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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Erbrecht des Staates

In der Kommissionssitzung vom 10. Juni 1913 äußerte man von national-
liberaler Seite, daß es sittlicher sei, dem Staate als unbekannten entfernten
Verwandten sein Geld zuzuwenden.

Mit weniger Nachdruck als den finanziellen Standpunkt -- ein Kommissions¬
mitglied hat es "schamig" genannt -- hat der Entwurf betont, daß sich das
Gefühl der Familienzusammengehörigkeit in weiteren Verwandtschaftsgraben
schnell zu verflüchtigen pflege. Daß der Entwurf eine Ansicht, deren Richtigkeit,
wie auch schon bemerkt, weder absolut bewiesen noch widerlegt werden kann,
nicht zum Hauptstützpunkt gewählt hat, ist selbstverständlich. Nichtsdestoweniger
darf nicht verschwiegen werden, wie andere sich über den Familiensinn im Ver¬
hältnis zum beschränkten Erbrecht geäußert haben.

In der Kommission ist die erwähnte Ansicht der Regierung als irrig, die
Vorlage deshalb als unerträglich bezeichnet worden. Dr. von Schmidts inhaltlich
gleiche Worte in seiner Begründung zum Bürgerlichen Gesetzbuch sind schon ein¬
gangs erwähnt.

Professor von Scheel vertritt etwa die Ansicht, auf die sich die Regierung
stützt. Der Zusammenhang der Einzelwirtschaft sei heute geringer, sagt er in
seinem obenerwähnten Werke. "Ein Stammesbewußtsein gibt es nicht."

Schärfer noch betont Justizrat Bamberger den Mangel an Familiensinn bei
den entfernteren Verwandten. Die Institution des "lachenden Erben", d. h. der
durch Gesetz zur Erbfolge berufenen weiteren Verwandten, nennt er eine un¬
gerechte, widersinnige. (Erbrechtsreform 1908.)

Wenn Professor H. Delbrück im Jahre 1906 (Preußische Jahrbücher
123. Band) nicht billigend sagt: "Auch Verwandte, die sich ihres Zusammenhangs
mit dem Erblasser gar nicht bewußt gewesen sind ... sind zu Erben berufen", so darf
man annehmen, daß auch seine Meinung konform mit der sieben Jahre später
nil Entwurf ausgesprochenen ist.

Ebenso sind wohl Professor Gerloffs (Matrikularbeiträge und direkte Reichs-
fteuer 1908) Worte zu deuten: "Die Erbberechtigung in inkinitum des Bürger¬
lichen Gesetzbuchs ist widersinnig." Allerdings kann Gerloff bei diesen scharfen
Worten noch andere -- besonders volkswirtschaftliche -- Momente (etwa, daß
der Staat jetzt teilweise die Familie in ihrer Gesamtheit vertritt und deshalb
auch ein Recht auf eine gewisse Beteiligung am Erbrecht hat, vgl. auch von
Scheel) im Auge gehabt haben, vielleicht auch die von feiten der Regierung in
einer Kommissionssitzung (10. Juni 1913) geltend gemachte Begründung, daß
das lange Suchen nach Verwandten für die Gläubiger des Erblassers, eventuell
auch für die Erben schlimm sein könne.

Ist die Beschränkung des Erbfolgerechts im allgemeinen, der Zweck und der
Grund der Maßregel erörtert, fo ergibt sich die Frage, wie weit diese Beschränkung zu
gehen hat und welchen materiellen Gewinn man sich von ihr versprechen darf.

Die Berechnung ergibt für das Jahr 1913 eine voraussichtliche Einnahme
von etwa 20,65 Millionen Mark.


Das Erbrecht des Staates

In der Kommissionssitzung vom 10. Juni 1913 äußerte man von national-
liberaler Seite, daß es sittlicher sei, dem Staate als unbekannten entfernten
Verwandten sein Geld zuzuwenden.

Mit weniger Nachdruck als den finanziellen Standpunkt — ein Kommissions¬
mitglied hat es „schamig" genannt — hat der Entwurf betont, daß sich das
Gefühl der Familienzusammengehörigkeit in weiteren Verwandtschaftsgraben
schnell zu verflüchtigen pflege. Daß der Entwurf eine Ansicht, deren Richtigkeit,
wie auch schon bemerkt, weder absolut bewiesen noch widerlegt werden kann,
nicht zum Hauptstützpunkt gewählt hat, ist selbstverständlich. Nichtsdestoweniger
darf nicht verschwiegen werden, wie andere sich über den Familiensinn im Ver¬
hältnis zum beschränkten Erbrecht geäußert haben.

In der Kommission ist die erwähnte Ansicht der Regierung als irrig, die
Vorlage deshalb als unerträglich bezeichnet worden. Dr. von Schmidts inhaltlich
gleiche Worte in seiner Begründung zum Bürgerlichen Gesetzbuch sind schon ein¬
gangs erwähnt.

Professor von Scheel vertritt etwa die Ansicht, auf die sich die Regierung
stützt. Der Zusammenhang der Einzelwirtschaft sei heute geringer, sagt er in
seinem obenerwähnten Werke. „Ein Stammesbewußtsein gibt es nicht."

Schärfer noch betont Justizrat Bamberger den Mangel an Familiensinn bei
den entfernteren Verwandten. Die Institution des „lachenden Erben", d. h. der
durch Gesetz zur Erbfolge berufenen weiteren Verwandten, nennt er eine un¬
gerechte, widersinnige. (Erbrechtsreform 1908.)

Wenn Professor H. Delbrück im Jahre 1906 (Preußische Jahrbücher
123. Band) nicht billigend sagt: „Auch Verwandte, die sich ihres Zusammenhangs
mit dem Erblasser gar nicht bewußt gewesen sind ... sind zu Erben berufen", so darf
man annehmen, daß auch seine Meinung konform mit der sieben Jahre später
nil Entwurf ausgesprochenen ist.

Ebenso sind wohl Professor Gerloffs (Matrikularbeiträge und direkte Reichs-
fteuer 1908) Worte zu deuten: „Die Erbberechtigung in inkinitum des Bürger¬
lichen Gesetzbuchs ist widersinnig." Allerdings kann Gerloff bei diesen scharfen
Worten noch andere — besonders volkswirtschaftliche — Momente (etwa, daß
der Staat jetzt teilweise die Familie in ihrer Gesamtheit vertritt und deshalb
auch ein Recht auf eine gewisse Beteiligung am Erbrecht hat, vgl. auch von
Scheel) im Auge gehabt haben, vielleicht auch die von feiten der Regierung in
einer Kommissionssitzung (10. Juni 1913) geltend gemachte Begründung, daß
das lange Suchen nach Verwandten für die Gläubiger des Erblassers, eventuell
auch für die Erben schlimm sein könne.

Ist die Beschränkung des Erbfolgerechts im allgemeinen, der Zweck und der
Grund der Maßregel erörtert, fo ergibt sich die Frage, wie weit diese Beschränkung zu
gehen hat und welchen materiellen Gewinn man sich von ihr versprechen darf.

Die Berechnung ergibt für das Jahr 1913 eine voraussichtliche Einnahme
von etwa 20,65 Millionen Mark.


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[0606] Das Erbrecht des Staates In der Kommissionssitzung vom 10. Juni 1913 äußerte man von national- liberaler Seite, daß es sittlicher sei, dem Staate als unbekannten entfernten Verwandten sein Geld zuzuwenden. Mit weniger Nachdruck als den finanziellen Standpunkt — ein Kommissions¬ mitglied hat es „schamig" genannt — hat der Entwurf betont, daß sich das Gefühl der Familienzusammengehörigkeit in weiteren Verwandtschaftsgraben schnell zu verflüchtigen pflege. Daß der Entwurf eine Ansicht, deren Richtigkeit, wie auch schon bemerkt, weder absolut bewiesen noch widerlegt werden kann, nicht zum Hauptstützpunkt gewählt hat, ist selbstverständlich. Nichtsdestoweniger darf nicht verschwiegen werden, wie andere sich über den Familiensinn im Ver¬ hältnis zum beschränkten Erbrecht geäußert haben. In der Kommission ist die erwähnte Ansicht der Regierung als irrig, die Vorlage deshalb als unerträglich bezeichnet worden. Dr. von Schmidts inhaltlich gleiche Worte in seiner Begründung zum Bürgerlichen Gesetzbuch sind schon ein¬ gangs erwähnt. Professor von Scheel vertritt etwa die Ansicht, auf die sich die Regierung stützt. Der Zusammenhang der Einzelwirtschaft sei heute geringer, sagt er in seinem obenerwähnten Werke. „Ein Stammesbewußtsein gibt es nicht." Schärfer noch betont Justizrat Bamberger den Mangel an Familiensinn bei den entfernteren Verwandten. Die Institution des „lachenden Erben", d. h. der durch Gesetz zur Erbfolge berufenen weiteren Verwandten, nennt er eine un¬ gerechte, widersinnige. (Erbrechtsreform 1908.) Wenn Professor H. Delbrück im Jahre 1906 (Preußische Jahrbücher 123. Band) nicht billigend sagt: „Auch Verwandte, die sich ihres Zusammenhangs mit dem Erblasser gar nicht bewußt gewesen sind ... sind zu Erben berufen", so darf man annehmen, daß auch seine Meinung konform mit der sieben Jahre später nil Entwurf ausgesprochenen ist. Ebenso sind wohl Professor Gerloffs (Matrikularbeiträge und direkte Reichs- fteuer 1908) Worte zu deuten: „Die Erbberechtigung in inkinitum des Bürger¬ lichen Gesetzbuchs ist widersinnig." Allerdings kann Gerloff bei diesen scharfen Worten noch andere — besonders volkswirtschaftliche — Momente (etwa, daß der Staat jetzt teilweise die Familie in ihrer Gesamtheit vertritt und deshalb auch ein Recht auf eine gewisse Beteiligung am Erbrecht hat, vgl. auch von Scheel) im Auge gehabt haben, vielleicht auch die von feiten der Regierung in einer Kommissionssitzung (10. Juni 1913) geltend gemachte Begründung, daß das lange Suchen nach Verwandten für die Gläubiger des Erblassers, eventuell auch für die Erben schlimm sein könne. Ist die Beschränkung des Erbfolgerechts im allgemeinen, der Zweck und der Grund der Maßregel erörtert, fo ergibt sich die Frage, wie weit diese Beschränkung zu gehen hat und welchen materiellen Gewinn man sich von ihr versprechen darf. Die Berechnung ergibt für das Jahr 1913 eine voraussichtliche Einnahme von etwa 20,65 Millionen Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/606>, abgerufen am 20.10.2024.