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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der alte Vricnt und seine Beziehungen zum Westen

König Sargon, der Begründer der Sargoniden-Dynastie, kleidet den aus¬
führlichen Bericht über einen seiner wichtigsten Feldzüge, den gegen Urartu (714),
in die Form eines Briefes an feinen Gott Assur und die übrigen Götter der
Stadt Assur. Das gewährt einen neuen Einblick in das Verhältnis von Staat
und Kirche in der Sargonidenzeit.

Zwei in Assur ausgegrabene Reihen von Denksäulen nennen, die eine die
Namen assyrischer Herrscher, die andere die von hervorragenden Beamten oder
Feldherren, -- letzteres eines von vielen Anzeichen, daß die assyrische
Monarchie keineswegs völlig absolutistisch angelegt war. Gleichen Zwecken
dient eine im palästinensischen Gezer aufgedeckte Reihe unbeschriebener Denksteine.

Eine der Herrscherstelen nennt die Semiramis (Sammuramat) als Schwieger¬
tochter Salmanassars des Dritten von Assyrien (860 bis 824 v. Chr.), Gemahlin
seines Sohnes Samsi-Adad des Fünften (824 bis 811) und Mutter Adadniraris
des Vierten (811 bis 783), was ihre hervorragende Teilnahme an der Regierung
besonders zur Zeit ihres Sohnes bekundet. Daß sie eine Babylonierin war und
Babylonien beherrschte, weiß Herodot, der ihre Zeit richtig bestimmt, und in¬
schriftlich steht fest, daß sie den Kult des Gottes Nebo von Babylonien nach
Assyrien einführte, wodurch nach babylonisch - assyrischen Vorstellungen, wie im
Kultus, so auch staatsrechtlich, eine enge Vereinigung der beiden einander so
lange feindlichen Länder gefördert wurde.

So war eine Frau die eigentliche Lenkerin des Zweistromlandes. Bei den
Medern, die damals zuerst mit den Assyrern in feindliche Berührung kamen,
wurde diese ihnen bekannte eigentümliche Herrschergestalt zur eigentlichen Grün¬
derin und Bauherrin des Reiches und mit den Zügen der Göttin Istar, der
Kriegs- und Liebesgöttin, ausgestattet. Von den Medern und Persern ist die
Sage, vielleicht schon ehe das Zweistromland unter ihre Herrschaft geriet, dorthin
zurückgelangt und mit weiteren Elementen einheimischer Tradition ausgestattet
worden. Zu diesen gehört, wie früher schon vermutet, aber erst jetzt durch die
vorerwähnte Herrscherliste klar geworden, die Legende von einer altbabylonischen
Dynastiegründerin, die, ursprünglich eine Schenkin, im vierten Jahrtausend
hundert Jahre lang geherrscht haben soll.

Das ureigenste und für unsere Kultur noch heute maßgebendste Gebiet der
orientalischen Kultur ist. die Religionsgeschichte. Hier bietet die Entwicklung der
ägyptischen Religion infolge der, freilich seitens der ägyptologischen Forschung
manchmal überschätzten, Abgeschlossenheit und Isolierung des Landes ein unver¬
gleichliches Phänomen, dessen volle Würdigung erst die Erschließung der Pyra¬
midentexte ermöglicht hat*).

Das ägyptische Denken bewegte sich stets in Bildern. Das macht sich auch
bei der Gestalt des Osiris geltend, der aus einem feindlichen, im Delta hei¬
mischen und vielleicht nach gewissen Anzeichen ursprünglich aus Syrien ein-



*) I. H. Breasted: "Development ol reliZion ana tliouZKt in ancisnt ZZvpt.",
London 1912.
Der alte Vricnt und seine Beziehungen zum Westen

König Sargon, der Begründer der Sargoniden-Dynastie, kleidet den aus¬
führlichen Bericht über einen seiner wichtigsten Feldzüge, den gegen Urartu (714),
in die Form eines Briefes an feinen Gott Assur und die übrigen Götter der
Stadt Assur. Das gewährt einen neuen Einblick in das Verhältnis von Staat
und Kirche in der Sargonidenzeit.

Zwei in Assur ausgegrabene Reihen von Denksäulen nennen, die eine die
Namen assyrischer Herrscher, die andere die von hervorragenden Beamten oder
Feldherren, — letzteres eines von vielen Anzeichen, daß die assyrische
Monarchie keineswegs völlig absolutistisch angelegt war. Gleichen Zwecken
dient eine im palästinensischen Gezer aufgedeckte Reihe unbeschriebener Denksteine.

Eine der Herrscherstelen nennt die Semiramis (Sammuramat) als Schwieger¬
tochter Salmanassars des Dritten von Assyrien (860 bis 824 v. Chr.), Gemahlin
seines Sohnes Samsi-Adad des Fünften (824 bis 811) und Mutter Adadniraris
des Vierten (811 bis 783), was ihre hervorragende Teilnahme an der Regierung
besonders zur Zeit ihres Sohnes bekundet. Daß sie eine Babylonierin war und
Babylonien beherrschte, weiß Herodot, der ihre Zeit richtig bestimmt, und in¬
schriftlich steht fest, daß sie den Kult des Gottes Nebo von Babylonien nach
Assyrien einführte, wodurch nach babylonisch - assyrischen Vorstellungen, wie im
Kultus, so auch staatsrechtlich, eine enge Vereinigung der beiden einander so
lange feindlichen Länder gefördert wurde.

So war eine Frau die eigentliche Lenkerin des Zweistromlandes. Bei den
Medern, die damals zuerst mit den Assyrern in feindliche Berührung kamen,
wurde diese ihnen bekannte eigentümliche Herrschergestalt zur eigentlichen Grün¬
derin und Bauherrin des Reiches und mit den Zügen der Göttin Istar, der
Kriegs- und Liebesgöttin, ausgestattet. Von den Medern und Persern ist die
Sage, vielleicht schon ehe das Zweistromland unter ihre Herrschaft geriet, dorthin
zurückgelangt und mit weiteren Elementen einheimischer Tradition ausgestattet
worden. Zu diesen gehört, wie früher schon vermutet, aber erst jetzt durch die
vorerwähnte Herrscherliste klar geworden, die Legende von einer altbabylonischen
Dynastiegründerin, die, ursprünglich eine Schenkin, im vierten Jahrtausend
hundert Jahre lang geherrscht haben soll.

Das ureigenste und für unsere Kultur noch heute maßgebendste Gebiet der
orientalischen Kultur ist. die Religionsgeschichte. Hier bietet die Entwicklung der
ägyptischen Religion infolge der, freilich seitens der ägyptologischen Forschung
manchmal überschätzten, Abgeschlossenheit und Isolierung des Landes ein unver¬
gleichliches Phänomen, dessen volle Würdigung erst die Erschließung der Pyra¬
midentexte ermöglicht hat*).

Das ägyptische Denken bewegte sich stets in Bildern. Das macht sich auch
bei der Gestalt des Osiris geltend, der aus einem feindlichen, im Delta hei¬
mischen und vielleicht nach gewissen Anzeichen ursprünglich aus Syrien ein-



*) I. H. Breasted: „Development ol reliZion ana tliouZKt in ancisnt ZZvpt.",
London 1912.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/312>, abgerufen am 29.06.2024.