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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Die konfessionellen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine haben in Punkts der
der gewerkschaftlichen Fragen kein einheitliches Vorgehen. Der überwiegend
größte Teil sowohl der katholischen wie der evangelischen Vereine empfiehlt
seinen Mitgliedern, sich den christlichen Gewerkschaften anzuschließen.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ist die christliche Arbeiter¬
bewegung eine Einrichtung der allerneuesten Zeit. Der Hauptsitz der Bewegung
selbst ist zurzeit Chicago, wo auch das Organ der christlich-sozialen Gewerk¬
vereine, der "Christian Sozialist" herausgegeben wird.

Bedeutend älteren Datums ist die christliche Arbeiterbewegung Frankreichs.
Bedeutende Organisationen bilden zurzeit die Textilarbeiter. Nicht zu ver¬
gessen ist auch die "Katholische Eisenbahner-Union" mit 1911: 50000 Mit¬
gliedern.

Die christliche Arbeiterbewegung Italiens, welche ebenfalls schon älteren
Datums ist, hat in der popolars s Oemocratico Lnn3tianÄ"
(katholischer Volksverein) und der "I_Imone act I^avoro" in Palermo zwei
Zentralen. Im Gegensatz zu den sozialistischen und anarchistischen Widerstands¬
vereinigungen besitzen die katholischen Berufsvereine (I^nioni prof^slormli
catnolicke) von Italien sehr gut aufgebaute Unterstützungseinrichtungen. Auch
hinsichtlich des Genossenschaftswesens hat man sich hier von jeher mit sehr gutem
Erfolg betätigt.

Die christlich-soziale Arbeiterbewegung Österreichs hat in der Praxis im
letzten Dezennium gerade wie die sozialistische und separatistische unter den
kulturellen und wirtschaftlichen Verschiedenheiten der einzelnen Länder zu leiden
gehabt.

Die christliche Arbeiterbewegung Rußlands hat ihre Anhängerschaft vor¬
nehmlich in Russisch-Polen. Die Vereinigungen selbst sind hier nicht nach
Fächern, sondern nach Kirchspielen organisiert und setzen sich aus den ver¬
schiedensten Berufen zusammen. Unterstützungen bei Streiks werden nicht gezahlt
und kommen daher selbständige Streiks der Mitglieder fast nie vor. Der Auf¬
bau dieser Vereine ist aus dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe gegründet,
und ihre Haupttätigkeit besteht in der Errichtung von Konsumlädeu, Kor¬
porationen usw.

Die auf dem Boden der "I^iAus clemocratique bsIZe" stehenden christ¬
lichen Fachvereine Belgiens, als deren Gründungsjahr das Jahr 1891 anzu¬
sehen ist, haben in dem im Jahre 1903 errichteten "ZLLröwnat Aönürele nich
uniori3 proie8sic)neIlL8" eine ziemlich festgefügte Zentralisation. Mitglieder
dieser Liga selbst können alle aus Arbeitern und Arbeitgebern (später nur auf
Vereine von Arbeitern beschränkt) bestehende Organisationen werden, sofern
ihre Ziele mit denjenigen der Liga nicht in Widerspruch stehen und ihre
Satzungen an den Begriffen der Familie und des Eigentums festhalten
und die Religion als unerläßliche Voraussetzung des gesellschaftlichen Lebens
anerkennen. In den letzten Jahren hat nun die christliche Arbeiterbewegung


Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

Die konfessionellen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine haben in Punkts der
der gewerkschaftlichen Fragen kein einheitliches Vorgehen. Der überwiegend
größte Teil sowohl der katholischen wie der evangelischen Vereine empfiehlt
seinen Mitgliedern, sich den christlichen Gewerkschaften anzuschließen.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ist die christliche Arbeiter¬
bewegung eine Einrichtung der allerneuesten Zeit. Der Hauptsitz der Bewegung
selbst ist zurzeit Chicago, wo auch das Organ der christlich-sozialen Gewerk¬
vereine, der „Christian Sozialist" herausgegeben wird.

Bedeutend älteren Datums ist die christliche Arbeiterbewegung Frankreichs.
Bedeutende Organisationen bilden zurzeit die Textilarbeiter. Nicht zu ver¬
gessen ist auch die „Katholische Eisenbahner-Union" mit 1911: 50000 Mit¬
gliedern.

Die christliche Arbeiterbewegung Italiens, welche ebenfalls schon älteren
Datums ist, hat in der popolars s Oemocratico Lnn3tianÄ"
(katholischer Volksverein) und der „I_Imone act I^avoro" in Palermo zwei
Zentralen. Im Gegensatz zu den sozialistischen und anarchistischen Widerstands¬
vereinigungen besitzen die katholischen Berufsvereine (I^nioni prof^slormli
catnolicke) von Italien sehr gut aufgebaute Unterstützungseinrichtungen. Auch
hinsichtlich des Genossenschaftswesens hat man sich hier von jeher mit sehr gutem
Erfolg betätigt.

Die christlich-soziale Arbeiterbewegung Österreichs hat in der Praxis im
letzten Dezennium gerade wie die sozialistische und separatistische unter den
kulturellen und wirtschaftlichen Verschiedenheiten der einzelnen Länder zu leiden
gehabt.

Die christliche Arbeiterbewegung Rußlands hat ihre Anhängerschaft vor¬
nehmlich in Russisch-Polen. Die Vereinigungen selbst sind hier nicht nach
Fächern, sondern nach Kirchspielen organisiert und setzen sich aus den ver¬
schiedensten Berufen zusammen. Unterstützungen bei Streiks werden nicht gezahlt
und kommen daher selbständige Streiks der Mitglieder fast nie vor. Der Auf¬
bau dieser Vereine ist aus dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe gegründet,
und ihre Haupttätigkeit besteht in der Errichtung von Konsumlädeu, Kor¬
porationen usw.

Die auf dem Boden der „I^iAus clemocratique bsIZe" stehenden christ¬
lichen Fachvereine Belgiens, als deren Gründungsjahr das Jahr 1891 anzu¬
sehen ist, haben in dem im Jahre 1903 errichteten „ZLLröwnat Aönürele nich
uniori3 proie8sic)neIlL8" eine ziemlich festgefügte Zentralisation. Mitglieder
dieser Liga selbst können alle aus Arbeitern und Arbeitgebern (später nur auf
Vereine von Arbeitern beschränkt) bestehende Organisationen werden, sofern
ihre Ziele mit denjenigen der Liga nicht in Widerspruch stehen und ihre
Satzungen an den Begriffen der Familie und des Eigentums festhalten
und die Religion als unerläßliche Voraussetzung des gesellschaftlichen Lebens
anerkennen. In den letzten Jahren hat nun die christliche Arbeiterbewegung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/80>, abgerufen am 28.12.2024.