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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Gin Nachwort zum Metzer Katholikentag

Zu ihr kann man wohl den größten Teil der sogenannten "Kölner" rechnen.
Es sind alle jene Katholiken, die sich noch ein Restchen von Mündigkeit und
Selbständigkeit gegenüber den päpstlichen Eingriffen retten möchten, soweit es
ihnen ihre Pietät gegen den Heiligen Vater und -- die Furcht vor den De¬
nunziationen der "Integralen" nur irgendwie erlaubt: ein kleiner Teil auf dem
linken Flügel kämpft mit dem Mute der Verzweiflung um dieses erbärmliche
Restchen, das ihnen vorerst noch die Gnade und das "tolsran poeme" der
Kurie gelassen hat.

Doch wenn ihnen auch dieser Rest genommen werden sollte, dann werden
sie doch wohl alle mit verschwindenden Ausnahmen auf längerem oder kürzerem
Wege denselben psychologischen Prozeß durchmachen oder besser in sich herbei¬
führen, den Fürst Löwenstein in den oben wiedergegebenen Worten so prägnant
zum Ausdruck gebracht hat. Die anfängliche Kritik wird nach und nach, für
die einen schneller für die anderen langsamer zum Schweigen gebracht. Durch
geschickte, vieldeutig gewählte Worte erweckt die Kurie zunächst den Eindruck
scheinbarer Toleranz, an die sie aber in ihrem Handeln und in ihrem Ziel im
Grunde nie denkt, arbeitet langsam, aber um so sicherer an ihrer Aufgabe der
Entmündigung der Gläubigen. Auch der kritische Kopf gewöhnt sich bald an
Gedanken und Vorschriften, die ihm ursprünglich absurd und empörend erschienen:
schließlich macht er in begreiflichen Selbstbetrug aus der Not eine Tugend,
findet die Anordnungen und Erlasse des Papstes "annehmbar" "nicht unbe¬
rechtigt", sogar "vernünftig" und nach einer weiteren kleinen Weile, in der der
Geist gegen alle selbständige Regung immun geworden ist, findet er sie voller
Weisheit, Scharfsinn und Tiefe, preist den Papst als Retter in der geistigen
Not, entschuldigt sich zum Schlüsse und leistet ren- und demütig Abbitte dafür,
daß er nicht von Anfang an jedes Wort aus päpstlichen Munde mit "kindlichem"
Gehorsam und blinder Bewunderung entgegengenommen, ja daß er es gewagt
habe, über das, was von Rom kam, zu -- denken. Dieser psychologische
Prozeß vollzieht sich mit unbarmherziger Notwendigkeit in den Köpfen der
erdrückenden Mehrzahl der heutigen Katholiken: das Tempo mag verschieden
sein, die Gefühlstöne, die ihn begleiten,, mögen variieren von der jubelnden
Freude über die doch nach kurzem Schwanken glücklich erlangte Erkenntnis
der tiefen päpstlichen Weisheit bis zu der stilleren Zufriedenheit jener
"langsamer" begreifenden Naturen, denen es mit der Zeit doch gelingt,
ihren Geist über alle Bedenken zu betäuben. Sie gewöhnen sich an die
römischen Absurditäten, da ihnen ja doch die Kraft und die Ausdauer für
ernstere Konflikte fehlen. Im Prinzip aber handelt es sich überall um denselben
psychologischen Vorgang, der immer auch zu demselben Ergebnis führt: die
Annahme, Anerkennung und schließlich die praktische Anwendung und Durch¬
führung der päpstlichen Wünsche und Anordnungen. Über das Prinzip der kirch¬
lichen Autorität'als solches, sei hier nicht gestritten: der Katholik wird konsequenter¬
weise auf die Autorität nie verzichten können.


Gin Nachwort zum Metzer Katholikentag

Zu ihr kann man wohl den größten Teil der sogenannten „Kölner" rechnen.
Es sind alle jene Katholiken, die sich noch ein Restchen von Mündigkeit und
Selbständigkeit gegenüber den päpstlichen Eingriffen retten möchten, soweit es
ihnen ihre Pietät gegen den Heiligen Vater und — die Furcht vor den De¬
nunziationen der „Integralen" nur irgendwie erlaubt: ein kleiner Teil auf dem
linken Flügel kämpft mit dem Mute der Verzweiflung um dieses erbärmliche
Restchen, das ihnen vorerst noch die Gnade und das „tolsran poeme" der
Kurie gelassen hat.

Doch wenn ihnen auch dieser Rest genommen werden sollte, dann werden
sie doch wohl alle mit verschwindenden Ausnahmen auf längerem oder kürzerem
Wege denselben psychologischen Prozeß durchmachen oder besser in sich herbei¬
führen, den Fürst Löwenstein in den oben wiedergegebenen Worten so prägnant
zum Ausdruck gebracht hat. Die anfängliche Kritik wird nach und nach, für
die einen schneller für die anderen langsamer zum Schweigen gebracht. Durch
geschickte, vieldeutig gewählte Worte erweckt die Kurie zunächst den Eindruck
scheinbarer Toleranz, an die sie aber in ihrem Handeln und in ihrem Ziel im
Grunde nie denkt, arbeitet langsam, aber um so sicherer an ihrer Aufgabe der
Entmündigung der Gläubigen. Auch der kritische Kopf gewöhnt sich bald an
Gedanken und Vorschriften, die ihm ursprünglich absurd und empörend erschienen:
schließlich macht er in begreiflichen Selbstbetrug aus der Not eine Tugend,
findet die Anordnungen und Erlasse des Papstes „annehmbar" „nicht unbe¬
rechtigt", sogar „vernünftig" und nach einer weiteren kleinen Weile, in der der
Geist gegen alle selbständige Regung immun geworden ist, findet er sie voller
Weisheit, Scharfsinn und Tiefe, preist den Papst als Retter in der geistigen
Not, entschuldigt sich zum Schlüsse und leistet ren- und demütig Abbitte dafür,
daß er nicht von Anfang an jedes Wort aus päpstlichen Munde mit „kindlichem"
Gehorsam und blinder Bewunderung entgegengenommen, ja daß er es gewagt
habe, über das, was von Rom kam, zu — denken. Dieser psychologische
Prozeß vollzieht sich mit unbarmherziger Notwendigkeit in den Köpfen der
erdrückenden Mehrzahl der heutigen Katholiken: das Tempo mag verschieden
sein, die Gefühlstöne, die ihn begleiten,, mögen variieren von der jubelnden
Freude über die doch nach kurzem Schwanken glücklich erlangte Erkenntnis
der tiefen päpstlichen Weisheit bis zu der stilleren Zufriedenheit jener
„langsamer" begreifenden Naturen, denen es mit der Zeit doch gelingt,
ihren Geist über alle Bedenken zu betäuben. Sie gewöhnen sich an die
römischen Absurditäten, da ihnen ja doch die Kraft und die Ausdauer für
ernstere Konflikte fehlen. Im Prinzip aber handelt es sich überall um denselben
psychologischen Vorgang, der immer auch zu demselben Ergebnis führt: die
Annahme, Anerkennung und schließlich die praktische Anwendung und Durch¬
führung der päpstlichen Wünsche und Anordnungen. Über das Prinzip der kirch¬
lichen Autorität'als solches, sei hier nicht gestritten: der Katholik wird konsequenter¬
weise auf die Autorität nie verzichten können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/596>, abgerufen am 29.12.2024.