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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen

Daß die ersten Waffen und Werkzeuge jedesmal Schöpfungen eines erfinde¬
rischen Geistes waren und sich von ihrem Ursprungsort weiter verbreiteten, nicht
etwa an vielen Stellen sozusagen zugleich emporsproßten, ist jetzt wohl allgemein
zugegeben. Wie eins der ältesten und sinnreichsten Gewässer, der Bogen mit
dem Pfeile erfunden sein mag, ist jüngst unter dem Einfluß der traditionellen
Atmosphäre Chinas einleuchtend erklärt worden*).

Wie kam der steinzeitliche Jäger auf die Vorrichtung, mittelst derer er erst
die Muskelkraft seines Armes aufspeichern und sie dann in einem gegebenen
Momente mit dem gefiederten Pfeil hinaussenden konnte, weiter und gerader,
als es je mit Lanze oder Wurfspieß möglich war, -- selbst angenommen, daß
er die Materialien besaß und mit der Elastizität des Holzes wohl bekannt war?
Die Schwierigkeit verschwindet, wenn angenommen werden könnte, daß das
Modell eines solchen Bogens schon lange vor der Erfindung des Bogenschießens
in Verwendung war.

Tatsächlich gehörte ein kleines Bogenmodell zu den allerersten Werkzeugen,
die der Mensch beim Erwachen der Kultur zu verwenden hatte, nämlich: der
kleine sogenannte "Fiedelbogen", ein biegsamer Stab mit einem an beiden
Enden befestigten Lederstrang. Ein runder Holzstab in eine Vertiefung gesetzt,
wurde damit rasch vorwärts und rückwärts gedreht. Mit dieser einfachen Vor¬
richtung, etwas Sand und hinlänglicher Geduld konnte man durch harten Stein
saubere runde Löcher bohren. Als sogenannter "Feuerbohrer" dient dasselbe
Gerät bekanntlich bei einigen wilden Völkern noch jetzt dazu, Holz durch Reibung
zu entzünden. Großer Scharfsinn gehörte zu dieser Erfindung nicht. Ver¬
mutlich wurde der Strang ursprünglich mit beiden Händen oder von zwei
Arbeitern hin und her gezogen. Einer, dem gerade der Gehilfe fehlte, konnte
leicht auf den Einfall kommen, den Strang an einen Stock zu binden und so
die zwiefache Bewegung mit einer Hand, ziehend und schiebend, zu bewirken,
so daß er die andere Hand freibekam, um das Werkzeug zu halten oder zu
richten.

Mit diesem von vielen steinzeitlichen Generationen verwendeten Bogen¬
modelle mag schließlich ein erfinderisch veranlagter Mensch gespielt und vielleicht
seine Spannkraft geprüft haben, indem er leichte Stäbe von dem Strange fort¬
schnellen ließ. Auf die Kraft und Treffsicherheit solcher anfangs achtlos getaner
Schusse, die aber auch ein bequemes Zielen ermöglichten, aufmerksam werdend,
konnte er leicht auf den Gedanken verfallen, einen größeren Bogen anzufertigen
und so der erste Bogenschütze werden.

Aus Venus-Beobachtungen vom Beginn des zweiten vorchristlichen Jahr¬
hunderts läßt sich -- ein neuer Beleg für die Meisterschaft der Babvlonier in
der Himmelsbeobachtnng -- genau das Jahr berechnen, in welchem sie statt-



") LI. ein Kois-KeymoncZ: "Idoles on LIiineLe ^rcliery." Kopai ^siskin Society,
woren clima Krämer, SnsnZnsi 1912.
Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen

Daß die ersten Waffen und Werkzeuge jedesmal Schöpfungen eines erfinde¬
rischen Geistes waren und sich von ihrem Ursprungsort weiter verbreiteten, nicht
etwa an vielen Stellen sozusagen zugleich emporsproßten, ist jetzt wohl allgemein
zugegeben. Wie eins der ältesten und sinnreichsten Gewässer, der Bogen mit
dem Pfeile erfunden sein mag, ist jüngst unter dem Einfluß der traditionellen
Atmosphäre Chinas einleuchtend erklärt worden*).

Wie kam der steinzeitliche Jäger auf die Vorrichtung, mittelst derer er erst
die Muskelkraft seines Armes aufspeichern und sie dann in einem gegebenen
Momente mit dem gefiederten Pfeil hinaussenden konnte, weiter und gerader,
als es je mit Lanze oder Wurfspieß möglich war, — selbst angenommen, daß
er die Materialien besaß und mit der Elastizität des Holzes wohl bekannt war?
Die Schwierigkeit verschwindet, wenn angenommen werden könnte, daß das
Modell eines solchen Bogens schon lange vor der Erfindung des Bogenschießens
in Verwendung war.

Tatsächlich gehörte ein kleines Bogenmodell zu den allerersten Werkzeugen,
die der Mensch beim Erwachen der Kultur zu verwenden hatte, nämlich: der
kleine sogenannte „Fiedelbogen", ein biegsamer Stab mit einem an beiden
Enden befestigten Lederstrang. Ein runder Holzstab in eine Vertiefung gesetzt,
wurde damit rasch vorwärts und rückwärts gedreht. Mit dieser einfachen Vor¬
richtung, etwas Sand und hinlänglicher Geduld konnte man durch harten Stein
saubere runde Löcher bohren. Als sogenannter „Feuerbohrer" dient dasselbe
Gerät bekanntlich bei einigen wilden Völkern noch jetzt dazu, Holz durch Reibung
zu entzünden. Großer Scharfsinn gehörte zu dieser Erfindung nicht. Ver¬
mutlich wurde der Strang ursprünglich mit beiden Händen oder von zwei
Arbeitern hin und her gezogen. Einer, dem gerade der Gehilfe fehlte, konnte
leicht auf den Einfall kommen, den Strang an einen Stock zu binden und so
die zwiefache Bewegung mit einer Hand, ziehend und schiebend, zu bewirken,
so daß er die andere Hand freibekam, um das Werkzeug zu halten oder zu
richten.

Mit diesem von vielen steinzeitlichen Generationen verwendeten Bogen¬
modelle mag schließlich ein erfinderisch veranlagter Mensch gespielt und vielleicht
seine Spannkraft geprüft haben, indem er leichte Stäbe von dem Strange fort¬
schnellen ließ. Auf die Kraft und Treffsicherheit solcher anfangs achtlos getaner
Schusse, die aber auch ein bequemes Zielen ermöglichten, aufmerksam werdend,
konnte er leicht auf den Gedanken verfallen, einen größeren Bogen anzufertigen
und so der erste Bogenschütze werden.

Aus Venus-Beobachtungen vom Beginn des zweiten vorchristlichen Jahr¬
hunderts läßt sich — ein neuer Beleg für die Meisterschaft der Babvlonier in
der Himmelsbeobachtnng — genau das Jahr berechnen, in welchem sie statt-



") LI. ein Kois-KeymoncZ: „Idoles on LIiineLe ^rcliery." Kopai ^siskin Society,
woren clima Krämer, SnsnZnsi 1912.
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[0310] Der alte Grient und seine Beziehungen zum Westen Daß die ersten Waffen und Werkzeuge jedesmal Schöpfungen eines erfinde¬ rischen Geistes waren und sich von ihrem Ursprungsort weiter verbreiteten, nicht etwa an vielen Stellen sozusagen zugleich emporsproßten, ist jetzt wohl allgemein zugegeben. Wie eins der ältesten und sinnreichsten Gewässer, der Bogen mit dem Pfeile erfunden sein mag, ist jüngst unter dem Einfluß der traditionellen Atmosphäre Chinas einleuchtend erklärt worden*). Wie kam der steinzeitliche Jäger auf die Vorrichtung, mittelst derer er erst die Muskelkraft seines Armes aufspeichern und sie dann in einem gegebenen Momente mit dem gefiederten Pfeil hinaussenden konnte, weiter und gerader, als es je mit Lanze oder Wurfspieß möglich war, — selbst angenommen, daß er die Materialien besaß und mit der Elastizität des Holzes wohl bekannt war? Die Schwierigkeit verschwindet, wenn angenommen werden könnte, daß das Modell eines solchen Bogens schon lange vor der Erfindung des Bogenschießens in Verwendung war. Tatsächlich gehörte ein kleines Bogenmodell zu den allerersten Werkzeugen, die der Mensch beim Erwachen der Kultur zu verwenden hatte, nämlich: der kleine sogenannte „Fiedelbogen", ein biegsamer Stab mit einem an beiden Enden befestigten Lederstrang. Ein runder Holzstab in eine Vertiefung gesetzt, wurde damit rasch vorwärts und rückwärts gedreht. Mit dieser einfachen Vor¬ richtung, etwas Sand und hinlänglicher Geduld konnte man durch harten Stein saubere runde Löcher bohren. Als sogenannter „Feuerbohrer" dient dasselbe Gerät bekanntlich bei einigen wilden Völkern noch jetzt dazu, Holz durch Reibung zu entzünden. Großer Scharfsinn gehörte zu dieser Erfindung nicht. Ver¬ mutlich wurde der Strang ursprünglich mit beiden Händen oder von zwei Arbeitern hin und her gezogen. Einer, dem gerade der Gehilfe fehlte, konnte leicht auf den Einfall kommen, den Strang an einen Stock zu binden und so die zwiefache Bewegung mit einer Hand, ziehend und schiebend, zu bewirken, so daß er die andere Hand freibekam, um das Werkzeug zu halten oder zu richten. Mit diesem von vielen steinzeitlichen Generationen verwendeten Bogen¬ modelle mag schließlich ein erfinderisch veranlagter Mensch gespielt und vielleicht seine Spannkraft geprüft haben, indem er leichte Stäbe von dem Strange fort¬ schnellen ließ. Auf die Kraft und Treffsicherheit solcher anfangs achtlos getaner Schusse, die aber auch ein bequemes Zielen ermöglichten, aufmerksam werdend, konnte er leicht auf den Gedanken verfallen, einen größeren Bogen anzufertigen und so der erste Bogenschütze werden. Aus Venus-Beobachtungen vom Beginn des zweiten vorchristlichen Jahr¬ hunderts läßt sich — ein neuer Beleg für die Meisterschaft der Babvlonier in der Himmelsbeobachtnng — genau das Jahr berechnen, in welchem sie statt- ") LI. ein Kois-KeymoncZ: „Idoles on LIiineLe ^rcliery." Kopai ^siskin Society, woren clima Krämer, SnsnZnsi 1912.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/310>, abgerufen am 03.07.2024.