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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Politik der Rangordnung

Hauptmann, dagegen empören sich unsere durch Nietzsche geweckten Instinkte.
Die große Frage ist also: hat die Politik der Rangordnung die Konseqenz,
das allgemeine und gleiche Wahlrecht in ein abgestuftes zu verwandeln?

Auf diese heikle Frage können wir nach unseren Prämissen nicht anders
antworten als: jawohl! aus der Lehre vom Wertunterschiede der Menschen
folgt notwendig an Stelle des gleichen Wahlrechtes das ungleiche. Das heißt,
unter einer Bedingung: daß es leistet, was der Sinn des Parlamentarismus
ist, nämlich die Besten auszufinden und an die Spitze zu stellen. Aber leistet
dies das abgestufte Wahlrecht, in Preußen, wo man nach dem Steuerzettel
gewertet wird, oder sonstwo? Nein. Und kann irgendein vorgeschlagenes
es leisten? Wir wüßten nicht, wie. Die Abstufung der Rechte muß solange
willkürlich bleiben, als die Wertbestimmung unmöglich ist. Und wenn sie heute
gelänge, und eine Rangordnung der Rechte darauf gegründet würde, so braucht
sie in hundert Jahren nicht mehr zu stimmen. Und dagegen, daß jede staatlich
festgelegte Rechtsungleichheit zur Korruption führt, scheint kein Kraut gewachsen
zu sein.

Was folgt also? Erstens dies: zur Festsetzung politischer Rechte reicht
die Theorie nicht aus. Das ist vielmehr eine Frage der Opportunist, der
lokalen und geschichtlichen Verhältnisse, es handelt sich dabei um nützlich und
schädlich, nicht um gerecht und ungerecht. Zweitens aber dies: daß das Genie
verkannt wird, daß die gehaltloser Schreier vor den wertvollen Stillen sich
bemerklich machen und Erfolg haben, daß die Gemeinheit triumphiert und das
Leben ein höchst ungerechtes Verfahren ist: dies alles scheint so sehr menschlich
zu sein, daß es durch kein Wahlrecht und überhaupt durch keine Politik ver¬
hütet werden kann.

Und so gelangen wir denn an den Schluß unseres Gedankenganges. Wir
begannen mit der Frage: wenn wir nicht von der ursprünglichen Gleichheit
der Menschen, sondern von ihrer Verschiedenheit ausgehen, was hat das für
politische Folgen? Und antworten darauf: es hat so gut wie gar keine
politischen Folgen; die Theorie läßt sich nicht in die Praxis umsetzen, wenigstens
vorläufig nicht. Sonach geht diese Sache aus, wie das Hornberger Schießen,
und wir hätten dem Leser die langen Kreuz- und Quergänge ersparen sollen.
Möge man uns damit entschuldigen, daß zu zeigen, ein verlockender Weg führe
zu keinem Ziel, bisweilen auch von Nutzen sein kann, indem er andere abhält,
sich auf ihm vergeblich müde zu laufen.

Bis also ein Meister die Formel findet, mit der sich die Menschen leicht,
gerecht und dauernd nach ihrem Werte abschätzen lassen, wollen wir, die wir
zum Besseren streben, fortfahren, mit stiller Arbeit der Kultur und der
Menschheit zu dienen, die praktische Politik hingegen denen überlassen, welche
so hoch stehen, daß sie konservativ, oder so tief, daß sie demokratisch sein
müssen, oder endlich, welche so gebildet sind, daß sie sich für liberal halten.




Politik der Rangordnung

Hauptmann, dagegen empören sich unsere durch Nietzsche geweckten Instinkte.
Die große Frage ist also: hat die Politik der Rangordnung die Konseqenz,
das allgemeine und gleiche Wahlrecht in ein abgestuftes zu verwandeln?

Auf diese heikle Frage können wir nach unseren Prämissen nicht anders
antworten als: jawohl! aus der Lehre vom Wertunterschiede der Menschen
folgt notwendig an Stelle des gleichen Wahlrechtes das ungleiche. Das heißt,
unter einer Bedingung: daß es leistet, was der Sinn des Parlamentarismus
ist, nämlich die Besten auszufinden und an die Spitze zu stellen. Aber leistet
dies das abgestufte Wahlrecht, in Preußen, wo man nach dem Steuerzettel
gewertet wird, oder sonstwo? Nein. Und kann irgendein vorgeschlagenes
es leisten? Wir wüßten nicht, wie. Die Abstufung der Rechte muß solange
willkürlich bleiben, als die Wertbestimmung unmöglich ist. Und wenn sie heute
gelänge, und eine Rangordnung der Rechte darauf gegründet würde, so braucht
sie in hundert Jahren nicht mehr zu stimmen. Und dagegen, daß jede staatlich
festgelegte Rechtsungleichheit zur Korruption führt, scheint kein Kraut gewachsen
zu sein.

Was folgt also? Erstens dies: zur Festsetzung politischer Rechte reicht
die Theorie nicht aus. Das ist vielmehr eine Frage der Opportunist, der
lokalen und geschichtlichen Verhältnisse, es handelt sich dabei um nützlich und
schädlich, nicht um gerecht und ungerecht. Zweitens aber dies: daß das Genie
verkannt wird, daß die gehaltloser Schreier vor den wertvollen Stillen sich
bemerklich machen und Erfolg haben, daß die Gemeinheit triumphiert und das
Leben ein höchst ungerechtes Verfahren ist: dies alles scheint so sehr menschlich
zu sein, daß es durch kein Wahlrecht und überhaupt durch keine Politik ver¬
hütet werden kann.

Und so gelangen wir denn an den Schluß unseres Gedankenganges. Wir
begannen mit der Frage: wenn wir nicht von der ursprünglichen Gleichheit
der Menschen, sondern von ihrer Verschiedenheit ausgehen, was hat das für
politische Folgen? Und antworten darauf: es hat so gut wie gar keine
politischen Folgen; die Theorie läßt sich nicht in die Praxis umsetzen, wenigstens
vorläufig nicht. Sonach geht diese Sache aus, wie das Hornberger Schießen,
und wir hätten dem Leser die langen Kreuz- und Quergänge ersparen sollen.
Möge man uns damit entschuldigen, daß zu zeigen, ein verlockender Weg führe
zu keinem Ziel, bisweilen auch von Nutzen sein kann, indem er andere abhält,
sich auf ihm vergeblich müde zu laufen.

Bis also ein Meister die Formel findet, mit der sich die Menschen leicht,
gerecht und dauernd nach ihrem Werte abschätzen lassen, wollen wir, die wir
zum Besseren streben, fortfahren, mit stiller Arbeit der Kultur und der
Menschheit zu dienen, die praktische Politik hingegen denen überlassen, welche
so hoch stehen, daß sie konservativ, oder so tief, daß sie demokratisch sein
müssen, oder endlich, welche so gebildet sind, daß sie sich für liberal halten.




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[0414] Politik der Rangordnung Hauptmann, dagegen empören sich unsere durch Nietzsche geweckten Instinkte. Die große Frage ist also: hat die Politik der Rangordnung die Konseqenz, das allgemeine und gleiche Wahlrecht in ein abgestuftes zu verwandeln? Auf diese heikle Frage können wir nach unseren Prämissen nicht anders antworten als: jawohl! aus der Lehre vom Wertunterschiede der Menschen folgt notwendig an Stelle des gleichen Wahlrechtes das ungleiche. Das heißt, unter einer Bedingung: daß es leistet, was der Sinn des Parlamentarismus ist, nämlich die Besten auszufinden und an die Spitze zu stellen. Aber leistet dies das abgestufte Wahlrecht, in Preußen, wo man nach dem Steuerzettel gewertet wird, oder sonstwo? Nein. Und kann irgendein vorgeschlagenes es leisten? Wir wüßten nicht, wie. Die Abstufung der Rechte muß solange willkürlich bleiben, als die Wertbestimmung unmöglich ist. Und wenn sie heute gelänge, und eine Rangordnung der Rechte darauf gegründet würde, so braucht sie in hundert Jahren nicht mehr zu stimmen. Und dagegen, daß jede staatlich festgelegte Rechtsungleichheit zur Korruption führt, scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Was folgt also? Erstens dies: zur Festsetzung politischer Rechte reicht die Theorie nicht aus. Das ist vielmehr eine Frage der Opportunist, der lokalen und geschichtlichen Verhältnisse, es handelt sich dabei um nützlich und schädlich, nicht um gerecht und ungerecht. Zweitens aber dies: daß das Genie verkannt wird, daß die gehaltloser Schreier vor den wertvollen Stillen sich bemerklich machen und Erfolg haben, daß die Gemeinheit triumphiert und das Leben ein höchst ungerechtes Verfahren ist: dies alles scheint so sehr menschlich zu sein, daß es durch kein Wahlrecht und überhaupt durch keine Politik ver¬ hütet werden kann. Und so gelangen wir denn an den Schluß unseres Gedankenganges. Wir begannen mit der Frage: wenn wir nicht von der ursprünglichen Gleichheit der Menschen, sondern von ihrer Verschiedenheit ausgehen, was hat das für politische Folgen? Und antworten darauf: es hat so gut wie gar keine politischen Folgen; die Theorie läßt sich nicht in die Praxis umsetzen, wenigstens vorläufig nicht. Sonach geht diese Sache aus, wie das Hornberger Schießen, und wir hätten dem Leser die langen Kreuz- und Quergänge ersparen sollen. Möge man uns damit entschuldigen, daß zu zeigen, ein verlockender Weg führe zu keinem Ziel, bisweilen auch von Nutzen sein kann, indem er andere abhält, sich auf ihm vergeblich müde zu laufen. Bis also ein Meister die Formel findet, mit der sich die Menschen leicht, gerecht und dauernd nach ihrem Werte abschätzen lassen, wollen wir, die wir zum Besseren streben, fortfahren, mit stiller Arbeit der Kultur und der Menschheit zu dienen, die praktische Politik hingegen denen überlassen, welche so hoch stehen, daß sie konservativ, oder so tief, daß sie demokratisch sein müssen, oder endlich, welche so gebildet sind, daß sie sich für liberal halten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/414>, abgerufen am 24.08.2024.