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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

In Deutschland hat die gelbe Arbeiterbewegung erst gegen Ausgang des
Jahres 1905 eingesetzt; und zwar faßte sie zuerst festen Fuß in Berlin, Augs¬
burg. Magdeburg, Nürnberg u. a. in. Diese Vereine haben den "Bund deutscher
Werkvereine" gegründet, dem im Jahre 1911 70 Vereine mit 60000 Mit¬
gliedern angehörten. Weitere hier in Frage kommende Zentralen sind der
"Bund vaterländischer Arbeitervereine", dessen Mitgliederzahl von 7000 im Jahre
1907 auf 32000 im Jahre 1911 gestiegen ist. Im Jahre 1906 wurde mit
26 Vereinen und 2000 Mitgliedern der "Bund der Bäcker- und Konditoren¬
gehilfen Deutschlands" errichtet. Im Jahre 1911 waren dieser Zentrale schon
226 Vereine mit 13000 Mitgliedern angeschlossen. Die Mitgliederzahl des
"Bundes der Handwerker der kaiserlich königlichen technischen Institute" stieg
von 250 im Jahre 1905 auf 3000 im Jahre 1911. Dem "Bund sächsischer
Werkvereine" gehörten 1911: 25 Vereine mit 20000 Mitgliedern an. Im
"Zentralverband seemännischer Berufsvereine", 1907 gegründet, waren im Jahre
1911: 2600 Mitglieder vereinigt.

Die gelbe Arbeiterbewegung in Österreich ist zur Zeit der großen Wahl¬
rechtskämpfe im Jahre 1905 entstanden. Auch hier handelt es sich in der
Mehrheit der Fälle um Fabrik- und Werkvereine, in welche nur Arbeiter ein
und desselben Betriebes oder aus einer Anzahl von Betrieben ausgenommen
werden können.

Um die Arbeiter von den anarchistischen und sozialistischen Bestrebungen
fern zu halten, wurden in Rußland behördlicherseits Arbeitervereinigungen ins
Leben gerufen. Eine der ersten oder vielmehr die erste dieser Art Vereinigungen
war die "Hilfskafse für Arbeiter der mechanischen Werkstätten Moskaus", welche
unter der Aufsicht der Polizeibehörde stand und in den verschiedenen Stadtteilen
Moskaus besondere Gruppen bildete. Für andere Gewerbe, wie für die Weber,
die Tabakarbeiter usw., wurden ähnliche Hilfskassen errichtet.

Am Schlüsse der gelben Gruppe sei dann noch der "nationalen polnischen
Gewerkschaften" in Russisch Polen, der "Gelben Arbeitersyndikate" Belgiens,
der "Gelben Werkvereine" der Schweiz und der gelben Arbeiterbewegung
Dänemarks, Spaniens und Australiens Erwähnung getan.

Zwischen einer Reihe von Arbeitervereinigungen der reingewerkschaftlichen,
der sozialistischen und der anarchistischen Gruppen bestehen nun gewisse inter¬
nationale Beziehungen, welche im Jahre 1901 zur Gründung einer internatio¬
nalen Zentrale für die gewerkschaftlichen Bestrebungen der einzelnen Länder
führten. Im Jahre 1902 wurden von Vertretern von zwölf Nationen zu Stutt¬
gart die Grundlagen gemeinsamer Arbeit bestimmt und Deutschland zum Sitz
der internationalen Zentrale erhoben. Im Jahre 1903 wurde die Zentrale
durch den Anschluß von Vertretern von acht Nationen zu Dublin zu einem
ständigen "Internationalen Sekretariat der gewerkschaftlichen Landeszentralen"
ausgebaut und gleichzeitig verpflichteten sich die dem internationalen Sekretariat
angeschlossenen Landeszentralen, alljährlich Berichte zu liefern, die von den inter-


Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

In Deutschland hat die gelbe Arbeiterbewegung erst gegen Ausgang des
Jahres 1905 eingesetzt; und zwar faßte sie zuerst festen Fuß in Berlin, Augs¬
burg. Magdeburg, Nürnberg u. a. in. Diese Vereine haben den „Bund deutscher
Werkvereine" gegründet, dem im Jahre 1911 70 Vereine mit 60000 Mit¬
gliedern angehörten. Weitere hier in Frage kommende Zentralen sind der
„Bund vaterländischer Arbeitervereine", dessen Mitgliederzahl von 7000 im Jahre
1907 auf 32000 im Jahre 1911 gestiegen ist. Im Jahre 1906 wurde mit
26 Vereinen und 2000 Mitgliedern der „Bund der Bäcker- und Konditoren¬
gehilfen Deutschlands" errichtet. Im Jahre 1911 waren dieser Zentrale schon
226 Vereine mit 13000 Mitgliedern angeschlossen. Die Mitgliederzahl des
„Bundes der Handwerker der kaiserlich königlichen technischen Institute" stieg
von 250 im Jahre 1905 auf 3000 im Jahre 1911. Dem „Bund sächsischer
Werkvereine" gehörten 1911: 25 Vereine mit 20000 Mitgliedern an. Im
„Zentralverband seemännischer Berufsvereine", 1907 gegründet, waren im Jahre
1911: 2600 Mitglieder vereinigt.

Die gelbe Arbeiterbewegung in Österreich ist zur Zeit der großen Wahl¬
rechtskämpfe im Jahre 1905 entstanden. Auch hier handelt es sich in der
Mehrheit der Fälle um Fabrik- und Werkvereine, in welche nur Arbeiter ein
und desselben Betriebes oder aus einer Anzahl von Betrieben ausgenommen
werden können.

Um die Arbeiter von den anarchistischen und sozialistischen Bestrebungen
fern zu halten, wurden in Rußland behördlicherseits Arbeitervereinigungen ins
Leben gerufen. Eine der ersten oder vielmehr die erste dieser Art Vereinigungen
war die „Hilfskafse für Arbeiter der mechanischen Werkstätten Moskaus", welche
unter der Aufsicht der Polizeibehörde stand und in den verschiedenen Stadtteilen
Moskaus besondere Gruppen bildete. Für andere Gewerbe, wie für die Weber,
die Tabakarbeiter usw., wurden ähnliche Hilfskassen errichtet.

Am Schlüsse der gelben Gruppe sei dann noch der „nationalen polnischen
Gewerkschaften" in Russisch Polen, der „Gelben Arbeitersyndikate" Belgiens,
der „Gelben Werkvereine" der Schweiz und der gelben Arbeiterbewegung
Dänemarks, Spaniens und Australiens Erwähnung getan.

Zwischen einer Reihe von Arbeitervereinigungen der reingewerkschaftlichen,
der sozialistischen und der anarchistischen Gruppen bestehen nun gewisse inter¬
nationale Beziehungen, welche im Jahre 1901 zur Gründung einer internatio¬
nalen Zentrale für die gewerkschaftlichen Bestrebungen der einzelnen Länder
führten. Im Jahre 1902 wurden von Vertretern von zwölf Nationen zu Stutt¬
gart die Grundlagen gemeinsamer Arbeit bestimmt und Deutschland zum Sitz
der internationalen Zentrale erhoben. Im Jahre 1903 wurde die Zentrale
durch den Anschluß von Vertretern von acht Nationen zu Dublin zu einem
ständigen „Internationalen Sekretariat der gewerkschaftlichen Landeszentralen"
ausgebaut und gleichzeitig verpflichteten sich die dem internationalen Sekretariat
angeschlossenen Landeszentralen, alljährlich Berichte zu liefern, die von den inter-


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[0082] Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung In Deutschland hat die gelbe Arbeiterbewegung erst gegen Ausgang des Jahres 1905 eingesetzt; und zwar faßte sie zuerst festen Fuß in Berlin, Augs¬ burg. Magdeburg, Nürnberg u. a. in. Diese Vereine haben den „Bund deutscher Werkvereine" gegründet, dem im Jahre 1911 70 Vereine mit 60000 Mit¬ gliedern angehörten. Weitere hier in Frage kommende Zentralen sind der „Bund vaterländischer Arbeitervereine", dessen Mitgliederzahl von 7000 im Jahre 1907 auf 32000 im Jahre 1911 gestiegen ist. Im Jahre 1906 wurde mit 26 Vereinen und 2000 Mitgliedern der „Bund der Bäcker- und Konditoren¬ gehilfen Deutschlands" errichtet. Im Jahre 1911 waren dieser Zentrale schon 226 Vereine mit 13000 Mitgliedern angeschlossen. Die Mitgliederzahl des „Bundes der Handwerker der kaiserlich königlichen technischen Institute" stieg von 250 im Jahre 1905 auf 3000 im Jahre 1911. Dem „Bund sächsischer Werkvereine" gehörten 1911: 25 Vereine mit 20000 Mitgliedern an. Im „Zentralverband seemännischer Berufsvereine", 1907 gegründet, waren im Jahre 1911: 2600 Mitglieder vereinigt. Die gelbe Arbeiterbewegung in Österreich ist zur Zeit der großen Wahl¬ rechtskämpfe im Jahre 1905 entstanden. Auch hier handelt es sich in der Mehrheit der Fälle um Fabrik- und Werkvereine, in welche nur Arbeiter ein und desselben Betriebes oder aus einer Anzahl von Betrieben ausgenommen werden können. Um die Arbeiter von den anarchistischen und sozialistischen Bestrebungen fern zu halten, wurden in Rußland behördlicherseits Arbeitervereinigungen ins Leben gerufen. Eine der ersten oder vielmehr die erste dieser Art Vereinigungen war die „Hilfskafse für Arbeiter der mechanischen Werkstätten Moskaus", welche unter der Aufsicht der Polizeibehörde stand und in den verschiedenen Stadtteilen Moskaus besondere Gruppen bildete. Für andere Gewerbe, wie für die Weber, die Tabakarbeiter usw., wurden ähnliche Hilfskassen errichtet. Am Schlüsse der gelben Gruppe sei dann noch der „nationalen polnischen Gewerkschaften" in Russisch Polen, der „Gelben Arbeitersyndikate" Belgiens, der „Gelben Werkvereine" der Schweiz und der gelben Arbeiterbewegung Dänemarks, Spaniens und Australiens Erwähnung getan. Zwischen einer Reihe von Arbeitervereinigungen der reingewerkschaftlichen, der sozialistischen und der anarchistischen Gruppen bestehen nun gewisse inter¬ nationale Beziehungen, welche im Jahre 1901 zur Gründung einer internatio¬ nalen Zentrale für die gewerkschaftlichen Bestrebungen der einzelnen Länder führten. Im Jahre 1902 wurden von Vertretern von zwölf Nationen zu Stutt¬ gart die Grundlagen gemeinsamer Arbeit bestimmt und Deutschland zum Sitz der internationalen Zentrale erhoben. Im Jahre 1903 wurde die Zentrale durch den Anschluß von Vertretern von acht Nationen zu Dublin zu einem ständigen „Internationalen Sekretariat der gewerkschaftlichen Landeszentralen" ausgebaut und gleichzeitig verpflichteten sich die dem internationalen Sekretariat angeschlossenen Landeszentralen, alljährlich Berichte zu liefern, die von den inter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/82>, abgerufen am 19.10.2024.