Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches seelische Grundlage pflegen, auf der sich jede Art von Bürgertum erst entwickeln Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Bismarck- Literatur Eine Anregn",, zum Bismarck-Jubiläum gehen mögen, wäre bereits zur Wirklichkeit ge¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches seelische Grundlage pflegen, auf der sich jede Art von Bürgertum erst entwickeln Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Bismarck- Literatur Eine Anregn»,, zum Bismarck-Jubiläum gehen mögen, wäre bereits zur Wirklichkeit ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327055"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_933" prev="#ID_932"> seelische Grundlage pflegen, auf der sich jede Art von Bürgertum erst entwickeln<lb/> kann: den ungehemmt und rein funktionierenden menschlichen Körper. Wer<lb/> deshalb die Sportpflege mit irgendwelchen sozialen oder allgemein geistigen<lb/> Tendenzen beschwert, der zerbricht ihren besten Sinn und Wert." Wenn der<lb/> alte Turnvater Jahr diesen Satz gelesen hätte, hätte er voraussichtlich eine sehr<lb/> drastische Antwort bei der Hand gehabt. Die „allgemein geistigen Tendenzen"<lb/> — lies: kräftige nationale Gesinnung — scheinen mir denn doch in der Turn¬<lb/> kunst dem Ursprung nach wichtiger zu sein, als die bloße Körperpflege. Friedrich<lb/> Ludwig Jahr war kein Orthopäde; er hat Deutschland befreien wollen. (Ich<lb/> weiß schon, Herr Bab, Sie wollen es auch „befreien"; aber Jahr würde über<lb/> Ihren Freiheitsbegriff zu einer Salzsäule erstarren.) Also kehren wir den Spieß<lb/> um: daß manche „Liberale" sich nicht soweit von ihrem Fraktionsgeist befreien<lb/> können, um eine allgemein nationale Sache unpolitisch zu beurteilen, soll uns<lb/> nicht hindern, nationale Jugendpflege zu treiben. Fürchten müssen wir in der<lb/> Jugendpflege selbst nur die Radikalen, die Sozialdemokraten; denn für die<lb/> kleineren Fraktionsunterschiede hat die Jugend zu wenig Interesse, als daß die<lb/> Spaltung hineinbringen sollten. Die Gefahr der Unzufriedenen von Nicht-ganz-<lb/> links ist nur die, daß sie uns selber die Lust an der Arbeit verekeln. Soll<lb/> ihnen aber nicht gelingen. Nach wie vor wird Konservativ und Liberal in der<lb/> Jugendpflege gerade seine nationale Einheit finden. Denn treue Arbeit ist die<lb/> b<note type="byline"> Sigismund Raub</note> este Einigung. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <cb type="start"/> <div n="2"> <head> Bismarck- Literatur</head> <p xml:id="ID_934" next="#ID_935"> Eine Anregn»,, zum Bismarck-Jubiläum<lb/> 1915. Bismarck sagt. , . schreibt, . . meinet<lb/> Wer täglich mehrere Zeitungen der verschie¬<lb/> densten Färbung lesen muß, dem kommt auch<lb/> täglich von neuem zum Bewußtsein, welche<lb/> Vielseitigkeit den Fürsten Bismarck in seiner<lb/> Eigenschaft als Politiker auszeichnete. Heute<lb/> ist er Eideshelfer für alle bürgerlichen<lb/> Parteien mit Einschluß des Zentrums, und<lb/> auch die sozialdemokratische Partei könnte sich<lb/> öfter auf ihn berufen, wenn sich ihre Schreib¬<lb/> gewaltigen nur der Mühe unterziehen wollten,<lb/> seinen literarischen Nachlaß aufmerksam zu<lb/> studieren. Man könnte glauben, Gustav von<lb/> Schmollers Wunsch, daß die Lehren geschicht¬<lb/> licher und politischer Weisheit, die Bismnrcks<lb/> Gedanken und Erinnerungen predigen, als<lb/> Samenkörnchen wirken und tausendfach auf¬</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934" next="#ID_936"> gehen mögen, wäre bereits zur Wirklichkeit ge¬<lb/> worden. Leider sind wir noch nicht so weit.<lb/> Bei den Berufungen auf Bismarck wird noch<lb/> fast immer verschwiegen, daß der Altreichs¬<lb/> kanzler zu demselben politischen Thema zu ver¬<lb/> schiedenen Zeiten auch verschiedene Ansichten<lb/> vorgetragen hat. Dagegen könnte man rein<lb/> vom Standpunkt des Politikers aus nichts<lb/> einwenden, wenn nicht auch eine große Ge¬<lb/> fahr mit solcher Gepflogenheit verknüpft wäre:<lb/> die Verwirrung der politischen Begriffe in der<lb/> Nation. Die Verheerungen, die die kritiklose<lb/> Berufung auf Aussprüche Bismarcks schon an¬<lb/> gerichtet hat, kommen uns recht zum Bewußt¬<lb/> sein bei Betrachtung der offenkundiger Fehler,<lb/> die Regierung und bürgerliche Parteien in<lb/> den letzten zwanzig Jahren begangen haben,<lb/> sie werden uns gegenwärtig, wenn wir be¬<lb/> obachten, wie leicht unter Berufung auf Bis¬<lb/> marck Stimmung für oder gegen jede Idee ge-</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
seelische Grundlage pflegen, auf der sich jede Art von Bürgertum erst entwickeln
kann: den ungehemmt und rein funktionierenden menschlichen Körper. Wer
deshalb die Sportpflege mit irgendwelchen sozialen oder allgemein geistigen
Tendenzen beschwert, der zerbricht ihren besten Sinn und Wert." Wenn der
alte Turnvater Jahr diesen Satz gelesen hätte, hätte er voraussichtlich eine sehr
drastische Antwort bei der Hand gehabt. Die „allgemein geistigen Tendenzen"
— lies: kräftige nationale Gesinnung — scheinen mir denn doch in der Turn¬
kunst dem Ursprung nach wichtiger zu sein, als die bloße Körperpflege. Friedrich
Ludwig Jahr war kein Orthopäde; er hat Deutschland befreien wollen. (Ich
weiß schon, Herr Bab, Sie wollen es auch „befreien"; aber Jahr würde über
Ihren Freiheitsbegriff zu einer Salzsäule erstarren.) Also kehren wir den Spieß
um: daß manche „Liberale" sich nicht soweit von ihrem Fraktionsgeist befreien
können, um eine allgemein nationale Sache unpolitisch zu beurteilen, soll uns
nicht hindern, nationale Jugendpflege zu treiben. Fürchten müssen wir in der
Jugendpflege selbst nur die Radikalen, die Sozialdemokraten; denn für die
kleineren Fraktionsunterschiede hat die Jugend zu wenig Interesse, als daß die
Spaltung hineinbringen sollten. Die Gefahr der Unzufriedenen von Nicht-ganz-
links ist nur die, daß sie uns selber die Lust an der Arbeit verekeln. Soll
ihnen aber nicht gelingen. Nach wie vor wird Konservativ und Liberal in der
Jugendpflege gerade seine nationale Einheit finden. Denn treue Arbeit ist die
b Sigismund Raub este Einigung.
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bismarck- Literatur Eine Anregn»,, zum Bismarck-Jubiläum
1915. Bismarck sagt. , . schreibt, . . meinet
Wer täglich mehrere Zeitungen der verschie¬
densten Färbung lesen muß, dem kommt auch
täglich von neuem zum Bewußtsein, welche
Vielseitigkeit den Fürsten Bismarck in seiner
Eigenschaft als Politiker auszeichnete. Heute
ist er Eideshelfer für alle bürgerlichen
Parteien mit Einschluß des Zentrums, und
auch die sozialdemokratische Partei könnte sich
öfter auf ihn berufen, wenn sich ihre Schreib¬
gewaltigen nur der Mühe unterziehen wollten,
seinen literarischen Nachlaß aufmerksam zu
studieren. Man könnte glauben, Gustav von
Schmollers Wunsch, daß die Lehren geschicht¬
licher und politischer Weisheit, die Bismnrcks
Gedanken und Erinnerungen predigen, als
Samenkörnchen wirken und tausendfach auf¬
gehen mögen, wäre bereits zur Wirklichkeit ge¬
worden. Leider sind wir noch nicht so weit.
Bei den Berufungen auf Bismarck wird noch
fast immer verschwiegen, daß der Altreichs¬
kanzler zu demselben politischen Thema zu ver¬
schiedenen Zeiten auch verschiedene Ansichten
vorgetragen hat. Dagegen könnte man rein
vom Standpunkt des Politikers aus nichts
einwenden, wenn nicht auch eine große Ge¬
fahr mit solcher Gepflogenheit verknüpft wäre:
die Verwirrung der politischen Begriffe in der
Nation. Die Verheerungen, die die kritiklose
Berufung auf Aussprüche Bismarcks schon an¬
gerichtet hat, kommen uns recht zum Bewußt¬
sein bei Betrachtung der offenkundiger Fehler,
die Regierung und bürgerliche Parteien in
den letzten zwanzig Jahren begangen haben,
sie werden uns gegenwärtig, wenn wir be¬
obachten, wie leicht unter Berufung auf Bis¬
marck Stimmung für oder gegen jede Idee ge-
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