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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Blick sah sie den Reitern in das braune Gesicht und schimpfte weiter. Sie
wußte allerdings, daß die Kosaken kein Estnisch verstanden.

In aller Eile erledigte sie ihre Einkäufe und rannte nach Hause, um als
erste die Hiobsbotschaft berichten zu können. Das geschah der Gräfin Schild¬
berg recht. Nun waren ihre vielen Kleider und Pelze alle mit verbrannt. "Kein
Stück hat sie weggeschenkt. Die Judenweiber und die Tataren hat sie sich ins
Haus bestellt zum Termin, und hat mit ihnen um jeden Lumpen gefeilscht, das
dicke Nimmersatt!"

Wie eine Bombe platzte Lena in die behagliche Frühstücksstimmung hinein,
mit der die Damen aus Borküll am Kaffeetisch saßen. Sie ließ den proviant¬
strotzenden Korb neben sich stehen, während sie die bösen Nachrichten zum
besten gab.

Zum Glück hörte Baronin Clementine nichts davon. Sie hatte nach den
Strapazen der Fahrt ohne Pulver Schlaf gefunden und war noch nicht
erwacht. Und Mara behielt ihre Ruhe. Sie rechnete gleich damit, daß die
Nachrichten übertrieben waren, und, wie sehr auch Schrecken und Angst auf sie
einstürmten -- bevor sie Gewißheit hatte, ergab sie sich dem Schmerze
nicht. Deshalb ließ sie Lena weiter schwatzen und stürmte die Treppe zu der
Küsterwohnung hinauf, um zu telephonieren.

"Gott selbst hat mich unter seinen Schutz genommen!" Die Gräfin Schild¬
berg hob ihre kurzen fleischigen Arme und drehte ihre Augen gen Himmel.

"Ja -- aber die Kleider sind alle verbrannt!" sagte Lena schadenfroh.
"Und was nicht verbrannte, ist gestohlen. Da war ein Bauernweib auf dem
Markt, die, wo Gänse verkauft, die hatt 'n Pelz an, der sah aber akkurat so
aus, wie der Frau Gräfin ihrer..."

"Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen!" seufzte Tante Eme-
renzia demutsvoll, um aber dann in raschem Besinnen triumphierend hinzuzu¬
setzen: "Meiner kanns nicht sein. Meinen Pelz hab ich ja mit!"

Da holte Lena zum letzten Trumpf aus und erzählte die Geschichte von der
Henkerssuppe.

"Was -- die eigenen Ohren und die eigene Nase?" Gräfin Emerenzia
griff rasch zum Taschentuch und wandte sich ab.

Madelung aber nahm das Wort: "Branntwein und Fleischnahrung! Hier
hat man ein warnendes Beispiel, wie sie den Menschen zur Bestie machen!"

Da kam Mara von oben zurück: "Ich habe eben mit Papa gesprochen.
Er ist auf Sternburg. Sie sind alle am Leben. Nur Wolff Joachim ist ver>
würdet. Aber von Borküll steht nichts mehr. Es ist niedergebrannt bis auf
die Grundmauern. . . ."

"Gott sei Dank, daß mich die Brennerei nun nicht mehr ärgert!" Tante
Emerenzia drehte von neuem ihre Augen dankbar gen Himmel. Sie dachte an
Freys Mitteilung, daß ihre Hypotheken verkauft waren.


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Blick sah sie den Reitern in das braune Gesicht und schimpfte weiter. Sie
wußte allerdings, daß die Kosaken kein Estnisch verstanden.

In aller Eile erledigte sie ihre Einkäufe und rannte nach Hause, um als
erste die Hiobsbotschaft berichten zu können. Das geschah der Gräfin Schild¬
berg recht. Nun waren ihre vielen Kleider und Pelze alle mit verbrannt. „Kein
Stück hat sie weggeschenkt. Die Judenweiber und die Tataren hat sie sich ins
Haus bestellt zum Termin, und hat mit ihnen um jeden Lumpen gefeilscht, das
dicke Nimmersatt!"

Wie eine Bombe platzte Lena in die behagliche Frühstücksstimmung hinein,
mit der die Damen aus Borküll am Kaffeetisch saßen. Sie ließ den proviant¬
strotzenden Korb neben sich stehen, während sie die bösen Nachrichten zum
besten gab.

Zum Glück hörte Baronin Clementine nichts davon. Sie hatte nach den
Strapazen der Fahrt ohne Pulver Schlaf gefunden und war noch nicht
erwacht. Und Mara behielt ihre Ruhe. Sie rechnete gleich damit, daß die
Nachrichten übertrieben waren, und, wie sehr auch Schrecken und Angst auf sie
einstürmten — bevor sie Gewißheit hatte, ergab sie sich dem Schmerze
nicht. Deshalb ließ sie Lena weiter schwatzen und stürmte die Treppe zu der
Küsterwohnung hinauf, um zu telephonieren.

„Gott selbst hat mich unter seinen Schutz genommen!" Die Gräfin Schild¬
berg hob ihre kurzen fleischigen Arme und drehte ihre Augen gen Himmel.

„Ja — aber die Kleider sind alle verbrannt!" sagte Lena schadenfroh.
„Und was nicht verbrannte, ist gestohlen. Da war ein Bauernweib auf dem
Markt, die, wo Gänse verkauft, die hatt 'n Pelz an, der sah aber akkurat so
aus, wie der Frau Gräfin ihrer..."

„Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen!" seufzte Tante Eme-
renzia demutsvoll, um aber dann in raschem Besinnen triumphierend hinzuzu¬
setzen: „Meiner kanns nicht sein. Meinen Pelz hab ich ja mit!"

Da holte Lena zum letzten Trumpf aus und erzählte die Geschichte von der
Henkerssuppe.

„Was — die eigenen Ohren und die eigene Nase?" Gräfin Emerenzia
griff rasch zum Taschentuch und wandte sich ab.

Madelung aber nahm das Wort: „Branntwein und Fleischnahrung! Hier
hat man ein warnendes Beispiel, wie sie den Menschen zur Bestie machen!"

Da kam Mara von oben zurück: „Ich habe eben mit Papa gesprochen.
Er ist auf Sternburg. Sie sind alle am Leben. Nur Wolff Joachim ist ver>
würdet. Aber von Borküll steht nichts mehr. Es ist niedergebrannt bis auf
die Grundmauern. . . ."

„Gott sei Dank, daß mich die Brennerei nun nicht mehr ärgert!" Tante
Emerenzia drehte von neuem ihre Augen dankbar gen Himmel. Sie dachte an
Freys Mitteilung, daß ihre Hypotheken verkauft waren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/520>, abgerufen am 20.10.2024.