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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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macht werden kann, nicht immer zu Nutz und
Frommen des Ganzen. Die unbegründete
Berufung auf irgendeine Autorität erzieht
uns zu Polnischer Denkfaulheit, schläfert unser
Politisches Verantwortungsgefühl ein.

Wenn wir Bismarcks Erfahrungen voll
ausnützen wollen zum Besten derNation, dürfen
wir uns nicht mehr damit begnügen, zu wissen,
was Bismarck einmal zu einer Frage gesagt,
sondern müssen wir auch leicht feststellen können,
unter welchen politischen Voraus¬
setzungen er sich jeweilig zu den einzelnen
Fragen ausgesprochen hat. Das aber ist bei
dem heutigen Stande der Bismarck-Literatur
schlechthin unmöglich, wenigstens für die große
Masse derer, die nicht Historiker von Beruf
sind.

Es gibt keine allgemein zugänglichen,
Wissenschaftlich einwandfreien Darstellungen
von Bismarcks Ansichten zur Welfenfrage, zur
Polenfrage, zum Ultramontanismus, zu den
Katholiken, Juden, zur Kolonialpolitik, mit
einem Wort zu den vielen hundert Themen
der Politik und des Wirtschaftslebens, an
denen Bismarck entscheidend mitgewirkt hat
unter eingehender, mit Material be-
legterErläuterun g der jeweiligen Um¬
stände, die seine Stellungnahme ver¬
ursachten. Was erschienen, ist, soweit es
von wissenschaftlichem Wert, entweder in vielen
Zeitschriften verstreut oder aber in große Werke
über Bismarck, wie die von Egelhaaf, Lenz,
Marcks und andere hineingearbeitet. Uns
fehlen Monographien, die das einzelne
politische oder wirtschaftlich eProblem,
an dem Bismarck mitgewirkt hat, wissenschaft¬
lich so zur Darstellung bringen, wie Bismarck
es unter den jeweiligen Politischen Umständen
angefaßt hat.

Eine Arbeit, wie ich sie mir denke, wäre
Richard Linders anregende Broschüre
"Bismarcks Stellung zur Revolu¬
tion" (Heckners Verlag, Wolfenbüttel), wenn
die "authentischen Äußerungen", auf denen sie
aufgebaut, vollständig mit Hinweis wieder¬
gegeben worden wären; aber nicht nur sie, son¬
dern auch die Umstände, unter denen sie fielen.
Auch Arthur Böthlingks "Bismarck
und das päpstliche Rom" (Genetische
Darstellung an der Hand der Quellen, Ver¬
lag Puttkammer u. Mühlbrecht, Berlin 1911)

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würde ich als Vorbild empfehlen können,
wenn es nicht so polemisch und dabei so ent¬
setzlich oberflächlich ausgefallen wäre. Im
Aufbau des Ganzen erkennt der Fachmann
die gute Absicht. Wegen seines polemischen
Charakters und der Einseitigkeit in der Ver¬
wertung des Materials ist auch Richard
Ehrenbergs "Bismarck als Leitstern
sozialer Erkenntnis", eine Kampsschrift
"gegen den Kathedersozialismus", nicht als
Vorbild zu betrachten. Meinem Ideal von
solchen Monographien nähert sich am meisten
die Untersuchung von Oswald Schneider
über Bismarcks Wirtschaftspolitik, von
Schmoller angeregt und bei Duncker u. Hum-
blot, Leipzig, erschienen. -- Was an Milieu-
und Motivschilderungen in unserem Zusammen¬
hange geleistet werden kann, zeigt in seinem
Kapitel "Bismarck und die katholische
Frage", das wegen seiner gegen das Hohen-
zollernhaus gerichteten Tendenz höchst un¬
sympathische Buch "Geschichte des Kultur¬
kampfes im Deutschen Reich" des Dr.
Johannes B. Kißling (Herdersche Verlags¬
handlung, Freiburg im Breisgau 1911). Da
lebt Bismarck, der Realpolitiker, wenn auch
von einem erbitterten Gegner gezeichnet, auf
und wird uns verständlich in seinen Wider¬
sprüchen, ohne uns durch die Wucht seiner
Persönlichkeit zu erdrücken, -- und darum
kann das 13. Kapitel des I. Bandes technisch
zum Vorbild dienen.

Die wenigen, hier angeführten Arbeiten,
die mir in letzter Zeit zufällig unter die
Hände gekommen sind, zeigen, daß ein Be¬
dürfnis für Monographien der gedachten Art
vorhanden ist.

Sachliche Bedenken, die der Ausführung
des Planes entgegenstehen könnten, scheinen
mir für die meisten der in Frage kommenden
Themen nicht mehr vorhanden zu sein. Das
Rohmaterial ist von eifrigen Bismarck-Ver¬
ehrern, wie Penzler, Horst Kohl, Poschinger
und anderen mit Bienenfleiß zusammen¬
getragen. Viele Quellen beginnen zu ver¬
siegen: Moritz Busch, Hans Blum, Poschinger
und andere Mitarbeiter von Bismarck sind
tot; neue Quellen springen auf, wie A. von
Wertheimers Andrassy-Biographie zeigt. Bis
zuni Anfang der 1880er Jahre können wir
die heikelsten Probleme der auswärtigen und

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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macht werden kann, nicht immer zu Nutz und
Frommen des Ganzen. Die unbegründete
Berufung auf irgendeine Autorität erzieht
uns zu Polnischer Denkfaulheit, schläfert unser
Politisches Verantwortungsgefühl ein.

Wenn wir Bismarcks Erfahrungen voll
ausnützen wollen zum Besten derNation, dürfen
wir uns nicht mehr damit begnügen, zu wissen,
was Bismarck einmal zu einer Frage gesagt,
sondern müssen wir auch leicht feststellen können,
unter welchen politischen Voraus¬
setzungen er sich jeweilig zu den einzelnen
Fragen ausgesprochen hat. Das aber ist bei
dem heutigen Stande der Bismarck-Literatur
schlechthin unmöglich, wenigstens für die große
Masse derer, die nicht Historiker von Beruf
sind.

Es gibt keine allgemein zugänglichen,
Wissenschaftlich einwandfreien Darstellungen
von Bismarcks Ansichten zur Welfenfrage, zur
Polenfrage, zum Ultramontanismus, zu den
Katholiken, Juden, zur Kolonialpolitik, mit
einem Wort zu den vielen hundert Themen
der Politik und des Wirtschaftslebens, an
denen Bismarck entscheidend mitgewirkt hat
unter eingehender, mit Material be-
legterErläuterun g der jeweiligen Um¬
stände, die seine Stellungnahme ver¬
ursachten. Was erschienen, ist, soweit es
von wissenschaftlichem Wert, entweder in vielen
Zeitschriften verstreut oder aber in große Werke
über Bismarck, wie die von Egelhaaf, Lenz,
Marcks und andere hineingearbeitet. Uns
fehlen Monographien, die das einzelne
politische oder wirtschaftlich eProblem,
an dem Bismarck mitgewirkt hat, wissenschaft¬
lich so zur Darstellung bringen, wie Bismarck
es unter den jeweiligen Politischen Umständen
angefaßt hat.

Eine Arbeit, wie ich sie mir denke, wäre
Richard Linders anregende Broschüre
„Bismarcks Stellung zur Revolu¬
tion" (Heckners Verlag, Wolfenbüttel), wenn
die „authentischen Äußerungen", auf denen sie
aufgebaut, vollständig mit Hinweis wieder¬
gegeben worden wären; aber nicht nur sie, son¬
dern auch die Umstände, unter denen sie fielen.
Auch Arthur Böthlingks „Bismarck
und das päpstliche Rom" (Genetische
Darstellung an der Hand der Quellen, Ver¬
lag Puttkammer u. Mühlbrecht, Berlin 1911)

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würde ich als Vorbild empfehlen können,
wenn es nicht so polemisch und dabei so ent¬
setzlich oberflächlich ausgefallen wäre. Im
Aufbau des Ganzen erkennt der Fachmann
die gute Absicht. Wegen seines polemischen
Charakters und der Einseitigkeit in der Ver¬
wertung des Materials ist auch Richard
Ehrenbergs „Bismarck als Leitstern
sozialer Erkenntnis", eine Kampsschrift
„gegen den Kathedersozialismus", nicht als
Vorbild zu betrachten. Meinem Ideal von
solchen Monographien nähert sich am meisten
die Untersuchung von Oswald Schneider
über Bismarcks Wirtschaftspolitik, von
Schmoller angeregt und bei Duncker u. Hum-
blot, Leipzig, erschienen. — Was an Milieu-
und Motivschilderungen in unserem Zusammen¬
hange geleistet werden kann, zeigt in seinem
Kapitel „Bismarck und die katholische
Frage", das wegen seiner gegen das Hohen-
zollernhaus gerichteten Tendenz höchst un¬
sympathische Buch „Geschichte des Kultur¬
kampfes im Deutschen Reich" des Dr.
Johannes B. Kißling (Herdersche Verlags¬
handlung, Freiburg im Breisgau 1911). Da
lebt Bismarck, der Realpolitiker, wenn auch
von einem erbitterten Gegner gezeichnet, auf
und wird uns verständlich in seinen Wider¬
sprüchen, ohne uns durch die Wucht seiner
Persönlichkeit zu erdrücken, — und darum
kann das 13. Kapitel des I. Bandes technisch
zum Vorbild dienen.

Die wenigen, hier angeführten Arbeiten,
die mir in letzter Zeit zufällig unter die
Hände gekommen sind, zeigen, daß ein Be¬
dürfnis für Monographien der gedachten Art
vorhanden ist.

Sachliche Bedenken, die der Ausführung
des Planes entgegenstehen könnten, scheinen
mir für die meisten der in Frage kommenden
Themen nicht mehr vorhanden zu sein. Das
Rohmaterial ist von eifrigen Bismarck-Ver¬
ehrern, wie Penzler, Horst Kohl, Poschinger
und anderen mit Bienenfleiß zusammen¬
getragen. Viele Quellen beginnen zu ver¬
siegen: Moritz Busch, Hans Blum, Poschinger
und andere Mitarbeiter von Bismarck sind
tot; neue Quellen springen auf, wie A. von
Wertheimers Andrassy-Biographie zeigt. Bis
zuni Anfang der 1880er Jahre können wir
die heikelsten Probleme der auswärtigen und

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[0244] Maßgebliches und Unmaßgebliches macht werden kann, nicht immer zu Nutz und Frommen des Ganzen. Die unbegründete Berufung auf irgendeine Autorität erzieht uns zu Polnischer Denkfaulheit, schläfert unser Politisches Verantwortungsgefühl ein. Wenn wir Bismarcks Erfahrungen voll ausnützen wollen zum Besten derNation, dürfen wir uns nicht mehr damit begnügen, zu wissen, was Bismarck einmal zu einer Frage gesagt, sondern müssen wir auch leicht feststellen können, unter welchen politischen Voraus¬ setzungen er sich jeweilig zu den einzelnen Fragen ausgesprochen hat. Das aber ist bei dem heutigen Stande der Bismarck-Literatur schlechthin unmöglich, wenigstens für die große Masse derer, die nicht Historiker von Beruf sind. Es gibt keine allgemein zugänglichen, Wissenschaftlich einwandfreien Darstellungen von Bismarcks Ansichten zur Welfenfrage, zur Polenfrage, zum Ultramontanismus, zu den Katholiken, Juden, zur Kolonialpolitik, mit einem Wort zu den vielen hundert Themen der Politik und des Wirtschaftslebens, an denen Bismarck entscheidend mitgewirkt hat unter eingehender, mit Material be- legterErläuterun g der jeweiligen Um¬ stände, die seine Stellungnahme ver¬ ursachten. Was erschienen, ist, soweit es von wissenschaftlichem Wert, entweder in vielen Zeitschriften verstreut oder aber in große Werke über Bismarck, wie die von Egelhaaf, Lenz, Marcks und andere hineingearbeitet. Uns fehlen Monographien, die das einzelne politische oder wirtschaftlich eProblem, an dem Bismarck mitgewirkt hat, wissenschaft¬ lich so zur Darstellung bringen, wie Bismarck es unter den jeweiligen Politischen Umständen angefaßt hat. Eine Arbeit, wie ich sie mir denke, wäre Richard Linders anregende Broschüre „Bismarcks Stellung zur Revolu¬ tion" (Heckners Verlag, Wolfenbüttel), wenn die „authentischen Äußerungen", auf denen sie aufgebaut, vollständig mit Hinweis wieder¬ gegeben worden wären; aber nicht nur sie, son¬ dern auch die Umstände, unter denen sie fielen. Auch Arthur Böthlingks „Bismarck und das päpstliche Rom" (Genetische Darstellung an der Hand der Quellen, Ver¬ lag Puttkammer u. Mühlbrecht, Berlin 1911) würde ich als Vorbild empfehlen können, wenn es nicht so polemisch und dabei so ent¬ setzlich oberflächlich ausgefallen wäre. Im Aufbau des Ganzen erkennt der Fachmann die gute Absicht. Wegen seines polemischen Charakters und der Einseitigkeit in der Ver¬ wertung des Materials ist auch Richard Ehrenbergs „Bismarck als Leitstern sozialer Erkenntnis", eine Kampsschrift „gegen den Kathedersozialismus", nicht als Vorbild zu betrachten. Meinem Ideal von solchen Monographien nähert sich am meisten die Untersuchung von Oswald Schneider über Bismarcks Wirtschaftspolitik, von Schmoller angeregt und bei Duncker u. Hum- blot, Leipzig, erschienen. — Was an Milieu- und Motivschilderungen in unserem Zusammen¬ hange geleistet werden kann, zeigt in seinem Kapitel „Bismarck und die katholische Frage", das wegen seiner gegen das Hohen- zollernhaus gerichteten Tendenz höchst un¬ sympathische Buch „Geschichte des Kultur¬ kampfes im Deutschen Reich" des Dr. Johannes B. Kißling (Herdersche Verlags¬ handlung, Freiburg im Breisgau 1911). Da lebt Bismarck, der Realpolitiker, wenn auch von einem erbitterten Gegner gezeichnet, auf und wird uns verständlich in seinen Wider¬ sprüchen, ohne uns durch die Wucht seiner Persönlichkeit zu erdrücken, — und darum kann das 13. Kapitel des I. Bandes technisch zum Vorbild dienen. Die wenigen, hier angeführten Arbeiten, die mir in letzter Zeit zufällig unter die Hände gekommen sind, zeigen, daß ein Be¬ dürfnis für Monographien der gedachten Art vorhanden ist. Sachliche Bedenken, die der Ausführung des Planes entgegenstehen könnten, scheinen mir für die meisten der in Frage kommenden Themen nicht mehr vorhanden zu sein. Das Rohmaterial ist von eifrigen Bismarck-Ver¬ ehrern, wie Penzler, Horst Kohl, Poschinger und anderen mit Bienenfleiß zusammen¬ getragen. Viele Quellen beginnen zu ver¬ siegen: Moritz Busch, Hans Blum, Poschinger und andere Mitarbeiter von Bismarck sind tot; neue Quellen springen auf, wie A. von Wertheimers Andrassy-Biographie zeigt. Bis zuni Anfang der 1880er Jahre können wir die heikelsten Probleme der auswärtigen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/244>, abgerufen am 22.07.2024.