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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Politik der Rangordnung

geschlechter, Künstlerfamilien usw. gibt. Kurz, die zweite Schwierigkeit, auf die
der Versuch einer individuellen Rangordnung stößt, ist, daß die Bildung von
Berufsschichten, oder mit anderen Worten, daß die soziale Rangordnung nicht
zu vermeiden ist, ihre Entstehung vielmehr mit der Notwendigkeit eines Natur¬
gesetzes eintritt.

Damit sehen wir uns aufgefordert, die soziale Schichtung, das ungerechte
Widerspiel der individuellen, daraufhin zu prüfen, ob wir sie unserer Politik
der Rangordnung zugrunde legen wollen.

Die soziale Rangordnung ist das, was -- allen Gleichheitstheorien zum
Trotz -- wirklich besteht. Und zwar geschieht die Schichtung nach dreierlei
Qualitäten: nach dem Wissen, nach dem Besitz und nach der traditionellen Be-
teiligung am Staatsgeschäst -- oder nach der "Geburt". Die Rangordnung
nach dem Wissen ist die jüngste und demokratischste; der Aufstieg auf dieser
Leiter ist bis zu einem gewissen Grade jedem möglich; sie gestattet vor allen
anderen eine individuelle Wertung. Sie ist daher sehr beliebt und hat, wie
wir oben sahen, ganze Parteien zu ihren Verfechtern. Fragt sich nur, wie
gerecht diese Wertung ist, das heißt, was dabei eigentlich gewertet wird. Die
Ordnung nach dem Besitz ist die am meisten äußerliche und vom Zufall ab¬
hängige, daher ungerechteste und -- bei denen, die nichts haben -- unbeliebteste.
Die nach der Geburt endlich ist am ältesten, daher am meisten bekämpft und
am meisten zerstört. Sie ist aber am meisten berechtigt -- und dies ist das
höchst unliberale Ergebnis, zu dem wir heute, unter dem Einfluß individualistischer
Lehren, wieder gelangen. Es gibt da etwas, das wir Vornehmheit nennen,
ein Ideal erhöhter Menschlichkeit, auf das Nietzsche wieder mit Nachdruck hin¬
gewiesen hat. Es ist ein Komplex von schwer zu bestimmenden Eigenschaften,
ein Phänomen, dessen Wesen weniger durch bestimmte Inhalte ausgemacht wird,
als vielmehr durch ein gewisses Verhältnis von Qualitäten, bei denen es wohl
vor allem auf Disziplinierung und Harmonie ankommt. Und diese Vornehmheit,
die eigentliche Blüte aller Kultur, hat zur Voraussetzung die Züchtung. Wir
sind heute wohl überzeugt, daß die Hervorbringung einer adligen Oberschicht die
Aufgabe jeder Nation ist -- vorausgesetzt freilich, daß jene Mißbräuche und
jene Korruptionen vermieden werden, welche die alten Adelsgesellschaften Europas
zu Fall gebracht oder erschüttert haben. Das dies möglich ist, beweisen in den
monarchischen Staaten die Herrscherfamilien. Es ist doch höchst eigentümlich
und gibt zu tiefen Gedanken Anlaß, daß ein Mensch, der nur durch den Zufall
seiner Geburt für den höchsten Posten im Staate bestimmt wird, zwar seine
Sache bald besser, bald schlechter macht, aber sie im ganzen doch leistet; wenigstens
in Ländern, wo der Herrscher durch die Verfassung vor seiner größten Gefahr,
dem Despotismus, bewahrt bleibt. Das zeigt den ungeheuren Einfluß von
Geburt und Milieu, mit einem Worte: von Züchtung auf die Leistung. Die
Adelsgesellschaft als Kulmination der gesellschaftlichen Pyramide also ist -- bei
Vermeidung der früher mit ihr verbundenen Mißstände -- durchaus ein Segen


Politik der Rangordnung

geschlechter, Künstlerfamilien usw. gibt. Kurz, die zweite Schwierigkeit, auf die
der Versuch einer individuellen Rangordnung stößt, ist, daß die Bildung von
Berufsschichten, oder mit anderen Worten, daß die soziale Rangordnung nicht
zu vermeiden ist, ihre Entstehung vielmehr mit der Notwendigkeit eines Natur¬
gesetzes eintritt.

Damit sehen wir uns aufgefordert, die soziale Schichtung, das ungerechte
Widerspiel der individuellen, daraufhin zu prüfen, ob wir sie unserer Politik
der Rangordnung zugrunde legen wollen.

Die soziale Rangordnung ist das, was — allen Gleichheitstheorien zum
Trotz — wirklich besteht. Und zwar geschieht die Schichtung nach dreierlei
Qualitäten: nach dem Wissen, nach dem Besitz und nach der traditionellen Be-
teiligung am Staatsgeschäst — oder nach der „Geburt". Die Rangordnung
nach dem Wissen ist die jüngste und demokratischste; der Aufstieg auf dieser
Leiter ist bis zu einem gewissen Grade jedem möglich; sie gestattet vor allen
anderen eine individuelle Wertung. Sie ist daher sehr beliebt und hat, wie
wir oben sahen, ganze Parteien zu ihren Verfechtern. Fragt sich nur, wie
gerecht diese Wertung ist, das heißt, was dabei eigentlich gewertet wird. Die
Ordnung nach dem Besitz ist die am meisten äußerliche und vom Zufall ab¬
hängige, daher ungerechteste und — bei denen, die nichts haben — unbeliebteste.
Die nach der Geburt endlich ist am ältesten, daher am meisten bekämpft und
am meisten zerstört. Sie ist aber am meisten berechtigt — und dies ist das
höchst unliberale Ergebnis, zu dem wir heute, unter dem Einfluß individualistischer
Lehren, wieder gelangen. Es gibt da etwas, das wir Vornehmheit nennen,
ein Ideal erhöhter Menschlichkeit, auf das Nietzsche wieder mit Nachdruck hin¬
gewiesen hat. Es ist ein Komplex von schwer zu bestimmenden Eigenschaften,
ein Phänomen, dessen Wesen weniger durch bestimmte Inhalte ausgemacht wird,
als vielmehr durch ein gewisses Verhältnis von Qualitäten, bei denen es wohl
vor allem auf Disziplinierung und Harmonie ankommt. Und diese Vornehmheit,
die eigentliche Blüte aller Kultur, hat zur Voraussetzung die Züchtung. Wir
sind heute wohl überzeugt, daß die Hervorbringung einer adligen Oberschicht die
Aufgabe jeder Nation ist — vorausgesetzt freilich, daß jene Mißbräuche und
jene Korruptionen vermieden werden, welche die alten Adelsgesellschaften Europas
zu Fall gebracht oder erschüttert haben. Das dies möglich ist, beweisen in den
monarchischen Staaten die Herrscherfamilien. Es ist doch höchst eigentümlich
und gibt zu tiefen Gedanken Anlaß, daß ein Mensch, der nur durch den Zufall
seiner Geburt für den höchsten Posten im Staate bestimmt wird, zwar seine
Sache bald besser, bald schlechter macht, aber sie im ganzen doch leistet; wenigstens
in Ländern, wo der Herrscher durch die Verfassung vor seiner größten Gefahr,
dem Despotismus, bewahrt bleibt. Das zeigt den ungeheuren Einfluß von
Geburt und Milieu, mit einem Worte: von Züchtung auf die Leistung. Die
Adelsgesellschaft als Kulmination der gesellschaftlichen Pyramide also ist — bei
Vermeidung der früher mit ihr verbundenen Mißstände — durchaus ein Segen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/411>, abgerufen am 22.07.2024.