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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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vorchristlicher Zeit stammenden Altars mit gehörnten Götterbilde*), also wunder-
samerweise gerade da, wo darüber draußen in der Höhe des mehr als tausend
oder zweitausend Jahre später gebauten Domes die gehörnten Fabeltiere Viollets-
le-Duc oder seines Vorgängers ihren Platz finden sollten. "I'out ?an8 8ait".
so leiteten im Jahre 1711 die der Pariser Akademie vorgelegten, mit zwei
Tafeln Abbildungen versehenen Nemoire8 die nähere Besprechung des große"
Fundes ein. Im Jahre 1910 veröffentlichte I. L. Courcelle-Seneuil sein
Werk über die Oieux 0auloi8, das in wahrheitsgetreuer Abbildungen, als sie
die 1717 abgedruckten, eben bezeichneten Memoires und danach (1738) vonFalcken-
stein in seiner Thüringischen Chronika bieten, den Fund von 1710 und
die im neunzehnten Jahrhundert sich anschließenden ähnlichen Funde in
französischer Erde behandelt. Das wichtigste darunter für unsere Zwecke ist
das mit der an den Wendengott Czernobog oder Zernubog anklingenden Über¬
schrift ,.Lernunno8" versehene Neliefbild, das den mit zwei Stierhörnern ver-
sehenen Kopf eines vollbärttgen Mannes wiedergibt; an jedem Horne hängt em
großer starker Ring. Um einen Begriff von der Darstellung des Gottes zu geben,
ist hier versucht worden, aus dem erheblich lädierten, schwer erkennbaren Urbilds
ungefähr die Göttergestalt, wie sie gewesen sein mag. zur Anschauung zu bringen.



Im Keltischen bedeutet Kern ouum nach Courcelles Gewährsmännern
cornes ac jeune taureau. Dem deutschen Kern und Korn ist das alt¬
slavische xerno und wendische -orno nach Grimm urverwandt. Ein jüngst'"")
in Oxford vom dortigen Professor Murray über die Entstehung des Alphabets
gehaltener Vortrag führt die Geschichte des >X auf Höhlen der Urmenschen Süd¬
frankreichs und Spaniens zurück, für welche "sicher bereits 10 000 Jahre vor
Christi Geburt" das /^-Zeichen semitischen Ursprungs den Kopf eines Ochsen
bedeutet, eines wahrscheinlich für jene Menschen heiligsten Gegenstandes, dem




*) Jetzt im Pariser Clugny-Museum.
**
) Berliner Tag vom 30. Oktober 1913, erstes Beiblatt.

vorchristlicher Zeit stammenden Altars mit gehörnten Götterbilde*), also wunder-
samerweise gerade da, wo darüber draußen in der Höhe des mehr als tausend
oder zweitausend Jahre später gebauten Domes die gehörnten Fabeltiere Viollets-
le-Duc oder seines Vorgängers ihren Platz finden sollten. „I'out ?an8 8ait«.
so leiteten im Jahre 1711 die der Pariser Akademie vorgelegten, mit zwei
Tafeln Abbildungen versehenen Nemoire8 die nähere Besprechung des große»
Fundes ein. Im Jahre 1910 veröffentlichte I. L. Courcelle-Seneuil sein
Werk über die Oieux 0auloi8, das in wahrheitsgetreuer Abbildungen, als sie
die 1717 abgedruckten, eben bezeichneten Memoires und danach (1738) vonFalcken-
stein in seiner Thüringischen Chronika bieten, den Fund von 1710 und
die im neunzehnten Jahrhundert sich anschließenden ähnlichen Funde in
französischer Erde behandelt. Das wichtigste darunter für unsere Zwecke ist
das mit der an den Wendengott Czernobog oder Zernubog anklingenden Über¬
schrift ,.Lernunno8" versehene Neliefbild, das den mit zwei Stierhörnern ver-
sehenen Kopf eines vollbärttgen Mannes wiedergibt; an jedem Horne hängt em
großer starker Ring. Um einen Begriff von der Darstellung des Gottes zu geben,
ist hier versucht worden, aus dem erheblich lädierten, schwer erkennbaren Urbilds
ungefähr die Göttergestalt, wie sie gewesen sein mag. zur Anschauung zu bringen.



Im Keltischen bedeutet Kern ouum nach Courcelles Gewährsmännern
cornes ac jeune taureau. Dem deutschen Kern und Korn ist das alt¬
slavische xerno und wendische -orno nach Grimm urverwandt. Ein jüngst'"")
in Oxford vom dortigen Professor Murray über die Entstehung des Alphabets
gehaltener Vortrag führt die Geschichte des >X auf Höhlen der Urmenschen Süd¬
frankreichs und Spaniens zurück, für welche „sicher bereits 10 000 Jahre vor
Christi Geburt" das /^-Zeichen semitischen Ursprungs den Kopf eines Ochsen
bedeutet, eines wahrscheinlich für jene Menschen heiligsten Gegenstandes, dem




*) Jetzt im Pariser Clugny-Museum.
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) Berliner Tag vom 30. Oktober 1913, erstes Beiblatt.
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[0363] vorchristlicher Zeit stammenden Altars mit gehörnten Götterbilde*), also wunder- samerweise gerade da, wo darüber draußen in der Höhe des mehr als tausend oder zweitausend Jahre später gebauten Domes die gehörnten Fabeltiere Viollets- le-Duc oder seines Vorgängers ihren Platz finden sollten. „I'out ?an8 8ait«. so leiteten im Jahre 1711 die der Pariser Akademie vorgelegten, mit zwei Tafeln Abbildungen versehenen Nemoire8 die nähere Besprechung des große» Fundes ein. Im Jahre 1910 veröffentlichte I. L. Courcelle-Seneuil sein Werk über die Oieux 0auloi8, das in wahrheitsgetreuer Abbildungen, als sie die 1717 abgedruckten, eben bezeichneten Memoires und danach (1738) vonFalcken- stein in seiner Thüringischen Chronika bieten, den Fund von 1710 und die im neunzehnten Jahrhundert sich anschließenden ähnlichen Funde in französischer Erde behandelt. Das wichtigste darunter für unsere Zwecke ist das mit der an den Wendengott Czernobog oder Zernubog anklingenden Über¬ schrift ,.Lernunno8" versehene Neliefbild, das den mit zwei Stierhörnern ver- sehenen Kopf eines vollbärttgen Mannes wiedergibt; an jedem Horne hängt em großer starker Ring. Um einen Begriff von der Darstellung des Gottes zu geben, ist hier versucht worden, aus dem erheblich lädierten, schwer erkennbaren Urbilds ungefähr die Göttergestalt, wie sie gewesen sein mag. zur Anschauung zu bringen. [Abbildung] Im Keltischen bedeutet Kern ouum nach Courcelles Gewährsmännern cornes ac jeune taureau. Dem deutschen Kern und Korn ist das alt¬ slavische xerno und wendische -orno nach Grimm urverwandt. Ein jüngst'"") in Oxford vom dortigen Professor Murray über die Entstehung des Alphabets gehaltener Vortrag führt die Geschichte des >X auf Höhlen der Urmenschen Süd¬ frankreichs und Spaniens zurück, für welche „sicher bereits 10 000 Jahre vor Christi Geburt" das /^-Zeichen semitischen Ursprungs den Kopf eines Ochsen bedeutet, eines wahrscheinlich für jene Menschen heiligsten Gegenstandes, dem *) Jetzt im Pariser Clugny-Museum. ** ) Berliner Tag vom 30. Oktober 1913, erstes Beiblatt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/363>, abgerufen am 22.07.2024.