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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Politik der Rangordnung

selber auch nicht mehr wert sei, als das rohe, ungebildete "Volk", sondern im
Gegenteil, er wollte damit sagen, daß er ebensoviel gelte wie der Adel, der
vermöge seiner Privilegien jahrhundertelang die höhere Klasse Mensch darstellte.
Dessen Vorrang bestreitet und bekämpft der Bürger, ja er sucht sich selbst über
den Adel zu setzen, oder vielmehr, er sucht eine andere Eigenschaft zum Maßstab
der Rangordnung zu machen als Geburt und edle Abkunft, eine Qualität, die
ihm, dem mittleren Bürger, auch zugänglich ist, ja die ihn vor allen anderen
Schichten auszeichnet. Dieser Talisman ist die Bildung.

Hier haben wir den reizenden Schelm, der sich als Gesinnung maskiert
hatte, bei beiden Ohren: Liberalismus als politische Partei ist der Wille zur
Macht der Gebildeten. Allgemeine Bildung soll das Ordenszeichen sein, das
den Bund der freien und gleichen Brüder stiftet. Deine Bildung setzt dich an
Wert und damit an Rechten neben die durch bloße Geburt privilegierten Stände,
ja, wenn diese ungebildet sind, über sie. Bildung ist im Prinzip allen Menschen
zugänglich; darum ist Liberalismus in der Theorie demokratisch. Bildung ist in
Wirklichkeit nur Leuten von einigem Gelde erreichbar; darum ist Liberalismus
in der Praxis die Partei der nicht Unbemittelten.

An dieser Stelle wollen wir die schalkhafte Frage nicht abweisen, mit
welchem Rechte denn die also Gesonnenen sich liberal nennen? I^iberalis heißt
ja auch, und wahrscheinlich zuerst: freigebig. I^ibel'allda8 ist eine Eigenschaft
großer Herren, welche ihre Macht nicht tyrannisch, sondern nach Art eines edlen
Charakters anwenden. Liberalität setzt Macht voraus. Friedrichs des Großen
"niedriger hängen" ist liberal. Wenn aber der gebildete Bürger fordert, daß
seine Bildung respektiert werde, muß er dazu erst liberal sein? Vielmehr ein
anderer muß diesem gebildeten Zeitgenossen Liberalität beweisen; das ist jener
Adlige, jener Privilegierte, der vor der Bildung des Bürgers soviel Respekt
hat, daß er ihr zuliebe auf seine Privilegien verzichtet und ihn als einen
Gleichberechtigten anerkennt. Dieser Mann ist liberal, und die Adligen des
französischen Volkes, welche im Jahre 1789, um der Idee der Gleichheit willen,
ihre Vorrechte auf dem Altar des Vaterlandes niederlegten, waren es erst recht.
Die Forderung des liberalen Bürgers, ihrem Ursprung nach und bei Lichte be¬
sehen, lautet also, daß nicht er und seine Parteigenossen, sondern die anderen,
nämlich die die Macht haben, liberal sein sollen. Man muß gestehen, es ist
ein seltsamer Name!

Allein seien wir nicht ungerecht: der Liberalismus hat zum mindesten ein¬
mal eine Gesinnung ausgedrückt, damals nämlich, als es noch gefährlich war,
liberal zu sein, und als man dafür auf die Festung kam. Bis zum Jahre 1848
etwa vertrat er den Willen derjenigen, deren Ziel nicht der materielle Vorteil
einer Berufsklasse oder der politische Ausschwung einer Partei war. sondern die
ehrlich und ernsthaft die Welt ein Stück vorwärts zu bringen hofften. Diese
ersten und echten Liberalen waren die legitimen Erben der hohen Botschaft von
der ursprünglichen Gleichheit der Menschen und Menschenrechte, sie hatten nicht


Politik der Rangordnung

selber auch nicht mehr wert sei, als das rohe, ungebildete „Volk", sondern im
Gegenteil, er wollte damit sagen, daß er ebensoviel gelte wie der Adel, der
vermöge seiner Privilegien jahrhundertelang die höhere Klasse Mensch darstellte.
Dessen Vorrang bestreitet und bekämpft der Bürger, ja er sucht sich selbst über
den Adel zu setzen, oder vielmehr, er sucht eine andere Eigenschaft zum Maßstab
der Rangordnung zu machen als Geburt und edle Abkunft, eine Qualität, die
ihm, dem mittleren Bürger, auch zugänglich ist, ja die ihn vor allen anderen
Schichten auszeichnet. Dieser Talisman ist die Bildung.

Hier haben wir den reizenden Schelm, der sich als Gesinnung maskiert
hatte, bei beiden Ohren: Liberalismus als politische Partei ist der Wille zur
Macht der Gebildeten. Allgemeine Bildung soll das Ordenszeichen sein, das
den Bund der freien und gleichen Brüder stiftet. Deine Bildung setzt dich an
Wert und damit an Rechten neben die durch bloße Geburt privilegierten Stände,
ja, wenn diese ungebildet sind, über sie. Bildung ist im Prinzip allen Menschen
zugänglich; darum ist Liberalismus in der Theorie demokratisch. Bildung ist in
Wirklichkeit nur Leuten von einigem Gelde erreichbar; darum ist Liberalismus
in der Praxis die Partei der nicht Unbemittelten.

An dieser Stelle wollen wir die schalkhafte Frage nicht abweisen, mit
welchem Rechte denn die also Gesonnenen sich liberal nennen? I^iberalis heißt
ja auch, und wahrscheinlich zuerst: freigebig. I^ibel'allda8 ist eine Eigenschaft
großer Herren, welche ihre Macht nicht tyrannisch, sondern nach Art eines edlen
Charakters anwenden. Liberalität setzt Macht voraus. Friedrichs des Großen
„niedriger hängen" ist liberal. Wenn aber der gebildete Bürger fordert, daß
seine Bildung respektiert werde, muß er dazu erst liberal sein? Vielmehr ein
anderer muß diesem gebildeten Zeitgenossen Liberalität beweisen; das ist jener
Adlige, jener Privilegierte, der vor der Bildung des Bürgers soviel Respekt
hat, daß er ihr zuliebe auf seine Privilegien verzichtet und ihn als einen
Gleichberechtigten anerkennt. Dieser Mann ist liberal, und die Adligen des
französischen Volkes, welche im Jahre 1789, um der Idee der Gleichheit willen,
ihre Vorrechte auf dem Altar des Vaterlandes niederlegten, waren es erst recht.
Die Forderung des liberalen Bürgers, ihrem Ursprung nach und bei Lichte be¬
sehen, lautet also, daß nicht er und seine Parteigenossen, sondern die anderen,
nämlich die die Macht haben, liberal sein sollen. Man muß gestehen, es ist
ein seltsamer Name!

Allein seien wir nicht ungerecht: der Liberalismus hat zum mindesten ein¬
mal eine Gesinnung ausgedrückt, damals nämlich, als es noch gefährlich war,
liberal zu sein, und als man dafür auf die Festung kam. Bis zum Jahre 1848
etwa vertrat er den Willen derjenigen, deren Ziel nicht der materielle Vorteil
einer Berufsklasse oder der politische Ausschwung einer Partei war. sondern die
ehrlich und ernsthaft die Welt ein Stück vorwärts zu bringen hofften. Diese
ersten und echten Liberalen waren die legitimen Erben der hohen Botschaft von
der ursprünglichen Gleichheit der Menschen und Menschenrechte, sie hatten nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/406>, abgerufen am 22.07.2024.