Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sturm

"Die Brennerei ist stehen geblieben!" berichtete Mara weiter. Die kleine
runde Dame sprang auf und schlug entgeistert die Hände zusammen: "Dann
ist Gottes Strafgericht noch nicht zu Ende. Dann hat er sich die Brennerei
bis zuletzt aufgespart. Wehe euch, ihr Borkes! Was wird noch alles über euch
hereinbrechen!"

"Beruhige dich, Tante. Es ist schon schlimm genug, was passiert ist. Ich
fahre natürlich noch heute zurück. Jetzt will ich Mama vorbereiten. Bitte,
mäßige dich!" Mit diesen bestimmten Worten verließ Mara das Zimmer.

Wie von der Tarantel gestochen rannte Gräfin Schildberg hin und her.
An Lena richtete sie ihre Worte, an Madelung, an Fräulein Frey, die von
oben heruntergeeilt war. Sie alle machte sie zu Kronzeugen ihrer Schwüre,
daß nur ihr allein die Rettung der Damen zu verdanken sei: "Und jetzt sagt
sie -- mäßige dich!"

"Und wenn es nicht wahr ist, was ich ja hoffe, -- daß jene Suppe gekocht
worden ist -- wer anders als ich verdient Dank dafür? Meine Predigten
haben die Leute erst zur Sittlichkeit bekehrt. Ohne nieine Andachten wäre es
ganz gewiß dazu gekommen. Es fallt mir nicht ein, mich zu mäßigen! Wie
heißt es -- Lukä 8. 16:

"Niemand aber zündet ein Licht an und bedeckt es mit einem Gefäß, oder
setzt es unter eine Bank; sondern er setzt es auf einen Leuchter, auf daß, wer
hineingehet, das Licht sieht."

"Das paßte ihr jetzt, daß ich mein Licht verstecke. . ."

So redete die Gräfin in der Richtung der Tür, hinter der Mara ver¬
schwunden war.

"Eingebildete, dicke Fummel!" knurrte Lena, die Magd, ärgerlich, nahm
den Korb und ging hinauf in ihre Küche.

Auch Madelung entzog sich den frommen Zitaten der aufgeregten Dame.
Nur Adele Frey blieb da und nickte mit ihrem verkümmerten Hühnergesicht bei¬
pflichtend, so oft ein neuer Bibelvers Zeugnis von der Gräfin vorausahnenden
Walten ablegen helfen mußte.

Der Maler aber saß auf dem Fensterbrett seines Zimmers, das ihm oben
in der Küsterwohnung angewiesen war und sann vor sich hin.

Er achtete nicht auf das Panorama, das sich vor ihm ausbreitete. Das
weite Meer war zu sehen, von dessen unbewegter bleiern schimmernder Fläche
jetzt die ersten Sonnenstrahlen blendend zurückgeworfen wurden. Rechts im
Vordergrund belebte der Hafen mit seinem Mastenwald das Bild. Silberige
Möwen blitzten in fernem Fluge. Es war ein Blick, angetan, Sehnsucht zu er>
wecken.

Aber der innere Zwiespalt, in dem sich Madelung befand, ließ ihn nicht
zum Bewußtsein der herrlichen Aussicht kommen.

Was sollte er tun? Mara in die Gefahr zurückbegleiten und seine kostbare
Beute abermals dabei aufs Spiel setzen? Denn wo fand er wohl für sie einen


Sturm

„Die Brennerei ist stehen geblieben!" berichtete Mara weiter. Die kleine
runde Dame sprang auf und schlug entgeistert die Hände zusammen: „Dann
ist Gottes Strafgericht noch nicht zu Ende. Dann hat er sich die Brennerei
bis zuletzt aufgespart. Wehe euch, ihr Borkes! Was wird noch alles über euch
hereinbrechen!"

„Beruhige dich, Tante. Es ist schon schlimm genug, was passiert ist. Ich
fahre natürlich noch heute zurück. Jetzt will ich Mama vorbereiten. Bitte,
mäßige dich!" Mit diesen bestimmten Worten verließ Mara das Zimmer.

Wie von der Tarantel gestochen rannte Gräfin Schildberg hin und her.
An Lena richtete sie ihre Worte, an Madelung, an Fräulein Frey, die von
oben heruntergeeilt war. Sie alle machte sie zu Kronzeugen ihrer Schwüre,
daß nur ihr allein die Rettung der Damen zu verdanken sei: „Und jetzt sagt
sie — mäßige dich!"

„Und wenn es nicht wahr ist, was ich ja hoffe, — daß jene Suppe gekocht
worden ist — wer anders als ich verdient Dank dafür? Meine Predigten
haben die Leute erst zur Sittlichkeit bekehrt. Ohne nieine Andachten wäre es
ganz gewiß dazu gekommen. Es fallt mir nicht ein, mich zu mäßigen! Wie
heißt es — Lukä 8. 16:

„Niemand aber zündet ein Licht an und bedeckt es mit einem Gefäß, oder
setzt es unter eine Bank; sondern er setzt es auf einen Leuchter, auf daß, wer
hineingehet, das Licht sieht."

„Das paßte ihr jetzt, daß ich mein Licht verstecke. . ."

So redete die Gräfin in der Richtung der Tür, hinter der Mara ver¬
schwunden war.

„Eingebildete, dicke Fummel!" knurrte Lena, die Magd, ärgerlich, nahm
den Korb und ging hinauf in ihre Küche.

Auch Madelung entzog sich den frommen Zitaten der aufgeregten Dame.
Nur Adele Frey blieb da und nickte mit ihrem verkümmerten Hühnergesicht bei¬
pflichtend, so oft ein neuer Bibelvers Zeugnis von der Gräfin vorausahnenden
Walten ablegen helfen mußte.

Der Maler aber saß auf dem Fensterbrett seines Zimmers, das ihm oben
in der Küsterwohnung angewiesen war und sann vor sich hin.

Er achtete nicht auf das Panorama, das sich vor ihm ausbreitete. Das
weite Meer war zu sehen, von dessen unbewegter bleiern schimmernder Fläche
jetzt die ersten Sonnenstrahlen blendend zurückgeworfen wurden. Rechts im
Vordergrund belebte der Hafen mit seinem Mastenwald das Bild. Silberige
Möwen blitzten in fernem Fluge. Es war ein Blick, angetan, Sehnsucht zu er>
wecken.

Aber der innere Zwiespalt, in dem sich Madelung befand, ließ ihn nicht
zum Bewußtsein der herrlichen Aussicht kommen.

Was sollte er tun? Mara in die Gefahr zurückbegleiten und seine kostbare
Beute abermals dabei aufs Spiel setzen? Denn wo fand er wohl für sie einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326691"/>
          <fw type="header" place="top"> Sturm</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2532"> &#x201E;Die Brennerei ist stehen geblieben!" berichtete Mara weiter. Die kleine<lb/>
runde Dame sprang auf und schlug entgeistert die Hände zusammen: &#x201E;Dann<lb/>
ist Gottes Strafgericht noch nicht zu Ende. Dann hat er sich die Brennerei<lb/>
bis zuletzt aufgespart. Wehe euch, ihr Borkes! Was wird noch alles über euch<lb/>
hereinbrechen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2533"> &#x201E;Beruhige dich, Tante. Es ist schon schlimm genug, was passiert ist. Ich<lb/>
fahre natürlich noch heute zurück. Jetzt will ich Mama vorbereiten. Bitte,<lb/>
mäßige dich!" Mit diesen bestimmten Worten verließ Mara das Zimmer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2534"> Wie von der Tarantel gestochen rannte Gräfin Schildberg hin und her.<lb/>
An Lena richtete sie ihre Worte, an Madelung, an Fräulein Frey, die von<lb/>
oben heruntergeeilt war. Sie alle machte sie zu Kronzeugen ihrer Schwüre,<lb/>
daß nur ihr allein die Rettung der Damen zu verdanken sei: &#x201E;Und jetzt sagt<lb/>
sie &#x2014; mäßige dich!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2535"> &#x201E;Und wenn es nicht wahr ist, was ich ja hoffe, &#x2014; daß jene Suppe gekocht<lb/>
worden ist &#x2014; wer anders als ich verdient Dank dafür? Meine Predigten<lb/>
haben die Leute erst zur Sittlichkeit bekehrt. Ohne nieine Andachten wäre es<lb/>
ganz gewiß dazu gekommen. Es fallt mir nicht ein, mich zu mäßigen! Wie<lb/>
heißt es &#x2014; Lukä 8. 16:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2536"> &#x201E;Niemand aber zündet ein Licht an und bedeckt es mit einem Gefäß, oder<lb/>
setzt es unter eine Bank; sondern er setzt es auf einen Leuchter, auf daß, wer<lb/>
hineingehet, das Licht sieht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2537"> &#x201E;Das paßte ihr jetzt, daß ich mein Licht verstecke. . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2538"> So redete die Gräfin in der Richtung der Tür, hinter der Mara ver¬<lb/>
schwunden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2539"> &#x201E;Eingebildete, dicke Fummel!" knurrte Lena, die Magd, ärgerlich, nahm<lb/>
den Korb und ging hinauf in ihre Küche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2540"> Auch Madelung entzog sich den frommen Zitaten der aufgeregten Dame.<lb/>
Nur Adele Frey blieb da und nickte mit ihrem verkümmerten Hühnergesicht bei¬<lb/>
pflichtend, so oft ein neuer Bibelvers Zeugnis von der Gräfin vorausahnenden<lb/>
Walten ablegen helfen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2541"> Der Maler aber saß auf dem Fensterbrett seines Zimmers, das ihm oben<lb/>
in der Küsterwohnung angewiesen war und sann vor sich hin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2542"> Er achtete nicht auf das Panorama, das sich vor ihm ausbreitete. Das<lb/>
weite Meer war zu sehen, von dessen unbewegter bleiern schimmernder Fläche<lb/>
jetzt die ersten Sonnenstrahlen blendend zurückgeworfen wurden. Rechts im<lb/>
Vordergrund belebte der Hafen mit seinem Mastenwald das Bild. Silberige<lb/>
Möwen blitzten in fernem Fluge. Es war ein Blick, angetan, Sehnsucht zu er&gt;<lb/>
wecken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2543"> Aber der innere Zwiespalt, in dem sich Madelung befand, ließ ihn nicht<lb/>
zum Bewußtsein der herrlichen Aussicht kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2544" next="#ID_2545"> Was sollte er tun? Mara in die Gefahr zurückbegleiten und seine kostbare<lb/>
Beute abermals dabei aufs Spiel setzen? Denn wo fand er wohl für sie einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] Sturm „Die Brennerei ist stehen geblieben!" berichtete Mara weiter. Die kleine runde Dame sprang auf und schlug entgeistert die Hände zusammen: „Dann ist Gottes Strafgericht noch nicht zu Ende. Dann hat er sich die Brennerei bis zuletzt aufgespart. Wehe euch, ihr Borkes! Was wird noch alles über euch hereinbrechen!" „Beruhige dich, Tante. Es ist schon schlimm genug, was passiert ist. Ich fahre natürlich noch heute zurück. Jetzt will ich Mama vorbereiten. Bitte, mäßige dich!" Mit diesen bestimmten Worten verließ Mara das Zimmer. Wie von der Tarantel gestochen rannte Gräfin Schildberg hin und her. An Lena richtete sie ihre Worte, an Madelung, an Fräulein Frey, die von oben heruntergeeilt war. Sie alle machte sie zu Kronzeugen ihrer Schwüre, daß nur ihr allein die Rettung der Damen zu verdanken sei: „Und jetzt sagt sie — mäßige dich!" „Und wenn es nicht wahr ist, was ich ja hoffe, — daß jene Suppe gekocht worden ist — wer anders als ich verdient Dank dafür? Meine Predigten haben die Leute erst zur Sittlichkeit bekehrt. Ohne nieine Andachten wäre es ganz gewiß dazu gekommen. Es fallt mir nicht ein, mich zu mäßigen! Wie heißt es — Lukä 8. 16: „Niemand aber zündet ein Licht an und bedeckt es mit einem Gefäß, oder setzt es unter eine Bank; sondern er setzt es auf einen Leuchter, auf daß, wer hineingehet, das Licht sieht." „Das paßte ihr jetzt, daß ich mein Licht verstecke. . ." So redete die Gräfin in der Richtung der Tür, hinter der Mara ver¬ schwunden war. „Eingebildete, dicke Fummel!" knurrte Lena, die Magd, ärgerlich, nahm den Korb und ging hinauf in ihre Küche. Auch Madelung entzog sich den frommen Zitaten der aufgeregten Dame. Nur Adele Frey blieb da und nickte mit ihrem verkümmerten Hühnergesicht bei¬ pflichtend, so oft ein neuer Bibelvers Zeugnis von der Gräfin vorausahnenden Walten ablegen helfen mußte. Der Maler aber saß auf dem Fensterbrett seines Zimmers, das ihm oben in der Küsterwohnung angewiesen war und sann vor sich hin. Er achtete nicht auf das Panorama, das sich vor ihm ausbreitete. Das weite Meer war zu sehen, von dessen unbewegter bleiern schimmernder Fläche jetzt die ersten Sonnenstrahlen blendend zurückgeworfen wurden. Rechts im Vordergrund belebte der Hafen mit seinem Mastenwald das Bild. Silberige Möwen blitzten in fernem Fluge. Es war ein Blick, angetan, Sehnsucht zu er> wecken. Aber der innere Zwiespalt, in dem sich Madelung befand, ließ ihn nicht zum Bewußtsein der herrlichen Aussicht kommen. Was sollte er tun? Mara in die Gefahr zurückbegleiten und seine kostbare Beute abermals dabei aufs Spiel setzen? Denn wo fand er wohl für sie einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/521>, abgerufen am 21.10.2024.