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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der blaue Brief

das letzte Militäreinkommen bzw. die in jenem Paragraphen angegebenen
Grenzen überschreitet, und das Anfangseinkommen der von den Offizieren
durchweg in Anspruch genommenen mittleren Beamtenstellen meist größer ist
als das Aktiveinkommen des Leutnants, so ruht mit dessen Wiederanstellung
sofort seine ganze Pension, und sein Beamtengehalt kann um alle im neuen
Beruf erdienten Alterszulagen und etwaige gesetzliche Aufbesserungen wachsen.
Beim Hauptmann dagegen, dessen letztes Militäreinkommen stets größer ist als
das Anfangsgehalt der fraglichen neuen Stellen, vergehen bis zum Fortfall
der ganzen Pension endlose Jahre, und alle Alterszulagen usw. werden durch
einen gleich großen Pensionsausfall unwirksam.

So blieb -- um ein der Wirklichkeit entnommenes Beispiel anzuführen --
ein 1903 als Militärpostdirektor angestellter Hauptmann I. Klasse (letztes Dienst-
einkommen nach Tarif 1897 5364 Mark) bis 1908 auf seinem Anfangseinkommen
von 5363 Mark (3000 Mark Anfangsgehalt > 420 Mark Wert der Dienst¬
wohnung ^ 1900 Mark nicht ruhender Pension) stehen. Da man ihm sogar die
400 Mark, die das Beamtengesetz 1908 den Dienstwohnungsinhabern als Ent¬
schädigung für die Heraufsetzung des fiktiven Wertes ihrer Wohnungvon 320 auf
720 Mark bewilligt hatte, von der Pension abzog, sank sein Bareinlommen
damit auf 4647 Mark und blieb bis 1911, wo seine ganze Pension ruhte, auf
dieser Höhe. Was hätte der Betreffende, wenn er verheiratet gewesen wäre
und Kinder gehabt hätte, anfangen sollen, wo schon in dem Dienstalter, in
welchem er seinerzeit ausschied, heute der Hauptmann 6474 Mark pensions¬
fähiges Einkommen hat? Das sür ihn erreichbare Höchsteinkommen beträgt
6000 Mark, nicht mehr, als nach obigem Paragraphen im mittleren Beamten¬
dienst jeder Leutnant erreichen kann. Nach Tarif 1909 kann der Hauptmann
höchster Gehaltsklafse als Beamter bis auf 6474 Mark kommen. Selbst das steht
zu seiner, mit der des Leutnants verglichen, viel längeren Militärdienstzeit
und den von ihm geleisteten ungleich verantwortlicheren Dienste außer Ver¬
hältnis.

Wo schon die Verabschiedung als Bataillonskommandeur allgemein und
mit Recht als Härte empfunden wird, weil sie die Bestreitung eines großen
Teils der Erziehung und Versorgung der Kinder, die der Beamte von seinem
Dienstcinkommen bestreitet, von der Pension nötig macht, müssen die viel zu
zahlreichen Hauptmannsverabschiedungen als die Nachtseite des Militärbernfs
bezeichnet werden. Was seither gegen dieses Übel geschehen ist, genügt nicht.
Das große Avancement der Heeresvermehrung von 1913 wirkt nur momentan,
und der Vorteil der seither geschaffenen überzähligen Stabsoffiziere wird großen¬
teils durch den die Maschinengewehrkompagnie führenden dreizehnten Hauptmann
und die neuen Stabshauptleute unwirksam gemacht. Die zur Verbesserung der
Wiederanstellung im Gesetz 1906 getroffenen Maßnahmen aber haben für die
von der Verabschiedung am meisten betroffenen und am schwersten geschädigten
mittleren Offiziere keinen nennenswerten Erfolg gehabt.


Der blaue Brief

das letzte Militäreinkommen bzw. die in jenem Paragraphen angegebenen
Grenzen überschreitet, und das Anfangseinkommen der von den Offizieren
durchweg in Anspruch genommenen mittleren Beamtenstellen meist größer ist
als das Aktiveinkommen des Leutnants, so ruht mit dessen Wiederanstellung
sofort seine ganze Pension, und sein Beamtengehalt kann um alle im neuen
Beruf erdienten Alterszulagen und etwaige gesetzliche Aufbesserungen wachsen.
Beim Hauptmann dagegen, dessen letztes Militäreinkommen stets größer ist als
das Anfangsgehalt der fraglichen neuen Stellen, vergehen bis zum Fortfall
der ganzen Pension endlose Jahre, und alle Alterszulagen usw. werden durch
einen gleich großen Pensionsausfall unwirksam.

So blieb — um ein der Wirklichkeit entnommenes Beispiel anzuführen —
ein 1903 als Militärpostdirektor angestellter Hauptmann I. Klasse (letztes Dienst-
einkommen nach Tarif 1897 5364 Mark) bis 1908 auf seinem Anfangseinkommen
von 5363 Mark (3000 Mark Anfangsgehalt > 420 Mark Wert der Dienst¬
wohnung ^ 1900 Mark nicht ruhender Pension) stehen. Da man ihm sogar die
400 Mark, die das Beamtengesetz 1908 den Dienstwohnungsinhabern als Ent¬
schädigung für die Heraufsetzung des fiktiven Wertes ihrer Wohnungvon 320 auf
720 Mark bewilligt hatte, von der Pension abzog, sank sein Bareinlommen
damit auf 4647 Mark und blieb bis 1911, wo seine ganze Pension ruhte, auf
dieser Höhe. Was hätte der Betreffende, wenn er verheiratet gewesen wäre
und Kinder gehabt hätte, anfangen sollen, wo schon in dem Dienstalter, in
welchem er seinerzeit ausschied, heute der Hauptmann 6474 Mark pensions¬
fähiges Einkommen hat? Das sür ihn erreichbare Höchsteinkommen beträgt
6000 Mark, nicht mehr, als nach obigem Paragraphen im mittleren Beamten¬
dienst jeder Leutnant erreichen kann. Nach Tarif 1909 kann der Hauptmann
höchster Gehaltsklafse als Beamter bis auf 6474 Mark kommen. Selbst das steht
zu seiner, mit der des Leutnants verglichen, viel längeren Militärdienstzeit
und den von ihm geleisteten ungleich verantwortlicheren Dienste außer Ver¬
hältnis.

Wo schon die Verabschiedung als Bataillonskommandeur allgemein und
mit Recht als Härte empfunden wird, weil sie die Bestreitung eines großen
Teils der Erziehung und Versorgung der Kinder, die der Beamte von seinem
Dienstcinkommen bestreitet, von der Pension nötig macht, müssen die viel zu
zahlreichen Hauptmannsverabschiedungen als die Nachtseite des Militärbernfs
bezeichnet werden. Was seither gegen dieses Übel geschehen ist, genügt nicht.
Das große Avancement der Heeresvermehrung von 1913 wirkt nur momentan,
und der Vorteil der seither geschaffenen überzähligen Stabsoffiziere wird großen¬
teils durch den die Maschinengewehrkompagnie führenden dreizehnten Hauptmann
und die neuen Stabshauptleute unwirksam gemacht. Die zur Verbesserung der
Wiederanstellung im Gesetz 1906 getroffenen Maßnahmen aber haben für die
von der Verabschiedung am meisten betroffenen und am schwersten geschädigten
mittleren Offiziere keinen nennenswerten Erfolg gehabt.


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[0115] Der blaue Brief das letzte Militäreinkommen bzw. die in jenem Paragraphen angegebenen Grenzen überschreitet, und das Anfangseinkommen der von den Offizieren durchweg in Anspruch genommenen mittleren Beamtenstellen meist größer ist als das Aktiveinkommen des Leutnants, so ruht mit dessen Wiederanstellung sofort seine ganze Pension, und sein Beamtengehalt kann um alle im neuen Beruf erdienten Alterszulagen und etwaige gesetzliche Aufbesserungen wachsen. Beim Hauptmann dagegen, dessen letztes Militäreinkommen stets größer ist als das Anfangsgehalt der fraglichen neuen Stellen, vergehen bis zum Fortfall der ganzen Pension endlose Jahre, und alle Alterszulagen usw. werden durch einen gleich großen Pensionsausfall unwirksam. So blieb — um ein der Wirklichkeit entnommenes Beispiel anzuführen — ein 1903 als Militärpostdirektor angestellter Hauptmann I. Klasse (letztes Dienst- einkommen nach Tarif 1897 5364 Mark) bis 1908 auf seinem Anfangseinkommen von 5363 Mark (3000 Mark Anfangsgehalt > 420 Mark Wert der Dienst¬ wohnung ^ 1900 Mark nicht ruhender Pension) stehen. Da man ihm sogar die 400 Mark, die das Beamtengesetz 1908 den Dienstwohnungsinhabern als Ent¬ schädigung für die Heraufsetzung des fiktiven Wertes ihrer Wohnungvon 320 auf 720 Mark bewilligt hatte, von der Pension abzog, sank sein Bareinlommen damit auf 4647 Mark und blieb bis 1911, wo seine ganze Pension ruhte, auf dieser Höhe. Was hätte der Betreffende, wenn er verheiratet gewesen wäre und Kinder gehabt hätte, anfangen sollen, wo schon in dem Dienstalter, in welchem er seinerzeit ausschied, heute der Hauptmann 6474 Mark pensions¬ fähiges Einkommen hat? Das sür ihn erreichbare Höchsteinkommen beträgt 6000 Mark, nicht mehr, als nach obigem Paragraphen im mittleren Beamten¬ dienst jeder Leutnant erreichen kann. Nach Tarif 1909 kann der Hauptmann höchster Gehaltsklafse als Beamter bis auf 6474 Mark kommen. Selbst das steht zu seiner, mit der des Leutnants verglichen, viel längeren Militärdienstzeit und den von ihm geleisteten ungleich verantwortlicheren Dienste außer Ver¬ hältnis. Wo schon die Verabschiedung als Bataillonskommandeur allgemein und mit Recht als Härte empfunden wird, weil sie die Bestreitung eines großen Teils der Erziehung und Versorgung der Kinder, die der Beamte von seinem Dienstcinkommen bestreitet, von der Pension nötig macht, müssen die viel zu zahlreichen Hauptmannsverabschiedungen als die Nachtseite des Militärbernfs bezeichnet werden. Was seither gegen dieses Übel geschehen ist, genügt nicht. Das große Avancement der Heeresvermehrung von 1913 wirkt nur momentan, und der Vorteil der seither geschaffenen überzähligen Stabsoffiziere wird großen¬ teils durch den die Maschinengewehrkompagnie führenden dreizehnten Hauptmann und die neuen Stabshauptleute unwirksam gemacht. Die zur Verbesserung der Wiederanstellung im Gesetz 1906 getroffenen Maßnahmen aber haben für die von der Verabschiedung am meisten betroffenen und am schwersten geschädigten mittleren Offiziere keinen nennenswerten Erfolg gehabt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/115>, abgerufen am 22.07.2024.