Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

309 Gesellschaften zur gegenseitigen Hilfeleistung mit 84426 Mitgliedern
gezählt.

Seit November 1889 besteht in der "Union Osneral als ^rab^gclois8"
eine Zentralisation der spanischen Gewerkschaftsbewegung.

Größere Organisationen bilden hier die Bauarbeiter mit 1903 : 10263
und 1907 : 12036 Mitgliedern, die Holzarbeiter mit 1904 : 4521 und 1908:
3652 Mitgliedern, die Kutscher und Geschirrführer mit 1904 : 3000 und 1908:
3250 Mitgliedern, die Metallarbeiter mit 1904 : 1800 und 1903 : 2402 Mit¬
gliedern usw.

Der erste bemerkenswerte Schritt zur gewerkschaftlichen Organisation in
Rußland war der Petersburger Weberstreik im Jahre 1896, an welchem etwa
30000 Arbeiter beteiligt waren. Dieser Streik, welcher allgemein als eine
bisher unbekannte Erscheinung des Zarenreiches anzusehen ist, hatte gleichzeitig
noch eine große politische Bedeutung. Er demonstrierte nämlich vor der ganzen
Bevölkerung die Solidarität der Arbeitermassen und die in ihnen erwachte
Kampfesentschlossenheit. Weitere Streiks der Jahre 1900. 1902 und 1903
wirkten in derselben Richtung, so der Generalstreik, der sich, von Juli bis August
1903 über ganz Südrußland verbreitete. Einen Bestand hatten aber alle die
in dieser Zeit und vielfach nur zur Abwehr bestimmter Maßnahmen gegründeten
Vereinigungen nicht. So schnell sie entstanden, so schnell zerfielen sie auch wieder.

Eine hinsichtlich ihres Einflusses auf die Arbeiterschaft und hinsichtlich des
inneren organisatorischen Ausbaues im Vordergrund stehende Gewerkschaft Ru߬
lands war die anfänglich geheime Gewerkschaft der Buchdrucker von Moskau
(gegründet 1903). Dieser Vereinigung gelang es, ihre volle Anerkennung seitens
der Unternehmer durchzusetzen. Im Jahre 1905 folgten dann ähnliche Gewerk¬
schaften in Petersburg und bald auch in vielen anderen Städten. Am Ende des
Jahres 1905 waren in allen größeren Städten Rußlands Gewerkschaften gegründet,
welche aber meist lokalen Charakter trugen und nur ein kurzes Dasein hatten.

In Moskau und Petersburg hatten sich ebenfalls im Jahre 1905 sogar
schon Zentralbureaus für die Gewerkschaften gebildet, jedoch wurden diese
Zentralisationen bereits im Dezember 1905 nach der Niederwerfung des großen
Moskaner Aufstandes wieder aufgelöst.

Im Frühjahr 1906 wurde ein Gesetz erlassen, welches die Bildung von
Berufsvereinigungen erlaubte und regelte. Als Zweck der Gesellschaften wurde
festgelegt: die Behandlung und Förderung der wirtschaftlichen Lage und die
Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder, sowie die Förderung der
Produktivität der Betriebe, in denen sie arbeiten. Ferner wurde den Berufs¬
vereinen erlaubt, sich auf demi Gebiete des Schieds- und Einigungswesens, des
Arbeitsnachweises, der Rechtsauskunft, des gemeinsamen Einkaufs, des Unter¬
stützungswesens und der Fortbildung zu betätigen. Die Gewerkschaften können
ferner nach dem Gesetz Ortsgruppen einrichten, doch dürfen diese keine gesonderte
Verwaltung haben. Unlersagt ist dagegen die Verbindung zweier Gewerk


Grenzboten III 1913 5
Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

309 Gesellschaften zur gegenseitigen Hilfeleistung mit 84426 Mitgliedern
gezählt.

Seit November 1889 besteht in der „Union Osneral als ^rab^gclois8"
eine Zentralisation der spanischen Gewerkschaftsbewegung.

Größere Organisationen bilden hier die Bauarbeiter mit 1903 : 10263
und 1907 : 12036 Mitgliedern, die Holzarbeiter mit 1904 : 4521 und 1908:
3652 Mitgliedern, die Kutscher und Geschirrführer mit 1904 : 3000 und 1908:
3250 Mitgliedern, die Metallarbeiter mit 1904 : 1800 und 1903 : 2402 Mit¬
gliedern usw.

Der erste bemerkenswerte Schritt zur gewerkschaftlichen Organisation in
Rußland war der Petersburger Weberstreik im Jahre 1896, an welchem etwa
30000 Arbeiter beteiligt waren. Dieser Streik, welcher allgemein als eine
bisher unbekannte Erscheinung des Zarenreiches anzusehen ist, hatte gleichzeitig
noch eine große politische Bedeutung. Er demonstrierte nämlich vor der ganzen
Bevölkerung die Solidarität der Arbeitermassen und die in ihnen erwachte
Kampfesentschlossenheit. Weitere Streiks der Jahre 1900. 1902 und 1903
wirkten in derselben Richtung, so der Generalstreik, der sich, von Juli bis August
1903 über ganz Südrußland verbreitete. Einen Bestand hatten aber alle die
in dieser Zeit und vielfach nur zur Abwehr bestimmter Maßnahmen gegründeten
Vereinigungen nicht. So schnell sie entstanden, so schnell zerfielen sie auch wieder.

Eine hinsichtlich ihres Einflusses auf die Arbeiterschaft und hinsichtlich des
inneren organisatorischen Ausbaues im Vordergrund stehende Gewerkschaft Ru߬
lands war die anfänglich geheime Gewerkschaft der Buchdrucker von Moskau
(gegründet 1903). Dieser Vereinigung gelang es, ihre volle Anerkennung seitens
der Unternehmer durchzusetzen. Im Jahre 1905 folgten dann ähnliche Gewerk¬
schaften in Petersburg und bald auch in vielen anderen Städten. Am Ende des
Jahres 1905 waren in allen größeren Städten Rußlands Gewerkschaften gegründet,
welche aber meist lokalen Charakter trugen und nur ein kurzes Dasein hatten.

In Moskau und Petersburg hatten sich ebenfalls im Jahre 1905 sogar
schon Zentralbureaus für die Gewerkschaften gebildet, jedoch wurden diese
Zentralisationen bereits im Dezember 1905 nach der Niederwerfung des großen
Moskaner Aufstandes wieder aufgelöst.

Im Frühjahr 1906 wurde ein Gesetz erlassen, welches die Bildung von
Berufsvereinigungen erlaubte und regelte. Als Zweck der Gesellschaften wurde
festgelegt: die Behandlung und Förderung der wirtschaftlichen Lage und die
Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder, sowie die Förderung der
Produktivität der Betriebe, in denen sie arbeiten. Ferner wurde den Berufs¬
vereinen erlaubt, sich auf demi Gebiete des Schieds- und Einigungswesens, des
Arbeitsnachweises, der Rechtsauskunft, des gemeinsamen Einkaufs, des Unter¬
stützungswesens und der Fortbildung zu betätigen. Die Gewerkschaften können
ferner nach dem Gesetz Ortsgruppen einrichten, doch dürfen diese keine gesonderte
Verwaltung haben. Unlersagt ist dagegen die Verbindung zweier Gewerk


Grenzboten III 1913 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326247"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_313" prev="#ID_312"> 309 Gesellschaften zur gegenseitigen Hilfeleistung mit 84426 Mitgliedern<lb/>
gezählt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_314"> Seit November 1889 besteht in der &#x201E;Union Osneral als ^rab^gclois8"<lb/>
eine Zentralisation der spanischen Gewerkschaftsbewegung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_315"> Größere Organisationen bilden hier die Bauarbeiter mit 1903 : 10263<lb/>
und 1907 : 12036 Mitgliedern, die Holzarbeiter mit 1904 : 4521 und 1908:<lb/>
3652 Mitgliedern, die Kutscher und Geschirrführer mit 1904 : 3000 und 1908:<lb/>
3250 Mitgliedern, die Metallarbeiter mit 1904 : 1800 und 1903 : 2402 Mit¬<lb/>
gliedern usw.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_316"> Der erste bemerkenswerte Schritt zur gewerkschaftlichen Organisation in<lb/>
Rußland war der Petersburger Weberstreik im Jahre 1896, an welchem etwa<lb/>
30000 Arbeiter beteiligt waren. Dieser Streik, welcher allgemein als eine<lb/>
bisher unbekannte Erscheinung des Zarenreiches anzusehen ist, hatte gleichzeitig<lb/>
noch eine große politische Bedeutung. Er demonstrierte nämlich vor der ganzen<lb/>
Bevölkerung die Solidarität der Arbeitermassen und die in ihnen erwachte<lb/>
Kampfesentschlossenheit. Weitere Streiks der Jahre 1900. 1902 und 1903<lb/>
wirkten in derselben Richtung, so der Generalstreik, der sich, von Juli bis August<lb/>
1903 über ganz Südrußland verbreitete. Einen Bestand hatten aber alle die<lb/>
in dieser Zeit und vielfach nur zur Abwehr bestimmter Maßnahmen gegründeten<lb/>
Vereinigungen nicht. So schnell sie entstanden, so schnell zerfielen sie auch wieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_317"> Eine hinsichtlich ihres Einflusses auf die Arbeiterschaft und hinsichtlich des<lb/>
inneren organisatorischen Ausbaues im Vordergrund stehende Gewerkschaft Ru߬<lb/>
lands war die anfänglich geheime Gewerkschaft der Buchdrucker von Moskau<lb/>
(gegründet 1903). Dieser Vereinigung gelang es, ihre volle Anerkennung seitens<lb/>
der Unternehmer durchzusetzen. Im Jahre 1905 folgten dann ähnliche Gewerk¬<lb/>
schaften in Petersburg und bald auch in vielen anderen Städten. Am Ende des<lb/>
Jahres 1905 waren in allen größeren Städten Rußlands Gewerkschaften gegründet,<lb/>
welche aber meist lokalen Charakter trugen und nur ein kurzes Dasein hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_318"> In Moskau und Petersburg hatten sich ebenfalls im Jahre 1905 sogar<lb/>
schon Zentralbureaus für die Gewerkschaften gebildet, jedoch wurden diese<lb/>
Zentralisationen bereits im Dezember 1905 nach der Niederwerfung des großen<lb/>
Moskaner Aufstandes wieder aufgelöst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_319" next="#ID_320"> Im Frühjahr 1906 wurde ein Gesetz erlassen, welches die Bildung von<lb/>
Berufsvereinigungen erlaubte und regelte. Als Zweck der Gesellschaften wurde<lb/>
festgelegt: die Behandlung und Förderung der wirtschaftlichen Lage und die<lb/>
Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder, sowie die Förderung der<lb/>
Produktivität der Betriebe, in denen sie arbeiten. Ferner wurde den Berufs¬<lb/>
vereinen erlaubt, sich auf demi Gebiete des Schieds- und Einigungswesens, des<lb/>
Arbeitsnachweises, der Rechtsauskunft, des gemeinsamen Einkaufs, des Unter¬<lb/>
stützungswesens und der Fortbildung zu betätigen. Die Gewerkschaften können<lb/>
ferner nach dem Gesetz Ortsgruppen einrichten, doch dürfen diese keine gesonderte<lb/>
Verwaltung haben.  Unlersagt ist dagegen die Verbindung zweier Gewerk</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1913 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0077] Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung 309 Gesellschaften zur gegenseitigen Hilfeleistung mit 84426 Mitgliedern gezählt. Seit November 1889 besteht in der „Union Osneral als ^rab^gclois8" eine Zentralisation der spanischen Gewerkschaftsbewegung. Größere Organisationen bilden hier die Bauarbeiter mit 1903 : 10263 und 1907 : 12036 Mitgliedern, die Holzarbeiter mit 1904 : 4521 und 1908: 3652 Mitgliedern, die Kutscher und Geschirrführer mit 1904 : 3000 und 1908: 3250 Mitgliedern, die Metallarbeiter mit 1904 : 1800 und 1903 : 2402 Mit¬ gliedern usw. Der erste bemerkenswerte Schritt zur gewerkschaftlichen Organisation in Rußland war der Petersburger Weberstreik im Jahre 1896, an welchem etwa 30000 Arbeiter beteiligt waren. Dieser Streik, welcher allgemein als eine bisher unbekannte Erscheinung des Zarenreiches anzusehen ist, hatte gleichzeitig noch eine große politische Bedeutung. Er demonstrierte nämlich vor der ganzen Bevölkerung die Solidarität der Arbeitermassen und die in ihnen erwachte Kampfesentschlossenheit. Weitere Streiks der Jahre 1900. 1902 und 1903 wirkten in derselben Richtung, so der Generalstreik, der sich, von Juli bis August 1903 über ganz Südrußland verbreitete. Einen Bestand hatten aber alle die in dieser Zeit und vielfach nur zur Abwehr bestimmter Maßnahmen gegründeten Vereinigungen nicht. So schnell sie entstanden, so schnell zerfielen sie auch wieder. Eine hinsichtlich ihres Einflusses auf die Arbeiterschaft und hinsichtlich des inneren organisatorischen Ausbaues im Vordergrund stehende Gewerkschaft Ru߬ lands war die anfänglich geheime Gewerkschaft der Buchdrucker von Moskau (gegründet 1903). Dieser Vereinigung gelang es, ihre volle Anerkennung seitens der Unternehmer durchzusetzen. Im Jahre 1905 folgten dann ähnliche Gewerk¬ schaften in Petersburg und bald auch in vielen anderen Städten. Am Ende des Jahres 1905 waren in allen größeren Städten Rußlands Gewerkschaften gegründet, welche aber meist lokalen Charakter trugen und nur ein kurzes Dasein hatten. In Moskau und Petersburg hatten sich ebenfalls im Jahre 1905 sogar schon Zentralbureaus für die Gewerkschaften gebildet, jedoch wurden diese Zentralisationen bereits im Dezember 1905 nach der Niederwerfung des großen Moskaner Aufstandes wieder aufgelöst. Im Frühjahr 1906 wurde ein Gesetz erlassen, welches die Bildung von Berufsvereinigungen erlaubte und regelte. Als Zweck der Gesellschaften wurde festgelegt: die Behandlung und Förderung der wirtschaftlichen Lage und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder, sowie die Förderung der Produktivität der Betriebe, in denen sie arbeiten. Ferner wurde den Berufs¬ vereinen erlaubt, sich auf demi Gebiete des Schieds- und Einigungswesens, des Arbeitsnachweises, der Rechtsauskunft, des gemeinsamen Einkaufs, des Unter¬ stützungswesens und der Fortbildung zu betätigen. Die Gewerkschaften können ferner nach dem Gesetz Ortsgruppen einrichten, doch dürfen diese keine gesonderte Verwaltung haben. Unlersagt ist dagegen die Verbindung zweier Gewerk Grenzboten III 1913 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/77
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/77>, abgerufen am 28.12.2024.