich, und ihr Nachdenken ist ein Sinnen über sich, sie kann ewig nur durch sich
froh werden und traurig, die ganze Richtung unserer Kräfte treibt entgegen¬
gesetzt, ihre Nähe ergreift mit einer Trauer darüber, daß jeder Augenblick uns
weiter entfernt, und daß ich nicht umkehren kann zu ihrer Ruhe. . . . Bettinen
muß dabei die Zeit nicht vergehen, dafür müssen wir beide sorgen, die wir ihr
gut sind, darum müssen wir froh sein, daß Bettine mich nicht liebt, aber ich
muß jubeln, daß sie mir gut ist, denn siehe, ich bin die Zeit, die wenigen recht
ist, wenn sie ist, und von manchen zurückgewünscht wird, wenn sie vergangen.
Das höhere Gemüt unterscheidet sich vom niederen, daß eben das Höchste von
diesem ihm das niederste wird, es hat jenes in sich aber noch mehr. Was
anderen Mädchen schon hohe Liebe wäre, ist für Bettinen Freundschaft, ihre
Liebe aber muß etwas werden, wovon kein anderes Mädchen etwas ahndet.
Ich war ein freundlicher Ruf in ihre Einsamkeit, in eine Einsamkeit, wo du sie
leider alle verachten gelehrt hast, und ich kam an deiner Hand. Der Frühling
ist ein Unding, und doch lieben wir ihn wie einen Freund, weil ihn die kleinen
Veilchen und hohen Rosen herbeiführen; es ist das einzige Gute an mir. wie
am Frühling, daß wir keinen mit unserer Kälte oder Hitze belästigen, der Wesen
Mannigfalt kann sich frei entfalten. Das nannte Bettine meine Höflichkeit, sie
glaubte nie einen höflicheren Menschen gesehen zu haben. Du wirst dich er¬
innern, das machte sie wohl, sie wurde freier, aber lieber; jede Pflanze braucht
einen festen Boden, und den gibt ihr der Frühling nicht."

Dieser Ansicht stimmte nun freilich Clemens nicht zu; er glaubte die Schwester
besser zu kennen: „Was du von Bettinens Liebe sagst, begreife ich auch wohl
besser als du. Bettine liebt dich auch wie ich. sie könnte auch alles das. aber
sie ist eine Jungfrau, und die Natur stellt sie in ein doppeltes Verhältnis mit


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[0428] Lin romantisches Brautpaar mit Wohlgefallen nach, daß du da unterwegs getan hast, als verständest du das nicht, und nachher es dem Arnim zuschobst, aber doch gleich sehr viel schärfer auftratst, als wenn dir wer weiß welcher originelle Geist so ganz durch den Leib gefahren wär, und wie du mit deinem zierlichen Sprung ins Mainzer Schiff mit einem so selbstbewußten Genuß hineinsprangst. — Es sei prophetisch, meinte gleich die Günderode." Unterdessen sprachen sich die Freunde in ihren Briefen über Bettine aus. Arnim, der nach dem Frankfurter Besuch und einer kurzen Rheinfahrt die da¬ mals übliche große Bildungsreise angetreten hatte, die ihn durch Süddeutschland, die Schweiz, Frankreich und England führte, urteilte: „Ich lese Bettinens Brief und lese ihn wieder, und zum erstenmal weiß ich nicht, was ich dir schreiben soll, da mir sonst gewöhnlich die Feder mit dem Kopfe davonlief. Ich habe oft so recht fest und tief in einen Wassersturz geblickt, und ich glaubte mich zu begreifen; ich weiß wahrlich nichts von mir. ob ich Wasser oder Dunst oder Eis oder ein Stück des glühenden Regenbogens bin, aber ich glaube, daß ich wechselnd eins nach dem andern werde. . . . Und nun siehe Bettinen dagegen mit ihrer Klarheit durch sich selbst, sie kennt jede wechselnde Empfindung in sich, und ihr Nachdenken ist ein Sinnen über sich, sie kann ewig nur durch sich froh werden und traurig, die ganze Richtung unserer Kräfte treibt entgegen¬ gesetzt, ihre Nähe ergreift mit einer Trauer darüber, daß jeder Augenblick uns weiter entfernt, und daß ich nicht umkehren kann zu ihrer Ruhe. . . . Bettinen muß dabei die Zeit nicht vergehen, dafür müssen wir beide sorgen, die wir ihr gut sind, darum müssen wir froh sein, daß Bettine mich nicht liebt, aber ich muß jubeln, daß sie mir gut ist, denn siehe, ich bin die Zeit, die wenigen recht ist, wenn sie ist, und von manchen zurückgewünscht wird, wenn sie vergangen. Das höhere Gemüt unterscheidet sich vom niederen, daß eben das Höchste von diesem ihm das niederste wird, es hat jenes in sich aber noch mehr. Was anderen Mädchen schon hohe Liebe wäre, ist für Bettinen Freundschaft, ihre Liebe aber muß etwas werden, wovon kein anderes Mädchen etwas ahndet. Ich war ein freundlicher Ruf in ihre Einsamkeit, in eine Einsamkeit, wo du sie leider alle verachten gelehrt hast, und ich kam an deiner Hand. Der Frühling ist ein Unding, und doch lieben wir ihn wie einen Freund, weil ihn die kleinen Veilchen und hohen Rosen herbeiführen; es ist das einzige Gute an mir. wie am Frühling, daß wir keinen mit unserer Kälte oder Hitze belästigen, der Wesen Mannigfalt kann sich frei entfalten. Das nannte Bettine meine Höflichkeit, sie glaubte nie einen höflicheren Menschen gesehen zu haben. Du wirst dich er¬ innern, das machte sie wohl, sie wurde freier, aber lieber; jede Pflanze braucht einen festen Boden, und den gibt ihr der Frühling nicht." Dieser Ansicht stimmte nun freilich Clemens nicht zu; er glaubte die Schwester besser zu kennen: „Was du von Bettinens Liebe sagst, begreife ich auch wohl besser als du. Bettine liebt dich auch wie ich. sie könnte auch alles das. aber sie ist eine Jungfrau, und die Natur stellt sie in ein doppeltes Verhältnis mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/428>, abgerufen am 24.08.2024.