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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der alte Grient und seine Beziehungen zum Mester

Die^mit großer Bestimmtheit vertretene Behauptung"), daß der ägyptische
Kalender einschließlich der Sothisperiode bereits im Jahre 4241/0 v. Chr. ein¬
gerichtet worden sei, wonach dann die Anfänge der wissenschaftlichen Himmels¬
beobachtung in Ägypten viele Jahrhunderte weiter zurückreichen müßten, ist
erweislich falsch. Die Frage des relativen Alters der beiden Hauptkulturen
kann in dieser Weise keinenfalls entschieden werden. Sie ist auch angesichts
der Tatsache, daß direkte historische Nachrichten für beide ins vierte Jahrtausend
zurückgehen und daß schon in sehr früher Zeit gegenseitige Beeinflussungen statt¬
gefunden haben, von minderem Belang.

Daß in der Völkermischung ein kulturförderndes Element zu erblicke": ist,
wird immer deutlicher. Sie findet sich bei den ältesten Kulturträgern sowohl
am Nil, wie an der Mündung der beiden Ströme. Die Ägypter gehören ihrer
Körperbildung nach zu den Afrikanern, aber die Struktur ihrer Sprache ist so
gut wie völlig semitisch; in Babylonien finden wir ein ältestes, weder semitisches
noch indogermanisches, "nicht-arisches" Element, die offenbar aus dem Innern
Asiens zugewanderten^ Sumerer, mit den Semiten bei deren Vordringen im
Kampfe. !

Eigentümlich ist, daß Kulturelemente und Erzeugnisse, die für Babylonien
charakteristisch und dort allezeit lebendig geblieben sind, in Ägypten in ältester
Zeit auftreten, um dann abzusterben, was für Einführung aus Asien spricht,
so u. a. besonders der Siegelzylinder.

Es empfiehlt sich, die Völker, die unter dem Einfluß der beiden Haupt¬
kulturen oder einer derselben beachtenswerte Kulturformen hervorgebracht haben,
vorweg zu nennen.

Die wichtigsten sind: die semitischen Assyrer, die nichtarischen Hetiter, die
im dreizehnten Jahrhundert zur höchsten Macht und Ausdehnung gelangten;
die semitischen Kanaanäer, deren wichtigster Zweig, die Phöniker, sich bis in
späte Zeiten erhielt, während der Süden der phönikischen Küste im dreizehnten
Jahrhundert von den dem ägätschen Kreise angehörigen nichtarischen Philistern,
das kanaanäische Hinterland von den einer andern semitischen Schicht angehören¬
den Hebräern im weiteren Sinne, den Edomitern, Moabitern, Ammonitern und
schließlich und am nachhaltigsten den Jsraeliten überflutet wurde, so daß
Palästina zum hebräischen, speziell israelitischen Herrschafts- und Kulturgebiet
wurde; die semitischen Aramä'er; die nichtarischen vorarmenischen Urartäer oder
Chalder 840 bis 585; die nichtarischen Lyder; die zu den indogermanischen
Thrakern gehörigen Phryger, die ein nichtarisches Volk, die Moscher, unter¬
jochten; die semitischen Chaldäer im südlichen Babylonien; die indogermanischen
Meder und Perser, zu denen auch die Parther gehören, die dem römischen und
später dem oströmischen Reiche gegenüber das orientalische Element mit Nachdruck
und Zähigkeit aufrechterhalten haben.



") Ed. Meyer: "Geschichte des Altertums", l. 2. 3. Auflage 1913.
Der alte Grient und seine Beziehungen zum Mester

Die^mit großer Bestimmtheit vertretene Behauptung"), daß der ägyptische
Kalender einschließlich der Sothisperiode bereits im Jahre 4241/0 v. Chr. ein¬
gerichtet worden sei, wonach dann die Anfänge der wissenschaftlichen Himmels¬
beobachtung in Ägypten viele Jahrhunderte weiter zurückreichen müßten, ist
erweislich falsch. Die Frage des relativen Alters der beiden Hauptkulturen
kann in dieser Weise keinenfalls entschieden werden. Sie ist auch angesichts
der Tatsache, daß direkte historische Nachrichten für beide ins vierte Jahrtausend
zurückgehen und daß schon in sehr früher Zeit gegenseitige Beeinflussungen statt¬
gefunden haben, von minderem Belang.

Daß in der Völkermischung ein kulturförderndes Element zu erblicke«: ist,
wird immer deutlicher. Sie findet sich bei den ältesten Kulturträgern sowohl
am Nil, wie an der Mündung der beiden Ströme. Die Ägypter gehören ihrer
Körperbildung nach zu den Afrikanern, aber die Struktur ihrer Sprache ist so
gut wie völlig semitisch; in Babylonien finden wir ein ältestes, weder semitisches
noch indogermanisches, „nicht-arisches" Element, die offenbar aus dem Innern
Asiens zugewanderten^ Sumerer, mit den Semiten bei deren Vordringen im
Kampfe. !

Eigentümlich ist, daß Kulturelemente und Erzeugnisse, die für Babylonien
charakteristisch und dort allezeit lebendig geblieben sind, in Ägypten in ältester
Zeit auftreten, um dann abzusterben, was für Einführung aus Asien spricht,
so u. a. besonders der Siegelzylinder.

Es empfiehlt sich, die Völker, die unter dem Einfluß der beiden Haupt¬
kulturen oder einer derselben beachtenswerte Kulturformen hervorgebracht haben,
vorweg zu nennen.

Die wichtigsten sind: die semitischen Assyrer, die nichtarischen Hetiter, die
im dreizehnten Jahrhundert zur höchsten Macht und Ausdehnung gelangten;
die semitischen Kanaanäer, deren wichtigster Zweig, die Phöniker, sich bis in
späte Zeiten erhielt, während der Süden der phönikischen Küste im dreizehnten
Jahrhundert von den dem ägätschen Kreise angehörigen nichtarischen Philistern,
das kanaanäische Hinterland von den einer andern semitischen Schicht angehören¬
den Hebräern im weiteren Sinne, den Edomitern, Moabitern, Ammonitern und
schließlich und am nachhaltigsten den Jsraeliten überflutet wurde, so daß
Palästina zum hebräischen, speziell israelitischen Herrschafts- und Kulturgebiet
wurde; die semitischen Aramä'er; die nichtarischen vorarmenischen Urartäer oder
Chalder 840 bis 585; die nichtarischen Lyder; die zu den indogermanischen
Thrakern gehörigen Phryger, die ein nichtarisches Volk, die Moscher, unter¬
jochten; die semitischen Chaldäer im südlichen Babylonien; die indogermanischen
Meder und Perser, zu denen auch die Parther gehören, die dem römischen und
später dem oströmischen Reiche gegenüber das orientalische Element mit Nachdruck
und Zähigkeit aufrechterhalten haben.



") Ed. Meyer: „Geschichte des Altertums", l. 2. 3. Auflage 1913.
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[0309] Der alte Grient und seine Beziehungen zum Mester Die^mit großer Bestimmtheit vertretene Behauptung"), daß der ägyptische Kalender einschließlich der Sothisperiode bereits im Jahre 4241/0 v. Chr. ein¬ gerichtet worden sei, wonach dann die Anfänge der wissenschaftlichen Himmels¬ beobachtung in Ägypten viele Jahrhunderte weiter zurückreichen müßten, ist erweislich falsch. Die Frage des relativen Alters der beiden Hauptkulturen kann in dieser Weise keinenfalls entschieden werden. Sie ist auch angesichts der Tatsache, daß direkte historische Nachrichten für beide ins vierte Jahrtausend zurückgehen und daß schon in sehr früher Zeit gegenseitige Beeinflussungen statt¬ gefunden haben, von minderem Belang. Daß in der Völkermischung ein kulturförderndes Element zu erblicke«: ist, wird immer deutlicher. Sie findet sich bei den ältesten Kulturträgern sowohl am Nil, wie an der Mündung der beiden Ströme. Die Ägypter gehören ihrer Körperbildung nach zu den Afrikanern, aber die Struktur ihrer Sprache ist so gut wie völlig semitisch; in Babylonien finden wir ein ältestes, weder semitisches noch indogermanisches, „nicht-arisches" Element, die offenbar aus dem Innern Asiens zugewanderten^ Sumerer, mit den Semiten bei deren Vordringen im Kampfe. ! Eigentümlich ist, daß Kulturelemente und Erzeugnisse, die für Babylonien charakteristisch und dort allezeit lebendig geblieben sind, in Ägypten in ältester Zeit auftreten, um dann abzusterben, was für Einführung aus Asien spricht, so u. a. besonders der Siegelzylinder. Es empfiehlt sich, die Völker, die unter dem Einfluß der beiden Haupt¬ kulturen oder einer derselben beachtenswerte Kulturformen hervorgebracht haben, vorweg zu nennen. Die wichtigsten sind: die semitischen Assyrer, die nichtarischen Hetiter, die im dreizehnten Jahrhundert zur höchsten Macht und Ausdehnung gelangten; die semitischen Kanaanäer, deren wichtigster Zweig, die Phöniker, sich bis in späte Zeiten erhielt, während der Süden der phönikischen Küste im dreizehnten Jahrhundert von den dem ägätschen Kreise angehörigen nichtarischen Philistern, das kanaanäische Hinterland von den einer andern semitischen Schicht angehören¬ den Hebräern im weiteren Sinne, den Edomitern, Moabitern, Ammonitern und schließlich und am nachhaltigsten den Jsraeliten überflutet wurde, so daß Palästina zum hebräischen, speziell israelitischen Herrschafts- und Kulturgebiet wurde; die semitischen Aramä'er; die nichtarischen vorarmenischen Urartäer oder Chalder 840 bis 585; die nichtarischen Lyder; die zu den indogermanischen Thrakern gehörigen Phryger, die ein nichtarisches Volk, die Moscher, unter¬ jochten; die semitischen Chaldäer im südlichen Babylonien; die indogermanischen Meder und Perser, zu denen auch die Parther gehören, die dem römischen und später dem oströmischen Reiche gegenüber das orientalische Element mit Nachdruck und Zähigkeit aufrechterhalten haben. ") Ed. Meyer: „Geschichte des Altertums", l. 2. 3. Auflage 1913.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/309>, abgerufen am 22.07.2024.