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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Belgiens überaus gute Fortschritte zu verzeichnen gehabt, und zwar besonders
die Organisationen der Stein-, Textil-, Buch- und Papierindustrie.

Die christliche Arbeiterbewegung Spaniens, welche schon älteren Datums
und gleich wie diejenige Italiens auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe auf¬
gebaut ist, verfügt gegenüber den losen Vereinigungen der anarchistischen Arbeiter
über festgefügte Organisationen. Größere Gewerkschaften bilden hier u. a. die
Textilarbeiter und die Arbeiter des Baugewerbes.

Im Laufe des Jahres 1908 wurden von den christlichen Gewerkschaften
der Niederlande zwei Zentralstellen errichtet, und zwar der "Christlich-nationale
Fachverband", welcher zunächst protestantische Gewerkschaften, wie die Ver¬
einigung der christlichen Kondor- und Handelsangestellten umfaßte und den
"Römisch-katholischen Fachverband". Von größeren hier in Frage kommenden
Organisationen sind die "Christliche Bergarbeiterorganisation" (Sitz Limburg),
sowie die gutorganisierten Verbände der Textilarbeiter und der Maurer zu
nennen.

Am Schlüsse der christlichen Gruppe in der niodernen Arbeiterbewegung
sei noch der christlichen Arbeitervereine Dänemarks mit der Zentralisation in
dem "Christlichen Gewerkschaftsverband in Dänemark" und der christlichen
Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine der Schweiz mit der Zentralstelle in der
"Landeszentrale der christlichen Gewerkschaften der Schweiz" Erwähnung getan.

Einen flotten Ausschwung hat auch die hier zuletzt genannte Gruppe in
der modernen Arbeiterbewegung, die Gruppe der gelben oder wirtschaftsfried¬
lichen Arbeitervereinigungen genommen. Dieselbe ist erst allerneuesten Datums
und rekrutiert sich vornehmlich aus Mitgliedern der sozialistischen und anarchistischen
Gruppen. Als Ursprungsland der gelben Arbeiterbewegung wird vielfach Frank¬
reich bezeichnet (wenigstens hat Frankreich der Bewegung den Namen gegeben)
und hat diese Bewegung in den letzten Jahren fast in allen Kulturstaaten Er¬
folge zu verzeichnen gehabt. In Frankreich selbst erfolgte ihre Gründung be¬
kanntlich im Jahre 1902, wo die sogenannte "Unabhängige Arbeitsbörse" mit
100000 Franken Unternehmcrsubvention zustande kam.

Der wesentliche Punkt im Programm der Gelben ist der Punkt 2 der
Satzungen: "Erhebung der Handarbeit zum Kapital und zum Eigentum." Das
heißt mit anderen Worten, die Arbeiter sollen sparen, um in dieser oder jener
Form Anteil an dem Unternehmen zu gewinnen. Als Unternehmer werden
dann die Arbeiter selbst das größte Interesse an dem Gedeihen des Unter¬
nehmens haben, was wiederum zur Folge hat, daß sie zu Gegnern aller
Streiks werden.

Die gelbe Arbeiterbewegung Englands hat dem im Jahre 1392 den mit Hilfe
der Unternehmer und zwar vornehmlich derjenigen aus der Metall- und Schiff¬
bauindustrie gegründeten "Nationalverband freier Arbeiter" zur Zentrale erhoben.
Bedeutend jüngeren Datums ist die wirtschaftsfriedliche Arbeiterbewegung der
Vereinigten Staaten von Nordamerika.


Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Belgiens überaus gute Fortschritte zu verzeichnen gehabt, und zwar besonders
die Organisationen der Stein-, Textil-, Buch- und Papierindustrie.

Die christliche Arbeiterbewegung Spaniens, welche schon älteren Datums
und gleich wie diejenige Italiens auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe auf¬
gebaut ist, verfügt gegenüber den losen Vereinigungen der anarchistischen Arbeiter
über festgefügte Organisationen. Größere Gewerkschaften bilden hier u. a. die
Textilarbeiter und die Arbeiter des Baugewerbes.

Im Laufe des Jahres 1908 wurden von den christlichen Gewerkschaften
der Niederlande zwei Zentralstellen errichtet, und zwar der „Christlich-nationale
Fachverband", welcher zunächst protestantische Gewerkschaften, wie die Ver¬
einigung der christlichen Kondor- und Handelsangestellten umfaßte und den
„Römisch-katholischen Fachverband". Von größeren hier in Frage kommenden
Organisationen sind die „Christliche Bergarbeiterorganisation" (Sitz Limburg),
sowie die gutorganisierten Verbände der Textilarbeiter und der Maurer zu
nennen.

Am Schlüsse der christlichen Gruppe in der niodernen Arbeiterbewegung
sei noch der christlichen Arbeitervereine Dänemarks mit der Zentralisation in
dem „Christlichen Gewerkschaftsverband in Dänemark" und der christlichen
Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine der Schweiz mit der Zentralstelle in der
„Landeszentrale der christlichen Gewerkschaften der Schweiz" Erwähnung getan.

Einen flotten Ausschwung hat auch die hier zuletzt genannte Gruppe in
der modernen Arbeiterbewegung, die Gruppe der gelben oder wirtschaftsfried¬
lichen Arbeitervereinigungen genommen. Dieselbe ist erst allerneuesten Datums
und rekrutiert sich vornehmlich aus Mitgliedern der sozialistischen und anarchistischen
Gruppen. Als Ursprungsland der gelben Arbeiterbewegung wird vielfach Frank¬
reich bezeichnet (wenigstens hat Frankreich der Bewegung den Namen gegeben)
und hat diese Bewegung in den letzten Jahren fast in allen Kulturstaaten Er¬
folge zu verzeichnen gehabt. In Frankreich selbst erfolgte ihre Gründung be¬
kanntlich im Jahre 1902, wo die sogenannte „Unabhängige Arbeitsbörse" mit
100000 Franken Unternehmcrsubvention zustande kam.

Der wesentliche Punkt im Programm der Gelben ist der Punkt 2 der
Satzungen: „Erhebung der Handarbeit zum Kapital und zum Eigentum." Das
heißt mit anderen Worten, die Arbeiter sollen sparen, um in dieser oder jener
Form Anteil an dem Unternehmen zu gewinnen. Als Unternehmer werden
dann die Arbeiter selbst das größte Interesse an dem Gedeihen des Unter¬
nehmens haben, was wiederum zur Folge hat, daß sie zu Gegnern aller
Streiks werden.

Die gelbe Arbeiterbewegung Englands hat dem im Jahre 1392 den mit Hilfe
der Unternehmer und zwar vornehmlich derjenigen aus der Metall- und Schiff¬
bauindustrie gegründeten „Nationalverband freier Arbeiter" zur Zentrale erhoben.
Bedeutend jüngeren Datums ist die wirtschaftsfriedliche Arbeiterbewegung der
Vereinigten Staaten von Nordamerika.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/81>, abgerufen am 19.10.2024.