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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der blaue Brief

Durch die jetzt notwendige Vergrößerung unseres Offizier- und Unteroffizier¬
korps ist, da der Dienst im Heere wohl kaum 'je seinen Mann selbständig er¬
nähren kann, die Frage der Verbesserung der militärischen Laufbahn bzw. der
militärischen Versorgung, wieder einmal in den Vordergrund gerückt worden.
Bei den Unteroffizieren ist die letztere durch die erhöhten Dienstprämien gelöst,
bei den Offizieren noch in der Schwebe gelassen worden.

Für das, was zur Hebung der Aussichten des Offizierberufs, zur quantitativen
und qualitativen Verbesserung des Offizierersatzes und damit unserer militärischen
Leistungsfähigkeit, zu geschehen hat, läßt sich an der Hand der umfangreichen
Literatur über dieses im letzten Jahrzehnt nicht zu Ruhe gekommene Thema folgende
Formel aufstellen: Obligatorisches Maturitätszeugnis, längere Ausbildung der
Fähnriche, sorgfältigere Sichtung der Offiziere vor der Beförderung zum Haupt¬
mann, spätestens in den ersten vier Kompagniechefjahren, Verringerung des bei der
heutigen Bedeutung beider Chargen zu großen Abstandes zwischen dem Gehalt des
ältesten Hauptmann und das Chargengehalt beziehenden überzähligen Majors, Ver¬
abschiedung älterer Hauptleute nicht mehr wegen "allgemeiner" beruflicher Unbrauch-
barkeit, sondern nur noch wegen Felddienstunfähigkeit oder Verfehlungen. Ferner
wirksame Versorgung der als selddienstunfähig verabschiedeten aber noch dienst¬
fähigen Hauptleute. Die Versorgung müßte in der Regel bei den über fünfund-
vierzig Jahre alten Offizieren in den etatsmäßigen Heeresstellen, bei allen jüngeren
im Beamtendienst stattfinden, und die Besoldung beider Anstellungen teilweise
geändert werden. Nachdem das Mannschaftsversorgungsgesetz 1906 die Halü-
invalidenabteilungen, welche dazu bestimmt sind, selddienstfähigen Unteroffizieren
die Erreichung ihres Zieles, des vollgültigen Zivilversorgungsscheins und der
Dienstprämie zu ermöglichen, reaktiviert und damit diesen Unteroffizieren die
Besoldung und Beförderung der Front bewilligt hat, läßt sich eine Berück¬
sichtigung der in gleicher Lage befindlichen alten Offiziere auf die Dauer nicht
ablehnen. Nach dem vom Kriegsministerium herausgegebenen Kommentar zu
den Pensionsgesetzen von 1006 erschien die Reaktivierung der halbinvaliden
Unteroffiziere deshalb geboten, weil nach der Kriegsm. Verfügung vom
19. Februar 1900 die im Garmsondienft wiederangestellten Offiziere und Mann¬
schaften "Personen des aktiven Dienststandes" sind, daher die Verwendung in jenem
Dienst als "Fortsetzung des aktiven Dienstes" zu betrachten ist. Mit der ferneren
Angabe des Kommentars, daß von der Ausdehnung obiger Maßregel
auf die im Garnisondienst wieder angestellten Offiziere habe abgesehen
werden müssen, weil felddienstunfähige Offiziere nicht wieder für dienst¬
fähig erklärt werden könnten, steht die unter den gleichen Verhältnissen statt¬
gefundene Reaktivierung der Halbinvalidenabteilungen und der Bekleidungs¬
ämter in Widerspruch. Die fraglichen Abteilungen sind trotz der mit ihnen
vorgenommenen Veränderung ausdrücklich für felddienstunfähige Unteroffiziere
bestimmt -- ein Beweis, daß die Reaktivierung nur eine Form ist --, und
die durchweg felddienstunfähigen Offiziere der Bekleidnngsämier sind seinerzeit


Der blaue Brief

Durch die jetzt notwendige Vergrößerung unseres Offizier- und Unteroffizier¬
korps ist, da der Dienst im Heere wohl kaum 'je seinen Mann selbständig er¬
nähren kann, die Frage der Verbesserung der militärischen Laufbahn bzw. der
militärischen Versorgung, wieder einmal in den Vordergrund gerückt worden.
Bei den Unteroffizieren ist die letztere durch die erhöhten Dienstprämien gelöst,
bei den Offizieren noch in der Schwebe gelassen worden.

Für das, was zur Hebung der Aussichten des Offizierberufs, zur quantitativen
und qualitativen Verbesserung des Offizierersatzes und damit unserer militärischen
Leistungsfähigkeit, zu geschehen hat, läßt sich an der Hand der umfangreichen
Literatur über dieses im letzten Jahrzehnt nicht zu Ruhe gekommene Thema folgende
Formel aufstellen: Obligatorisches Maturitätszeugnis, längere Ausbildung der
Fähnriche, sorgfältigere Sichtung der Offiziere vor der Beförderung zum Haupt¬
mann, spätestens in den ersten vier Kompagniechefjahren, Verringerung des bei der
heutigen Bedeutung beider Chargen zu großen Abstandes zwischen dem Gehalt des
ältesten Hauptmann und das Chargengehalt beziehenden überzähligen Majors, Ver¬
abschiedung älterer Hauptleute nicht mehr wegen „allgemeiner" beruflicher Unbrauch-
barkeit, sondern nur noch wegen Felddienstunfähigkeit oder Verfehlungen. Ferner
wirksame Versorgung der als selddienstunfähig verabschiedeten aber noch dienst¬
fähigen Hauptleute. Die Versorgung müßte in der Regel bei den über fünfund-
vierzig Jahre alten Offizieren in den etatsmäßigen Heeresstellen, bei allen jüngeren
im Beamtendienst stattfinden, und die Besoldung beider Anstellungen teilweise
geändert werden. Nachdem das Mannschaftsversorgungsgesetz 1906 die Halü-
invalidenabteilungen, welche dazu bestimmt sind, selddienstfähigen Unteroffizieren
die Erreichung ihres Zieles, des vollgültigen Zivilversorgungsscheins und der
Dienstprämie zu ermöglichen, reaktiviert und damit diesen Unteroffizieren die
Besoldung und Beförderung der Front bewilligt hat, läßt sich eine Berück¬
sichtigung der in gleicher Lage befindlichen alten Offiziere auf die Dauer nicht
ablehnen. Nach dem vom Kriegsministerium herausgegebenen Kommentar zu
den Pensionsgesetzen von 1006 erschien die Reaktivierung der halbinvaliden
Unteroffiziere deshalb geboten, weil nach der Kriegsm. Verfügung vom
19. Februar 1900 die im Garmsondienft wiederangestellten Offiziere und Mann¬
schaften „Personen des aktiven Dienststandes" sind, daher die Verwendung in jenem
Dienst als „Fortsetzung des aktiven Dienstes" zu betrachten ist. Mit der ferneren
Angabe des Kommentars, daß von der Ausdehnung obiger Maßregel
auf die im Garnisondienst wieder angestellten Offiziere habe abgesehen
werden müssen, weil felddienstunfähige Offiziere nicht wieder für dienst¬
fähig erklärt werden könnten, steht die unter den gleichen Verhältnissen statt¬
gefundene Reaktivierung der Halbinvalidenabteilungen und der Bekleidungs¬
ämter in Widerspruch. Die fraglichen Abteilungen sind trotz der mit ihnen
vorgenommenen Veränderung ausdrücklich für felddienstunfähige Unteroffiziere
bestimmt — ein Beweis, daß die Reaktivierung nur eine Form ist —, und
die durchweg felddienstunfähigen Offiziere der Bekleidnngsämier sind seinerzeit


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[0116] Der blaue Brief Durch die jetzt notwendige Vergrößerung unseres Offizier- und Unteroffizier¬ korps ist, da der Dienst im Heere wohl kaum 'je seinen Mann selbständig er¬ nähren kann, die Frage der Verbesserung der militärischen Laufbahn bzw. der militärischen Versorgung, wieder einmal in den Vordergrund gerückt worden. Bei den Unteroffizieren ist die letztere durch die erhöhten Dienstprämien gelöst, bei den Offizieren noch in der Schwebe gelassen worden. Für das, was zur Hebung der Aussichten des Offizierberufs, zur quantitativen und qualitativen Verbesserung des Offizierersatzes und damit unserer militärischen Leistungsfähigkeit, zu geschehen hat, läßt sich an der Hand der umfangreichen Literatur über dieses im letzten Jahrzehnt nicht zu Ruhe gekommene Thema folgende Formel aufstellen: Obligatorisches Maturitätszeugnis, längere Ausbildung der Fähnriche, sorgfältigere Sichtung der Offiziere vor der Beförderung zum Haupt¬ mann, spätestens in den ersten vier Kompagniechefjahren, Verringerung des bei der heutigen Bedeutung beider Chargen zu großen Abstandes zwischen dem Gehalt des ältesten Hauptmann und das Chargengehalt beziehenden überzähligen Majors, Ver¬ abschiedung älterer Hauptleute nicht mehr wegen „allgemeiner" beruflicher Unbrauch- barkeit, sondern nur noch wegen Felddienstunfähigkeit oder Verfehlungen. Ferner wirksame Versorgung der als selddienstunfähig verabschiedeten aber noch dienst¬ fähigen Hauptleute. Die Versorgung müßte in der Regel bei den über fünfund- vierzig Jahre alten Offizieren in den etatsmäßigen Heeresstellen, bei allen jüngeren im Beamtendienst stattfinden, und die Besoldung beider Anstellungen teilweise geändert werden. Nachdem das Mannschaftsversorgungsgesetz 1906 die Halü- invalidenabteilungen, welche dazu bestimmt sind, selddienstfähigen Unteroffizieren die Erreichung ihres Zieles, des vollgültigen Zivilversorgungsscheins und der Dienstprämie zu ermöglichen, reaktiviert und damit diesen Unteroffizieren die Besoldung und Beförderung der Front bewilligt hat, läßt sich eine Berück¬ sichtigung der in gleicher Lage befindlichen alten Offiziere auf die Dauer nicht ablehnen. Nach dem vom Kriegsministerium herausgegebenen Kommentar zu den Pensionsgesetzen von 1006 erschien die Reaktivierung der halbinvaliden Unteroffiziere deshalb geboten, weil nach der Kriegsm. Verfügung vom 19. Februar 1900 die im Garmsondienft wiederangestellten Offiziere und Mann¬ schaften „Personen des aktiven Dienststandes" sind, daher die Verwendung in jenem Dienst als „Fortsetzung des aktiven Dienstes" zu betrachten ist. Mit der ferneren Angabe des Kommentars, daß von der Ausdehnung obiger Maßregel auf die im Garnisondienst wieder angestellten Offiziere habe abgesehen werden müssen, weil felddienstunfähige Offiziere nicht wieder für dienst¬ fähig erklärt werden könnten, steht die unter den gleichen Verhältnissen statt¬ gefundene Reaktivierung der Halbinvalidenabteilungen und der Bekleidungs¬ ämter in Widerspruch. Die fraglichen Abteilungen sind trotz der mit ihnen vorgenommenen Veränderung ausdrücklich für felddienstunfähige Unteroffiziere bestimmt — ein Beweis, daß die Reaktivierung nur eine Form ist —, und die durchweg felddienstunfähigen Offiziere der Bekleidnngsämier sind seinerzeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/116>, abgerufen am 25.08.2024.