Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Politik der Rangordnung Erst wo auch der Besitz nicht mehr groß genug ist, beginnt die rangbildende Nach unseren Ausführungen ergibt sich eine soziale Schichtung in vier Die Politik der Rangordnung besteht also tatsächlich; sie besteht längst, Grenzboten IV 1913 26
Politik der Rangordnung Erst wo auch der Besitz nicht mehr groß genug ist, beginnt die rangbildende Nach unseren Ausführungen ergibt sich eine soziale Schichtung in vier Die Politik der Rangordnung besteht also tatsächlich; sie besteht längst, Grenzboten IV 1913 26
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327225"/> <fw type="header" place="top"> Politik der Rangordnung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1618"> Erst wo auch der Besitz nicht mehr groß genug ist, beginnt die rangbildende<lb/> Wirkung des Wissens. Die Zahl der dadurch Klassierten wächst beträchtlich<lb/> gegenüber den durch Geburt und Besitz Ausgezeichneten. Es beginnt die viel¬<lb/> genannte „Masse der Gebildeten", durch ihre Bildung deutlich abgeschieden von<lb/> der noch größeren Masse des sogenannten Volkes. Die Klassierung nach dem<lb/> Wissen, als einem demokratischen Mittel, ist seit den letzten Jahrhunderten sehr<lb/> beliebt, seine Macht nicht gering. Viel Tüchtigkeit hat in dieser Schicht ihren<lb/> Herd, sast alle großen Leistungen der so schnell fortschreitenden und mit Recht<lb/> beliebten Neuzeit sind von ihr ausgegangen. Dennoch, oder eben deswegen,<lb/> wird das Wissen als rangbildendes, besser: kulturförderndes, noch besser: kultur¬<lb/> beweisendes Moment überschätzt, und der Höhepunkt seiner Macht dürfte über¬<lb/> schritten sein. Wenn nicht alles täuscht, gehen wir einer Geringschätzung des<lb/> bloßen Wissens entgegen zugunsten einer Hochschätzung der körperlichen Tüchtigkeit,<lb/> der Kraft und des Mutes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1619"> Nach unseren Ausführungen ergibt sich eine soziale Schichtung in vier<lb/> Gruppen, die, nach oben an Zahl abnehmend, eine Gesellschaftspyramide dar¬<lb/> stellen: das Volk, die Gebildeten, die Besitzenden, die Herrschenden (Adel,<lb/> Patriziat) — der Grundriß einer Rangordnung, der nun mit Teilung und Unter¬<lb/> teilung weiter ausgeführt werden könnte. Es wäre denn also billig und konsequent,<lb/> die bisher von der Intelligenz verteidigte Gleichheit der politischen Rechte auf¬<lb/> zuheben und an ihre Stelle eine Verschiedenheit je nach der Rangstufe zu setzen.<lb/> Diese schauderhaft unliberale Forderung ist nun, wenn wir ehrlich sind, das¬<lb/> jenige, was tatsächlich besteht: die staatsrechtlich festgelegte Herrschergewalt einer<lb/> bestimmten Familie, die traditionelle Verwaltung der höheren Beamten- und<lb/> Offiziersposten durch den Adel, die indirekte Beeinflussung der Staatsmaschine<lb/> durch die Finanz, die durch Lehrämter aller Art, durch Buch und Presse geübte<lb/> Lenkung der öffentlichen Meinung und Gesinnung als Domäne des gebildeten<lb/> Bürgerstandes — das alles sind ebensoviele Verschiedenheiten und Abstufungen<lb/> von Recht und Macht, und jedermann findet es in der Ordnung. Es bewährt<lb/> sich dies System auch offenbar in der Praxis, und wenn man als Gegenbeispiel<lb/> auf republikanische Staaten verweist, so folgt daraus, daß nicht der Adel die<lb/> höchsten Stellen inne hat, noch nicht, daß diese Posten nicht innerhalb eines<lb/> bestimmten engen Kreises bleiben. Schichtenbildung ist eben ein gesellschaftliches<lb/> Naturgesetz und von der Staatsform unabhängig. Daß übrigens gewählte<lb/> Präsidenten besser regieren als geborene Regenten, ist noch völlig unbewiesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1620" next="#ID_1621"> Die Politik der Rangordnung besteht also tatsächlich; sie besteht längst,<lb/> entgegen den alten Theorien; sie besteht jetzt und künftig in Übereinstimmung<lb/> mit den neuen. Soll man sie auch staatsrechtlich festlegen, dort, wo das<lb/> eigentlich politische Recht liegt: im Wahlrecht? Die liberale und demokratische<lb/> Idee des allgemeinen Wahlrechtes widerspricht doch wohl am meisten der indi¬<lb/> vidualistischen Weltanschauung. Daß ein stupider Ackerknecht und Handlanger<lb/> die gleiche Macht haben soll wie — sagen wir — Graf Zeppelin oder Gerhart</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1913 26</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Politik der Rangordnung
Erst wo auch der Besitz nicht mehr groß genug ist, beginnt die rangbildende
Wirkung des Wissens. Die Zahl der dadurch Klassierten wächst beträchtlich
gegenüber den durch Geburt und Besitz Ausgezeichneten. Es beginnt die viel¬
genannte „Masse der Gebildeten", durch ihre Bildung deutlich abgeschieden von
der noch größeren Masse des sogenannten Volkes. Die Klassierung nach dem
Wissen, als einem demokratischen Mittel, ist seit den letzten Jahrhunderten sehr
beliebt, seine Macht nicht gering. Viel Tüchtigkeit hat in dieser Schicht ihren
Herd, sast alle großen Leistungen der so schnell fortschreitenden und mit Recht
beliebten Neuzeit sind von ihr ausgegangen. Dennoch, oder eben deswegen,
wird das Wissen als rangbildendes, besser: kulturförderndes, noch besser: kultur¬
beweisendes Moment überschätzt, und der Höhepunkt seiner Macht dürfte über¬
schritten sein. Wenn nicht alles täuscht, gehen wir einer Geringschätzung des
bloßen Wissens entgegen zugunsten einer Hochschätzung der körperlichen Tüchtigkeit,
der Kraft und des Mutes.
Nach unseren Ausführungen ergibt sich eine soziale Schichtung in vier
Gruppen, die, nach oben an Zahl abnehmend, eine Gesellschaftspyramide dar¬
stellen: das Volk, die Gebildeten, die Besitzenden, die Herrschenden (Adel,
Patriziat) — der Grundriß einer Rangordnung, der nun mit Teilung und Unter¬
teilung weiter ausgeführt werden könnte. Es wäre denn also billig und konsequent,
die bisher von der Intelligenz verteidigte Gleichheit der politischen Rechte auf¬
zuheben und an ihre Stelle eine Verschiedenheit je nach der Rangstufe zu setzen.
Diese schauderhaft unliberale Forderung ist nun, wenn wir ehrlich sind, das¬
jenige, was tatsächlich besteht: die staatsrechtlich festgelegte Herrschergewalt einer
bestimmten Familie, die traditionelle Verwaltung der höheren Beamten- und
Offiziersposten durch den Adel, die indirekte Beeinflussung der Staatsmaschine
durch die Finanz, die durch Lehrämter aller Art, durch Buch und Presse geübte
Lenkung der öffentlichen Meinung und Gesinnung als Domäne des gebildeten
Bürgerstandes — das alles sind ebensoviele Verschiedenheiten und Abstufungen
von Recht und Macht, und jedermann findet es in der Ordnung. Es bewährt
sich dies System auch offenbar in der Praxis, und wenn man als Gegenbeispiel
auf republikanische Staaten verweist, so folgt daraus, daß nicht der Adel die
höchsten Stellen inne hat, noch nicht, daß diese Posten nicht innerhalb eines
bestimmten engen Kreises bleiben. Schichtenbildung ist eben ein gesellschaftliches
Naturgesetz und von der Staatsform unabhängig. Daß übrigens gewählte
Präsidenten besser regieren als geborene Regenten, ist noch völlig unbewiesen.
Die Politik der Rangordnung besteht also tatsächlich; sie besteht längst,
entgegen den alten Theorien; sie besteht jetzt und künftig in Übereinstimmung
mit den neuen. Soll man sie auch staatsrechtlich festlegen, dort, wo das
eigentlich politische Recht liegt: im Wahlrecht? Die liberale und demokratische
Idee des allgemeinen Wahlrechtes widerspricht doch wohl am meisten der indi¬
vidualistischen Weltanschauung. Daß ein stupider Ackerknecht und Handlanger
die gleiche Macht haben soll wie — sagen wir — Graf Zeppelin oder Gerhart
Grenzboten IV 1913 26
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