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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Lin Nachwort zum Metzer Katholikentag

Von hier aus gesehen erscheint nicht nur der immer wieder proklamierte,
im Grunde aber recht zweifelhafte "Sieg", sondern auch die Macht der "Kölner"
von fragwürdigen Wert. Moralisch oder vielmehr geistig haben die "Berliner"
gesiegt: denn Rom steht auf ihrer Seite, dieses Rom muß auf ihrer Seite
stehen, wenn es auch Bedenken trägt, gegen die "Kölner Richtung" Konsequenzen
von praktisch eingreifender Bedeutung zu ziehen. Wer aber weiß, was die
Bundesgenossenschaft Roms bedeutet, kann über den Ausgang nicht im Zweifel
fein. "Rom kann warten" und es wird gerne warten, bis jener oben ge¬
schilderte psychologische Prozeß vollständig abgelaufen und die gewünschte
Wirkung getan hat. Wie schwach ist jetzt schon die dialektische Position in der
Argumentation der "Kölner" geworden? Noch eine kleine Weile und Rom
zieht die Schraube fester an, und die Kölner werden dann sehr bald wie Fürst
Löwenstein erkennen und aussprechen, daß sie sich leider allzu "ängstlicher Klein¬
gläubigkeit" hingegeben haben, daß sie nur etwas "erschrocken" waren über
die "Kühnheit, mit der der Papst in so heikle Verhältnisse hineingegriffen."

Wenn nicht alle Zeichen trügen, so treiben die Dinge notwendig zu diesem
Ziele hin. Eine Unterbrechung oder gar Umkehrung dieser Entwicklung wäre
nur durch zwei Ursachen möglich: entweder kommt Rom von selbst zur Ver¬
nunft oder es wird mit Gewalt zur Vernunft gebracht. Ersteres ist in abseh¬
barer Zeit nicht zu erwarten. Der Tod Pius des Zehnten wird zwar von manchen:
mit Sehnsucht erwartet in der bestimmten Hoffnung, daß eine Wendung zum
Besseren eintreten werde. Wird aber die im Vatikan herrschende Ultrapartei
im kritischen Moment nicht alle Hebel in Bewegung setzen, um einen Mann
ihrer Richtung auf den päpstlichen Thron zu bringen? Würde wirklich das
System geändert werden, wenn man sich auch in der Form einige Mäßigung
auferlegen müßte? Auf eine Selbstbestimmung der Kurie werden noch Generationen
vergeblich warten dürfen.

So sieht denn die Lage des deutschen Katholizismus hoffnungsloser aus
wie je. Wohl gibt es eine stille Gemeinde von Geistlichen und Laien, die die
UnHaltbarkeit dieser Zustände längst erkannt, die immer zunehmende seelische
Erstarrung und den immer drohender heranrückenden geistigen Tod im katholischen
Leben mit tiefstem Schmerz bemerkt haben und über die jeder Menschenwürde ins Ge¬
sicht schlagenden Anmaßungen des Papstes wie über die feige Ohnmacht des
bis zur kompletten Entmündigung mürben offiziellen Katholizismus in Deutsch¬
land in gleicher Weise empört sind. Diese Gemeinde ist schon recht groß
geworden, jedenfalls nicht entfernt fo klein, wie sie von Leuten und Stellen, die
ein Interesse daran haben, sich und andere über die tatsächlichen Verhältnisse
hinwegzutäuschen, mit Vorliebe hingestellt wird. Und sie wächst von Tag zu
Tag: dafür sorgt niemand besser wie -- Rom selbst. Doch mag sie noch so
wachsen, es ist kaum in absehbarer Zeit zu erwarten, daß sie aus ihrer Stille
heraustritt, sich organisiert und nach außen hin irgendwie wirksam wird. Sie
kann es nicht aus tausenderlei Gründen, sie braucht es aber auch nicht, ja sie


Lin Nachwort zum Metzer Katholikentag

Von hier aus gesehen erscheint nicht nur der immer wieder proklamierte,
im Grunde aber recht zweifelhafte „Sieg", sondern auch die Macht der „Kölner"
von fragwürdigen Wert. Moralisch oder vielmehr geistig haben die „Berliner"
gesiegt: denn Rom steht auf ihrer Seite, dieses Rom muß auf ihrer Seite
stehen, wenn es auch Bedenken trägt, gegen die „Kölner Richtung" Konsequenzen
von praktisch eingreifender Bedeutung zu ziehen. Wer aber weiß, was die
Bundesgenossenschaft Roms bedeutet, kann über den Ausgang nicht im Zweifel
fein. „Rom kann warten" und es wird gerne warten, bis jener oben ge¬
schilderte psychologische Prozeß vollständig abgelaufen und die gewünschte
Wirkung getan hat. Wie schwach ist jetzt schon die dialektische Position in der
Argumentation der „Kölner" geworden? Noch eine kleine Weile und Rom
zieht die Schraube fester an, und die Kölner werden dann sehr bald wie Fürst
Löwenstein erkennen und aussprechen, daß sie sich leider allzu „ängstlicher Klein¬
gläubigkeit" hingegeben haben, daß sie nur etwas „erschrocken" waren über
die „Kühnheit, mit der der Papst in so heikle Verhältnisse hineingegriffen."

Wenn nicht alle Zeichen trügen, so treiben die Dinge notwendig zu diesem
Ziele hin. Eine Unterbrechung oder gar Umkehrung dieser Entwicklung wäre
nur durch zwei Ursachen möglich: entweder kommt Rom von selbst zur Ver¬
nunft oder es wird mit Gewalt zur Vernunft gebracht. Ersteres ist in abseh¬
barer Zeit nicht zu erwarten. Der Tod Pius des Zehnten wird zwar von manchen:
mit Sehnsucht erwartet in der bestimmten Hoffnung, daß eine Wendung zum
Besseren eintreten werde. Wird aber die im Vatikan herrschende Ultrapartei
im kritischen Moment nicht alle Hebel in Bewegung setzen, um einen Mann
ihrer Richtung auf den päpstlichen Thron zu bringen? Würde wirklich das
System geändert werden, wenn man sich auch in der Form einige Mäßigung
auferlegen müßte? Auf eine Selbstbestimmung der Kurie werden noch Generationen
vergeblich warten dürfen.

So sieht denn die Lage des deutschen Katholizismus hoffnungsloser aus
wie je. Wohl gibt es eine stille Gemeinde von Geistlichen und Laien, die die
UnHaltbarkeit dieser Zustände längst erkannt, die immer zunehmende seelische
Erstarrung und den immer drohender heranrückenden geistigen Tod im katholischen
Leben mit tiefstem Schmerz bemerkt haben und über die jeder Menschenwürde ins Ge¬
sicht schlagenden Anmaßungen des Papstes wie über die feige Ohnmacht des
bis zur kompletten Entmündigung mürben offiziellen Katholizismus in Deutsch¬
land in gleicher Weise empört sind. Diese Gemeinde ist schon recht groß
geworden, jedenfalls nicht entfernt fo klein, wie sie von Leuten und Stellen, die
ein Interesse daran haben, sich und andere über die tatsächlichen Verhältnisse
hinwegzutäuschen, mit Vorliebe hingestellt wird. Und sie wächst von Tag zu
Tag: dafür sorgt niemand besser wie — Rom selbst. Doch mag sie noch so
wachsen, es ist kaum in absehbarer Zeit zu erwarten, daß sie aus ihrer Stille
heraustritt, sich organisiert und nach außen hin irgendwie wirksam wird. Sie
kann es nicht aus tausenderlei Gründen, sie braucht es aber auch nicht, ja sie


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[0597] Lin Nachwort zum Metzer Katholikentag Von hier aus gesehen erscheint nicht nur der immer wieder proklamierte, im Grunde aber recht zweifelhafte „Sieg", sondern auch die Macht der „Kölner" von fragwürdigen Wert. Moralisch oder vielmehr geistig haben die „Berliner" gesiegt: denn Rom steht auf ihrer Seite, dieses Rom muß auf ihrer Seite stehen, wenn es auch Bedenken trägt, gegen die „Kölner Richtung" Konsequenzen von praktisch eingreifender Bedeutung zu ziehen. Wer aber weiß, was die Bundesgenossenschaft Roms bedeutet, kann über den Ausgang nicht im Zweifel fein. „Rom kann warten" und es wird gerne warten, bis jener oben ge¬ schilderte psychologische Prozeß vollständig abgelaufen und die gewünschte Wirkung getan hat. Wie schwach ist jetzt schon die dialektische Position in der Argumentation der „Kölner" geworden? Noch eine kleine Weile und Rom zieht die Schraube fester an, und die Kölner werden dann sehr bald wie Fürst Löwenstein erkennen und aussprechen, daß sie sich leider allzu „ängstlicher Klein¬ gläubigkeit" hingegeben haben, daß sie nur etwas „erschrocken" waren über die „Kühnheit, mit der der Papst in so heikle Verhältnisse hineingegriffen." Wenn nicht alle Zeichen trügen, so treiben die Dinge notwendig zu diesem Ziele hin. Eine Unterbrechung oder gar Umkehrung dieser Entwicklung wäre nur durch zwei Ursachen möglich: entweder kommt Rom von selbst zur Ver¬ nunft oder es wird mit Gewalt zur Vernunft gebracht. Ersteres ist in abseh¬ barer Zeit nicht zu erwarten. Der Tod Pius des Zehnten wird zwar von manchen: mit Sehnsucht erwartet in der bestimmten Hoffnung, daß eine Wendung zum Besseren eintreten werde. Wird aber die im Vatikan herrschende Ultrapartei im kritischen Moment nicht alle Hebel in Bewegung setzen, um einen Mann ihrer Richtung auf den päpstlichen Thron zu bringen? Würde wirklich das System geändert werden, wenn man sich auch in der Form einige Mäßigung auferlegen müßte? Auf eine Selbstbestimmung der Kurie werden noch Generationen vergeblich warten dürfen. So sieht denn die Lage des deutschen Katholizismus hoffnungsloser aus wie je. Wohl gibt es eine stille Gemeinde von Geistlichen und Laien, die die UnHaltbarkeit dieser Zustände längst erkannt, die immer zunehmende seelische Erstarrung und den immer drohender heranrückenden geistigen Tod im katholischen Leben mit tiefstem Schmerz bemerkt haben und über die jeder Menschenwürde ins Ge¬ sicht schlagenden Anmaßungen des Papstes wie über die feige Ohnmacht des bis zur kompletten Entmündigung mürben offiziellen Katholizismus in Deutsch¬ land in gleicher Weise empört sind. Diese Gemeinde ist schon recht groß geworden, jedenfalls nicht entfernt fo klein, wie sie von Leuten und Stellen, die ein Interesse daran haben, sich und andere über die tatsächlichen Verhältnisse hinwegzutäuschen, mit Vorliebe hingestellt wird. Und sie wächst von Tag zu Tag: dafür sorgt niemand besser wie — Rom selbst. Doch mag sie noch so wachsen, es ist kaum in absehbarer Zeit zu erwarten, daß sie aus ihrer Stille heraustritt, sich organisiert und nach außen hin irgendwie wirksam wird. Sie kann es nicht aus tausenderlei Gründen, sie braucht es aber auch nicht, ja sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/597>, abgerufen am 19.10.2024.