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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin romantisches Brautpaar

tonneau". Ebenso überragen sein leider unvollendet gebliebener großer histo¬
rischer Roman "Die Kronenwächter" sowie der Zeitroman "Armut, Reichtum,
Schuld und Buße der Gräfin Dolores" weit die meisten unserer modernen
belletristischen Erzeugnisse. Es erscheint mir deshalb als eine Pflicht, wiederholt
auf die drei starke Bände umfassende Sammlung von Arnims Werken hin¬
zuweisen, die der Inselverlag für 3 Mark herausgebracht hat. Diese günstige
und äußerst wohlfeile Gelegenheit, einen großen, echt nationalen Dichter kennen
zu lernen, sollte sich kein Deutscher entgehen lassen.

AIs Arnim im Jahre 1800 die berühmte Universität Göttingen bezogen
hatte, um die in Halle begonnenen juristischen und physikalischen Studien fort¬
zusetzen, wurde er dort mit dem jungen, als Dichter schon bekannten Frank¬
furter Kaufmannssohn Clemens Brentano bekannt und eng befreundet, der sich
in Jena unter dem Einflüsse der Schlegel, Tieck, Novalis ganz den roman¬
tischen Ideen ergeben hatte. Durch ihn wurde er zu eigener poetischer Arbeit,
gleichfalls im Sinne der neuen Kunstlehre, angeregt, durch ihn wurde er auch,
zuerst mündlich und brieflich, dann im Juni 1802 persönlich, mit Bettine
Brentano bekannt, die am 10. März 1811 seine Gattin wurde. Während dieser
Jahre ist zwischen den beiden fast ununterbrochen ein reger Briefwechsel geführt
worden, den uns nun Reinhold Steig im zweiten Bande des von ihm und
Herman Grimm herausgegebenen Werkes "Achin von Arnim und die ihm
nahe standen" unter dem Titel "Achin von Arnim und Bettine Brentano" vorlegt
(Stuttgart und Berlin 1913; Verlag der I, G. Cottaschen Buchhandlung Nach¬
folger. Preis 10 Mary.

Einundzwanzig Jahre war Arnim alt, als er zum ersten Male, der
dringenden Einladung des Freundes Clemens folgend, im gastlichen Hause der
vielköpfigen Familie Brentano, dem Goldenen Kopf in der Sandgasse zu
Frankfurt am Main, einkehrte. Damals stand die schwärmerische Liebe zwischen
Clemens und Bettine in höchster Blüte; in Bettinens wundersam poetischem
Briefroman "Clemens Brentanos Frühlingskranz" vernehmen wir noch den
Nachhall aus der Jugendzeit zweier genialischer Menschen. Hier können wir
auch nachlesen, wie Bettine scherzend dem Bruder den Auftrag gab: "Wenn
du an Arnim schreibst, so sage ihm, daß ich ihn noch recht lieb habe, aber
nicht so deutlich sage es ihm, wie hier in diesem Bries;" und jene lustige Be¬
schreibung des Freundespaares finden wir hier: "Ich war bei der Günderode,
als ich von Eurer Begleitung nach dem Mainzer Schiff zurückkam, ich lachte,
und sie lächelte (sie lächelt immer nur über dich, sie lacht nie), wie ich ihr aber
die Beschreibung machte von Euch zwei, wie Arnim so schlampig in seinem
weiten Überrock, die Naht im Ärmel aufgetrennt, mit dem Ziegenhainer, die
Mütze mit halb abgerissenen Futter, das neben heraus sah, du so fein und
elegant, mit rotem Mützchen über deinen tausend schwarzen Locken, mit dem
dünnsten Röhrchen, einen lockenden Tabaksbeutel aus der Tasche, und wie
Arnim unterwegs die Bemerkung machte, die Mädchen am Brunnen sähen dir


Lin romantisches Brautpaar

tonneau". Ebenso überragen sein leider unvollendet gebliebener großer histo¬
rischer Roman „Die Kronenwächter" sowie der Zeitroman „Armut, Reichtum,
Schuld und Buße der Gräfin Dolores" weit die meisten unserer modernen
belletristischen Erzeugnisse. Es erscheint mir deshalb als eine Pflicht, wiederholt
auf die drei starke Bände umfassende Sammlung von Arnims Werken hin¬
zuweisen, die der Inselverlag für 3 Mark herausgebracht hat. Diese günstige
und äußerst wohlfeile Gelegenheit, einen großen, echt nationalen Dichter kennen
zu lernen, sollte sich kein Deutscher entgehen lassen.

AIs Arnim im Jahre 1800 die berühmte Universität Göttingen bezogen
hatte, um die in Halle begonnenen juristischen und physikalischen Studien fort¬
zusetzen, wurde er dort mit dem jungen, als Dichter schon bekannten Frank¬
furter Kaufmannssohn Clemens Brentano bekannt und eng befreundet, der sich
in Jena unter dem Einflüsse der Schlegel, Tieck, Novalis ganz den roman¬
tischen Ideen ergeben hatte. Durch ihn wurde er zu eigener poetischer Arbeit,
gleichfalls im Sinne der neuen Kunstlehre, angeregt, durch ihn wurde er auch,
zuerst mündlich und brieflich, dann im Juni 1802 persönlich, mit Bettine
Brentano bekannt, die am 10. März 1811 seine Gattin wurde. Während dieser
Jahre ist zwischen den beiden fast ununterbrochen ein reger Briefwechsel geführt
worden, den uns nun Reinhold Steig im zweiten Bande des von ihm und
Herman Grimm herausgegebenen Werkes „Achin von Arnim und die ihm
nahe standen" unter dem Titel „Achin von Arnim und Bettine Brentano" vorlegt
(Stuttgart und Berlin 1913; Verlag der I, G. Cottaschen Buchhandlung Nach¬
folger. Preis 10 Mary.

Einundzwanzig Jahre war Arnim alt, als er zum ersten Male, der
dringenden Einladung des Freundes Clemens folgend, im gastlichen Hause der
vielköpfigen Familie Brentano, dem Goldenen Kopf in der Sandgasse zu
Frankfurt am Main, einkehrte. Damals stand die schwärmerische Liebe zwischen
Clemens und Bettine in höchster Blüte; in Bettinens wundersam poetischem
Briefroman „Clemens Brentanos Frühlingskranz" vernehmen wir noch den
Nachhall aus der Jugendzeit zweier genialischer Menschen. Hier können wir
auch nachlesen, wie Bettine scherzend dem Bruder den Auftrag gab: „Wenn
du an Arnim schreibst, so sage ihm, daß ich ihn noch recht lieb habe, aber
nicht so deutlich sage es ihm, wie hier in diesem Bries;" und jene lustige Be¬
schreibung des Freundespaares finden wir hier: „Ich war bei der Günderode,
als ich von Eurer Begleitung nach dem Mainzer Schiff zurückkam, ich lachte,
und sie lächelte (sie lächelt immer nur über dich, sie lacht nie), wie ich ihr aber
die Beschreibung machte von Euch zwei, wie Arnim so schlampig in seinem
weiten Überrock, die Naht im Ärmel aufgetrennt, mit dem Ziegenhainer, die
Mütze mit halb abgerissenen Futter, das neben heraus sah, du so fein und
elegant, mit rotem Mützchen über deinen tausend schwarzen Locken, mit dem
dünnsten Röhrchen, einen lockenden Tabaksbeutel aus der Tasche, und wie
Arnim unterwegs die Bemerkung machte, die Mädchen am Brunnen sähen dir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/427>, abgerufen am 24.08.2024.