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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft

Kriegführende kompetent erscheint, gegebenenfalls sein Imperium über die
fremden Untertanen auszudehnen, sowie auch die Grenzen dieser Ausdehnung
und ihr Inhalt durch völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, durch Vereinbarungen
und Verträge festgesetzt sind."

Von dem Prinzip, daß nur Staaten Völkerrechtssubjekte sind, will
Heilborn nur die eine, hier interessierende Ausnahme anerkennen, daß nach
dem auf der Haager Friedenskonferenz von 1907 entworfenen und bisher
Entwurf gebliebenen Abkommen über Errichtung eines internationalen Prisen¬
gerichtshofs selbst neutrale Privatpersonen und unter Umständen sogar An¬
gehörige des Feindes ein unmittelbares Recht auf Anrufung des Prisengerichts¬
hofs haben sollen. Damit sei in dem Bewußtsein, etwas Neues zu schaffen,
ein völkerrechtliches Recht der Privatpersonen begründet, aber nur mit Verbind¬
lichkeit für die vereinbarenden Staaten. Auch von Liszt erklärt: "In Prisen¬
sachen ist künftig auch der einzelne Staatsbürger Subjekt des Völkerrechts .. .
Der Anspruch ist schlechtweg ein völkerrechtlicher Anspruch, auf das Völkerrecht
gestützt und gegen ein Subjekt des Völkerrechts gerichtet. Wer aber Trüger
eines völkerrechtlichen Anspruchs sein kann, ist selbst Subjekt des Völkerrechts."
Dagegen konstruiert Schücking (Staatenverband der Haager Konferenzen 1912):
"Das Individuum bekommt damit allerdings einen völkerrechtlichen Anspruch,
ohne dadurch schlechthin ein Rechtssubjekt des Völkerrechts zu werden. Dieser
Anspruch zielt ab auf Rechtsschutz und richtet sich gar nicht an den Nehmestaat,
sondern an den Internationalen Prisenhof als internationales Organ derjenigen
Staaten, die diesen Gerichtshof vertragsmäßig geschaffen haben. Die Gewalt,
die (den einzelnen Angehörigen der beteiligten Staaten) diese Rechtsstellung
verleiht, steht nicht über der Gewalt ihres Heimatsstaates. Der kündbare
Vertragswille des Heimatsstaates hat den Privaten den Anspruch auf Rechts¬
schutz vor dem internationalen Prisenhof gegeben und kann ihnen diesen Anspruch
wieder entziehen. Der Anspruch wird dem Individuum nicht verbürgt durch
ein höheres politisches Gemeinwesen, zu dem sich die Kulturstaaten zusammen¬
geschlossen hätten."




Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft

Kriegführende kompetent erscheint, gegebenenfalls sein Imperium über die
fremden Untertanen auszudehnen, sowie auch die Grenzen dieser Ausdehnung
und ihr Inhalt durch völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, durch Vereinbarungen
und Verträge festgesetzt sind."

Von dem Prinzip, daß nur Staaten Völkerrechtssubjekte sind, will
Heilborn nur die eine, hier interessierende Ausnahme anerkennen, daß nach
dem auf der Haager Friedenskonferenz von 1907 entworfenen und bisher
Entwurf gebliebenen Abkommen über Errichtung eines internationalen Prisen¬
gerichtshofs selbst neutrale Privatpersonen und unter Umständen sogar An¬
gehörige des Feindes ein unmittelbares Recht auf Anrufung des Prisengerichts¬
hofs haben sollen. Damit sei in dem Bewußtsein, etwas Neues zu schaffen,
ein völkerrechtliches Recht der Privatpersonen begründet, aber nur mit Verbind¬
lichkeit für die vereinbarenden Staaten. Auch von Liszt erklärt: „In Prisen¬
sachen ist künftig auch der einzelne Staatsbürger Subjekt des Völkerrechts .. .
Der Anspruch ist schlechtweg ein völkerrechtlicher Anspruch, auf das Völkerrecht
gestützt und gegen ein Subjekt des Völkerrechts gerichtet. Wer aber Trüger
eines völkerrechtlichen Anspruchs sein kann, ist selbst Subjekt des Völkerrechts."
Dagegen konstruiert Schücking (Staatenverband der Haager Konferenzen 1912):
„Das Individuum bekommt damit allerdings einen völkerrechtlichen Anspruch,
ohne dadurch schlechthin ein Rechtssubjekt des Völkerrechts zu werden. Dieser
Anspruch zielt ab auf Rechtsschutz und richtet sich gar nicht an den Nehmestaat,
sondern an den Internationalen Prisenhof als internationales Organ derjenigen
Staaten, die diesen Gerichtshof vertragsmäßig geschaffen haben. Die Gewalt,
die (den einzelnen Angehörigen der beteiligten Staaten) diese Rechtsstellung
verleiht, steht nicht über der Gewalt ihres Heimatsstaates. Der kündbare
Vertragswille des Heimatsstaates hat den Privaten den Anspruch auf Rechts¬
schutz vor dem internationalen Prisenhof gegeben und kann ihnen diesen Anspruch
wieder entziehen. Der Anspruch wird dem Individuum nicht verbürgt durch
ein höheres politisches Gemeinwesen, zu dem sich die Kulturstaaten zusammen¬
geschlossen hätten."




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[0554] Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft Kriegführende kompetent erscheint, gegebenenfalls sein Imperium über die fremden Untertanen auszudehnen, sowie auch die Grenzen dieser Ausdehnung und ihr Inhalt durch völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, durch Vereinbarungen und Verträge festgesetzt sind." Von dem Prinzip, daß nur Staaten Völkerrechtssubjekte sind, will Heilborn nur die eine, hier interessierende Ausnahme anerkennen, daß nach dem auf der Haager Friedenskonferenz von 1907 entworfenen und bisher Entwurf gebliebenen Abkommen über Errichtung eines internationalen Prisen¬ gerichtshofs selbst neutrale Privatpersonen und unter Umständen sogar An¬ gehörige des Feindes ein unmittelbares Recht auf Anrufung des Prisengerichts¬ hofs haben sollen. Damit sei in dem Bewußtsein, etwas Neues zu schaffen, ein völkerrechtliches Recht der Privatpersonen begründet, aber nur mit Verbind¬ lichkeit für die vereinbarenden Staaten. Auch von Liszt erklärt: „In Prisen¬ sachen ist künftig auch der einzelne Staatsbürger Subjekt des Völkerrechts .. . Der Anspruch ist schlechtweg ein völkerrechtlicher Anspruch, auf das Völkerrecht gestützt und gegen ein Subjekt des Völkerrechts gerichtet. Wer aber Trüger eines völkerrechtlichen Anspruchs sein kann, ist selbst Subjekt des Völkerrechts." Dagegen konstruiert Schücking (Staatenverband der Haager Konferenzen 1912): „Das Individuum bekommt damit allerdings einen völkerrechtlichen Anspruch, ohne dadurch schlechthin ein Rechtssubjekt des Völkerrechts zu werden. Dieser Anspruch zielt ab auf Rechtsschutz und richtet sich gar nicht an den Nehmestaat, sondern an den Internationalen Prisenhof als internationales Organ derjenigen Staaten, die diesen Gerichtshof vertragsmäßig geschaffen haben. Die Gewalt, die (den einzelnen Angehörigen der beteiligten Staaten) diese Rechtsstellung verleiht, steht nicht über der Gewalt ihres Heimatsstaates. Der kündbare Vertragswille des Heimatsstaates hat den Privaten den Anspruch auf Rechts¬ schutz vor dem internationalen Prisenhof gegeben und kann ihnen diesen Anspruch wieder entziehen. Der Anspruch wird dem Individuum nicht verbürgt durch ein höheres politisches Gemeinwesen, zu dem sich die Kulturstaaten zusammen¬ geschlossen hätten."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/554>, abgerufen am 19.10.2024.