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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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<Lin romantisches Brautpaar

an grüßenden Bildern, worüber Sie klagen, wird bald nicht mehr statthaben.
Der Frühling führt diese mit sich auf Wolken und Blumen und Strömen und
den kleinen niedlichen Vögelskehlen, ich freue mich sehr, diesen mächtigen Herrscher
und Eroberer hier durchziehen zu sehen, ich habe auch den besten Platz und stehe
gleich vornean, es wird mir gewiß nichts von seinen, Glanz entgehen hier auf
dieser edlen Spitze über hängenden Gärten und vielen Bächlein und Brücken
und Stegen für den Wandersmann und tausend kleine Täter und Gebüsche voll
wilder und zahmer Schöpfung; die Reiselust hängt sich oft mit Gewalt an mein
Herz, o es will was sagen, wenn unsere Seele dem Gedanken folgt in die
weite, freie Natur, die Füße und den Leib nicht zugleich mitzunehmen, und
zumalen hier, wo einen die Macht und Herrlichkeit Gottes von vier Seiten
begrüßt, hier Sonnenaufgang, dort Sonnenuntergang, mein Schlafzimmer gegen
Norden, und wenn ich aus diesem trete, die braune Nacht noch im Herzen und
in den Augen, lacht mich gleich der freundliche helle Tag mit milden, rötlichen
Strahlen an. Überhaupt scheint unsere Wohnung von allen Elementen besonders
beachtet zu werden. Der Wind behandelte uns wie die jüngsten Kinder seiner
Laune oder vielmehr wie Wiegenkinder, denn er singt so manche kindische
Phantasie, so manche einschläfernde Ungereimtheit in die annoch dürren Äste
der Bäume und Hecken, die in unsere Schlafzimmer hereinschauen, und in die
losen Fensterscheiben, daß man denken sollte, es sei ihm etwas an unserem Ge¬
deihen gelegen. Ich habe hier allerlei kleine Sanssoucis, Monrepos und andere
Arten von Lustörtchen angelegt auf alten Mauern und Türmen und Gebüsch,
und Dorne habe ich noch mit Rosen bepflanzt und so Rosen mit Dornen, damit
jede Freude ihren Reiz und jeder Schmerz seine Süßigkeit haben möge. Es
sind meistens nur kleine Bänke von Moos in dichtem Gesträuch, wo man besser
hineinkriecht und hockt als sitzt oder steht. Aber ich stehe auch dafür, daß im
heißesten Sommermittag kaum die Seele der Sonne durchblicken kann. Wer
also Schatten sucht und Kühlung, der nehme seinen Wanderstab und komme
dahin, ich verheiße ihm Erfüllung seiner Wünsche. Ich selbst zwar werde die
Frucht meiner Arbeit nicht mehr genießen, denn wir werden den Mai kaum
hier erwarten. Goethes Rezension (des Wunderhorns) hat nun obendrein aller
Herrlichkeit dieses Frühlings den Ausschlag gegeben, ich wundere mich sehr, daß
ich, die doch gar keinen Teil an dem Verdienst hat, einen ebenso großen an
der Freude darüber habe wie Clemens und Arnim; ich besitze diesen Anteil
mit gutem Gewissen, da es diesen beiden nichts entzieht. Sie verzeihen, daß
ich so gekritzelt habe, die warme Sonne, die alles bewegt, die Schnee und Herzen
schmilzt, die machte auch die Hand unsicher, welche sich mit wahrer Innigkeit
unterschreibt, ihre Freundin Bettine." Das Lahntal bei Marburg hatte es ihr
angetan: "Wenn ich das Leben eines Wanderers recht bildlich beschreiben
wollte, so würde ich diese Gegend nehmen, so wie ich sie aus meinem Fenster
sah, jung und alte Wälder zur Rechten und zur Linken, einsame, stille Tale,
wo es recht wild aussieht, Brücken und Stege über große und kleine Flüsse,


<Lin romantisches Brautpaar

an grüßenden Bildern, worüber Sie klagen, wird bald nicht mehr statthaben.
Der Frühling führt diese mit sich auf Wolken und Blumen und Strömen und
den kleinen niedlichen Vögelskehlen, ich freue mich sehr, diesen mächtigen Herrscher
und Eroberer hier durchziehen zu sehen, ich habe auch den besten Platz und stehe
gleich vornean, es wird mir gewiß nichts von seinen, Glanz entgehen hier auf
dieser edlen Spitze über hängenden Gärten und vielen Bächlein und Brücken
und Stegen für den Wandersmann und tausend kleine Täter und Gebüsche voll
wilder und zahmer Schöpfung; die Reiselust hängt sich oft mit Gewalt an mein
Herz, o es will was sagen, wenn unsere Seele dem Gedanken folgt in die
weite, freie Natur, die Füße und den Leib nicht zugleich mitzunehmen, und
zumalen hier, wo einen die Macht und Herrlichkeit Gottes von vier Seiten
begrüßt, hier Sonnenaufgang, dort Sonnenuntergang, mein Schlafzimmer gegen
Norden, und wenn ich aus diesem trete, die braune Nacht noch im Herzen und
in den Augen, lacht mich gleich der freundliche helle Tag mit milden, rötlichen
Strahlen an. Überhaupt scheint unsere Wohnung von allen Elementen besonders
beachtet zu werden. Der Wind behandelte uns wie die jüngsten Kinder seiner
Laune oder vielmehr wie Wiegenkinder, denn er singt so manche kindische
Phantasie, so manche einschläfernde Ungereimtheit in die annoch dürren Äste
der Bäume und Hecken, die in unsere Schlafzimmer hereinschauen, und in die
losen Fensterscheiben, daß man denken sollte, es sei ihm etwas an unserem Ge¬
deihen gelegen. Ich habe hier allerlei kleine Sanssoucis, Monrepos und andere
Arten von Lustörtchen angelegt auf alten Mauern und Türmen und Gebüsch,
und Dorne habe ich noch mit Rosen bepflanzt und so Rosen mit Dornen, damit
jede Freude ihren Reiz und jeder Schmerz seine Süßigkeit haben möge. Es
sind meistens nur kleine Bänke von Moos in dichtem Gesträuch, wo man besser
hineinkriecht und hockt als sitzt oder steht. Aber ich stehe auch dafür, daß im
heißesten Sommermittag kaum die Seele der Sonne durchblicken kann. Wer
also Schatten sucht und Kühlung, der nehme seinen Wanderstab und komme
dahin, ich verheiße ihm Erfüllung seiner Wünsche. Ich selbst zwar werde die
Frucht meiner Arbeit nicht mehr genießen, denn wir werden den Mai kaum
hier erwarten. Goethes Rezension (des Wunderhorns) hat nun obendrein aller
Herrlichkeit dieses Frühlings den Ausschlag gegeben, ich wundere mich sehr, daß
ich, die doch gar keinen Teil an dem Verdienst hat, einen ebenso großen an
der Freude darüber habe wie Clemens und Arnim; ich besitze diesen Anteil
mit gutem Gewissen, da es diesen beiden nichts entzieht. Sie verzeihen, daß
ich so gekritzelt habe, die warme Sonne, die alles bewegt, die Schnee und Herzen
schmilzt, die machte auch die Hand unsicher, welche sich mit wahrer Innigkeit
unterschreibt, ihre Freundin Bettine." Das Lahntal bei Marburg hatte es ihr
angetan: „Wenn ich das Leben eines Wanderers recht bildlich beschreiben
wollte, so würde ich diese Gegend nehmen, so wie ich sie aus meinem Fenster
sah, jung und alte Wälder zur Rechten und zur Linken, einsame, stille Tale,
wo es recht wild aussieht, Brücken und Stege über große und kleine Flüsse,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/430>, abgerufen am 26.06.2024.