Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologic

fenstern nannten, in denen sie ein Zeichen der Eifersucht erblickten. Tas gab
den Italienern Anlaß, ihre ^elosia, wie den Franzosen ihre jalousie in richtiger
Lautverschiebung zu bilden, mit ihr aber sowohl den Begriff der Eifersucht als
den des Holzgitters zu verbinden, während die Deutschen von der Jalousie nur
in der letzteren Bedeutung Gebrauch machen.

Geradezu "ein Zeichen des allzuoft und schon früh in unserer Sprache
obwaltenden Ungeschicks"*), ähnlich lautende Wörter aus fremder Sprache zu über¬
nehmen, ist es aber, wenn das griechische, in das lateinische übergegangene
areki, das in Zusammensetzungen eine Steigerung bedeutet, weil es vom
griechischen si-erio (der Erste sein) herkommt, in ein deutsches "Erz" umgeformt
ist und uns so den Erzherzog, den Erzpriester und Erzbischof, wie den Erzschelm
gebracht hat, lediglich zu Ehren der Lautverwandtschaft zwischen arciii und Erz
und ohne jede Rücksicht darauf, daß Erz im Deutschen doch seine selbständige,
ganz andere Bedeutung hat. Eine ähnliche auffällige Leistung deutschsprachlicher
Lautverschiebung ist es, wenn der Deutsch-Amerikaner seines heimischen Deutsch
vergißt und statt eines Vielliebchens mit seiner Tischnachbarin ein "Philippinchen"
verspeist. Auch das ist rechte, echte, in den Augen der Wissenschaft freilich
auch recht schlechte Volksetymologie. Ähnlich wird in England und in Frank¬
reich mit dem deutschen Vielliebchen verfahren. Sogar in englischen Westen¬
taschenwörterbüchern steht zu lesen: "5iIIi peen Vielliebchen." Und Sachs-
Villatte schreiben in ihrem französischen Wörterbuch (1896): pkilippms (corrumpu
aus deutschem Vielliebchen, Philippchen), bon jour, pdilippirie, "guten Morgen,
Vielliebchen." Die Volksetymologie hat es also -- selbstverständlich unbekannt
mit der Bedeutung des Namens Philipp und deshalb unabsichtlich -- fertig
gebracht, unser hübsches Vielliebchen zu einem jedenfalls weniger hübschen
Liebpserdchen umzumodeln; denn bekanntlich bedeutet Philipp laut seines
griechischen Ursprungs nichts anderes als Pferdeliebhaber. Ein gröbliches Ver¬
wandlungskunststück der Volkssprache in Italien war es denn auch, die römischen
keriee ^uM8ti, d. h. die Feier des ersten August als Geburtstag des Kaisers
Augustus zum heute noch dort als Jahresanfang gefeierten 5errgM8to und
damit zu einem Kirchenfest zu machen, welches dem Wunder der Zusammen¬
schweißung (des ken'Al-e) der Ketten Petri galt, t^eriae und kerrars haben
sprachlich nichts gemein; man benutzte nur die beiden gemeinsamen ersten drei
Buchstaben und verdoppelte völlig unberechtigt den letzten von ihnen. Damit
war der Anklang an das lei-rare herbeigeschafft^).

Befolgt hiernach auf der einen Seite die Sprachentwicklung unwandelbare
Gesetze der Lautverschiebung, so wirkt bei ihr auf der anderen Seite Irrtum
und Unwissenheit in starker Weise mit und erwirbt sich eine gewisse Herrschaft.
Wer aber jenen Gesetzen nachgehen will, muß in die ferne Vergangenheit zurück-




*) Grimm, Deutsches Wörterbuch unter "Erzherzog".
*-) Siehe darüber den Berliner Tag vom 20. und 24. August 1918, sowie die
dortigen Zitate.
Lin Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologic

fenstern nannten, in denen sie ein Zeichen der Eifersucht erblickten. Tas gab
den Italienern Anlaß, ihre ^elosia, wie den Franzosen ihre jalousie in richtiger
Lautverschiebung zu bilden, mit ihr aber sowohl den Begriff der Eifersucht als
den des Holzgitters zu verbinden, während die Deutschen von der Jalousie nur
in der letzteren Bedeutung Gebrauch machen.

Geradezu „ein Zeichen des allzuoft und schon früh in unserer Sprache
obwaltenden Ungeschicks"*), ähnlich lautende Wörter aus fremder Sprache zu über¬
nehmen, ist es aber, wenn das griechische, in das lateinische übergegangene
areki, das in Zusammensetzungen eine Steigerung bedeutet, weil es vom
griechischen si-erio (der Erste sein) herkommt, in ein deutsches „Erz" umgeformt
ist und uns so den Erzherzog, den Erzpriester und Erzbischof, wie den Erzschelm
gebracht hat, lediglich zu Ehren der Lautverwandtschaft zwischen arciii und Erz
und ohne jede Rücksicht darauf, daß Erz im Deutschen doch seine selbständige,
ganz andere Bedeutung hat. Eine ähnliche auffällige Leistung deutschsprachlicher
Lautverschiebung ist es, wenn der Deutsch-Amerikaner seines heimischen Deutsch
vergißt und statt eines Vielliebchens mit seiner Tischnachbarin ein „Philippinchen"
verspeist. Auch das ist rechte, echte, in den Augen der Wissenschaft freilich
auch recht schlechte Volksetymologie. Ähnlich wird in England und in Frank¬
reich mit dem deutschen Vielliebchen verfahren. Sogar in englischen Westen¬
taschenwörterbüchern steht zu lesen: „5iIIi peen Vielliebchen." Und Sachs-
Villatte schreiben in ihrem französischen Wörterbuch (1896): pkilippms (corrumpu
aus deutschem Vielliebchen, Philippchen), bon jour, pdilippirie, „guten Morgen,
Vielliebchen." Die Volksetymologie hat es also — selbstverständlich unbekannt
mit der Bedeutung des Namens Philipp und deshalb unabsichtlich — fertig
gebracht, unser hübsches Vielliebchen zu einem jedenfalls weniger hübschen
Liebpserdchen umzumodeln; denn bekanntlich bedeutet Philipp laut seines
griechischen Ursprungs nichts anderes als Pferdeliebhaber. Ein gröbliches Ver¬
wandlungskunststück der Volkssprache in Italien war es denn auch, die römischen
keriee ^uM8ti, d. h. die Feier des ersten August als Geburtstag des Kaisers
Augustus zum heute noch dort als Jahresanfang gefeierten 5errgM8to und
damit zu einem Kirchenfest zu machen, welches dem Wunder der Zusammen¬
schweißung (des ken'Al-e) der Ketten Petri galt, t^eriae und kerrars haben
sprachlich nichts gemein; man benutzte nur die beiden gemeinsamen ersten drei
Buchstaben und verdoppelte völlig unberechtigt den letzten von ihnen. Damit
war der Anklang an das lei-rare herbeigeschafft^).

Befolgt hiernach auf der einen Seite die Sprachentwicklung unwandelbare
Gesetze der Lautverschiebung, so wirkt bei ihr auf der anderen Seite Irrtum
und Unwissenheit in starker Weise mit und erwirbt sich eine gewisse Herrschaft.
Wer aber jenen Gesetzen nachgehen will, muß in die ferne Vergangenheit zurück-




*) Grimm, Deutsches Wörterbuch unter „Erzherzog".
*-) Siehe darüber den Berliner Tag vom 20. und 24. August 1918, sowie die
dortigen Zitate.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327075"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologic</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_998" prev="#ID_997"> fenstern nannten, in denen sie ein Zeichen der Eifersucht erblickten. Tas gab<lb/>
den Italienern Anlaß, ihre ^elosia, wie den Franzosen ihre jalousie in richtiger<lb/>
Lautverschiebung zu bilden, mit ihr aber sowohl den Begriff der Eifersucht als<lb/>
den des Holzgitters zu verbinden, während die Deutschen von der Jalousie nur<lb/>
in der letzteren Bedeutung Gebrauch machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_999"> Geradezu &#x201E;ein Zeichen des allzuoft und schon früh in unserer Sprache<lb/>
obwaltenden Ungeschicks"*), ähnlich lautende Wörter aus fremder Sprache zu über¬<lb/>
nehmen, ist es aber, wenn das griechische, in das lateinische übergegangene<lb/>
areki, das in Zusammensetzungen eine Steigerung bedeutet, weil es vom<lb/>
griechischen si-erio (der Erste sein) herkommt, in ein deutsches &#x201E;Erz" umgeformt<lb/>
ist und uns so den Erzherzog, den Erzpriester und Erzbischof, wie den Erzschelm<lb/>
gebracht hat, lediglich zu Ehren der Lautverwandtschaft zwischen arciii und Erz<lb/>
und ohne jede Rücksicht darauf, daß Erz im Deutschen doch seine selbständige,<lb/>
ganz andere Bedeutung hat. Eine ähnliche auffällige Leistung deutschsprachlicher<lb/>
Lautverschiebung ist es, wenn der Deutsch-Amerikaner seines heimischen Deutsch<lb/>
vergißt und statt eines Vielliebchens mit seiner Tischnachbarin ein &#x201E;Philippinchen"<lb/>
verspeist. Auch das ist rechte, echte, in den Augen der Wissenschaft freilich<lb/>
auch recht schlechte Volksetymologie. Ähnlich wird in England und in Frank¬<lb/>
reich mit dem deutschen Vielliebchen verfahren. Sogar in englischen Westen¬<lb/>
taschenwörterbüchern steht zu lesen: &#x201E;5iIIi peen Vielliebchen." Und Sachs-<lb/>
Villatte schreiben in ihrem französischen Wörterbuch (1896): pkilippms (corrumpu<lb/>
aus deutschem Vielliebchen, Philippchen), bon jour, pdilippirie, &#x201E;guten Morgen,<lb/>
Vielliebchen." Die Volksetymologie hat es also &#x2014; selbstverständlich unbekannt<lb/>
mit der Bedeutung des Namens Philipp und deshalb unabsichtlich &#x2014; fertig<lb/>
gebracht, unser hübsches Vielliebchen zu einem jedenfalls weniger hübschen<lb/>
Liebpserdchen umzumodeln; denn bekanntlich bedeutet Philipp laut seines<lb/>
griechischen Ursprungs nichts anderes als Pferdeliebhaber. Ein gröbliches Ver¬<lb/>
wandlungskunststück der Volkssprache in Italien war es denn auch, die römischen<lb/>
keriee ^uM8ti, d. h. die Feier des ersten August als Geburtstag des Kaisers<lb/>
Augustus zum heute noch dort als Jahresanfang gefeierten 5errgM8to und<lb/>
damit zu einem Kirchenfest zu machen, welches dem Wunder der Zusammen¬<lb/>
schweißung (des ken'Al-e) der Ketten Petri galt, t^eriae und kerrars haben<lb/>
sprachlich nichts gemein; man benutzte nur die beiden gemeinsamen ersten drei<lb/>
Buchstaben und verdoppelte völlig unberechtigt den letzten von ihnen. Damit<lb/>
war der Anklang an das lei-rare herbeigeschafft^).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1000" next="#ID_1001"> Befolgt hiernach auf der einen Seite die Sprachentwicklung unwandelbare<lb/>
Gesetze der Lautverschiebung, so wirkt bei ihr auf der anderen Seite Irrtum<lb/>
und Unwissenheit in starker Weise mit und erwirbt sich eine gewisse Herrschaft.<lb/>
Wer aber jenen Gesetzen nachgehen will, muß in die ferne Vergangenheit zurück-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_14" place="foot"> *) Grimm, Deutsches Wörterbuch unter &#x201E;Erzherzog".</note><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> *-) Siehe darüber den Berliner Tag vom 20. und 24. August 1918, sowie die<lb/>
dortigen Zitate.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] Lin Streifzug in die Volksetymologie und volksmythologic fenstern nannten, in denen sie ein Zeichen der Eifersucht erblickten. Tas gab den Italienern Anlaß, ihre ^elosia, wie den Franzosen ihre jalousie in richtiger Lautverschiebung zu bilden, mit ihr aber sowohl den Begriff der Eifersucht als den des Holzgitters zu verbinden, während die Deutschen von der Jalousie nur in der letzteren Bedeutung Gebrauch machen. Geradezu „ein Zeichen des allzuoft und schon früh in unserer Sprache obwaltenden Ungeschicks"*), ähnlich lautende Wörter aus fremder Sprache zu über¬ nehmen, ist es aber, wenn das griechische, in das lateinische übergegangene areki, das in Zusammensetzungen eine Steigerung bedeutet, weil es vom griechischen si-erio (der Erste sein) herkommt, in ein deutsches „Erz" umgeformt ist und uns so den Erzherzog, den Erzpriester und Erzbischof, wie den Erzschelm gebracht hat, lediglich zu Ehren der Lautverwandtschaft zwischen arciii und Erz und ohne jede Rücksicht darauf, daß Erz im Deutschen doch seine selbständige, ganz andere Bedeutung hat. Eine ähnliche auffällige Leistung deutschsprachlicher Lautverschiebung ist es, wenn der Deutsch-Amerikaner seines heimischen Deutsch vergißt und statt eines Vielliebchens mit seiner Tischnachbarin ein „Philippinchen" verspeist. Auch das ist rechte, echte, in den Augen der Wissenschaft freilich auch recht schlechte Volksetymologie. Ähnlich wird in England und in Frank¬ reich mit dem deutschen Vielliebchen verfahren. Sogar in englischen Westen¬ taschenwörterbüchern steht zu lesen: „5iIIi peen Vielliebchen." Und Sachs- Villatte schreiben in ihrem französischen Wörterbuch (1896): pkilippms (corrumpu aus deutschem Vielliebchen, Philippchen), bon jour, pdilippirie, „guten Morgen, Vielliebchen." Die Volksetymologie hat es also — selbstverständlich unbekannt mit der Bedeutung des Namens Philipp und deshalb unabsichtlich — fertig gebracht, unser hübsches Vielliebchen zu einem jedenfalls weniger hübschen Liebpserdchen umzumodeln; denn bekanntlich bedeutet Philipp laut seines griechischen Ursprungs nichts anderes als Pferdeliebhaber. Ein gröbliches Ver¬ wandlungskunststück der Volkssprache in Italien war es denn auch, die römischen keriee ^uM8ti, d. h. die Feier des ersten August als Geburtstag des Kaisers Augustus zum heute noch dort als Jahresanfang gefeierten 5errgM8to und damit zu einem Kirchenfest zu machen, welches dem Wunder der Zusammen¬ schweißung (des ken'Al-e) der Ketten Petri galt, t^eriae und kerrars haben sprachlich nichts gemein; man benutzte nur die beiden gemeinsamen ersten drei Buchstaben und verdoppelte völlig unberechtigt den letzten von ihnen. Damit war der Anklang an das lei-rare herbeigeschafft^). Befolgt hiernach auf der einen Seite die Sprachentwicklung unwandelbare Gesetze der Lautverschiebung, so wirkt bei ihr auf der anderen Seite Irrtum und Unwissenheit in starker Weise mit und erwirbt sich eine gewisse Herrschaft. Wer aber jenen Gesetzen nachgehen will, muß in die ferne Vergangenheit zurück- *) Grimm, Deutsches Wörterbuch unter „Erzherzog". *-) Siehe darüber den Berliner Tag vom 20. und 24. August 1918, sowie die dortigen Zitate.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/263>, abgerufen am 24.08.2024.