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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

sicheren Ort, hier, wo der Brand der Revolution an allen Ecken und Enden
aufflammte. Mara im Stich lassen und damit die lichte Zukunft gefährden, in
der er sich als Ehemann des reichen und vornehmen Mädchens eine bedeutende
Rolle spielen sah? Das schien ihm ebenso töricht.

Was brauchte Mara überhaupt aufs Land zurückzukehren! Sie konnte doch
dort nicht helfen. "Ich werde ihr das vorstellen," dachte er und erinnerte sich
an den Plan, den sie in den ersten Tagen ihrer Freundschaft einmal erwogen
hatten. Sie sollte nach Deutschland gehen, um dort an irgendeiner kleineren
Universität Vorlesungen zu hören. Er selber wollte sich am gleichen Ort ein
Atelier einrichten. Sie würden dann gemeinsame Wirtschaft führen, hatte er
geträumt und dabei an Zürich und München gedacht, wo dergleichen Verhältnisse
gang und gäbe sein sollten. Von diesem Traum hatte er aber Mara nichts
gesagt. Seit dem Tage, da sie ihm ihr Herz offenbarte, war er nicht mehr auf
jenen Plan zurückgekommen, denn nun erfüllte die offizielle Heirat alle seine
Wünsche.

Unter dem Eindruck der letzten Vorgänge -- das sah er selber ein --
mußte die Eheschließung verschoben werden. Aber ließe sich nicht jetzt erst
recht jenes erste Projekt verwirklichen? Es galt, Mara für einen längeren
Aufenthalt in Deutschland zu gewinnen, und zwar mußte sie sich sofort dazu
entschließen.

Mit diesem Vorsatz ging er wieder ins Schildbergsche Quartier hinunter
und bat Mara um eine Unterredung unter vier Augen.

Das Eßzimmer war leer. Gräfin Emerenzia war nach Katharinental ins
adlige Marienstift gefahren, um dort von dem Wunder ihrer Rettung und vor
allen Dingen von ihrer segensreichen Mitwirkung dabei zu berichten.

"Ich habe Mama nichts von Wolfs Joachims Verwundung erzählt. Sie
ist Gott sei Dank ungefährlicher, als man anfangs dachte. Doktor Schlosser hat
die beste Hoffnung. Nun liegt sie beruhigt im Bett. Ich habe sie lange nicht so
zufrieden gesehen. Sie hat Borküll nie geliebt und ist ganz damit einver¬
standen, daß sie vor der Hand in Neval bleibt. Die großen Räume hatten
sie schon immer beängstigt. Hier steht sie keine Gespenster hinter sich. Ich
glaube, ich kann sie ganz ruhig unter Fräulein Ateles Obhut lassen!"

Mara war schon bei den Reisevorbereitungen, als sie so zu Madelung
sprach. Der Maler räusperte sich: "Nur einen zwingenden Grund gibt es,
der dich zu dieser Reise bestimmen könnte..."

"Nur einen? Ich begreife dich -- ich begreife Sie nicht! Tausend gibt
es. Der kranke Bruder, der abgebrannte Hof, die obdachlosen Leute, Paul..."

"Und ich? An mich denkst du nicht! Ich dachte du würdest jetzt unsere
Pläne der Verwirklichung zuführen. Mit deinem Vater mußt du sprechen, Mara.
Für deine Verwandten wird es jetzt besonders ein Gefühl der Beruhigung sein,
dich in Sicherheit und in treuem Schutz zu wissen. Du hast doch selbst den
aristokratischen Hochmut deiner Familie gefürchtet -- jetzt schweigt er sicherlich.


Sturm

sicheren Ort, hier, wo der Brand der Revolution an allen Ecken und Enden
aufflammte. Mara im Stich lassen und damit die lichte Zukunft gefährden, in
der er sich als Ehemann des reichen und vornehmen Mädchens eine bedeutende
Rolle spielen sah? Das schien ihm ebenso töricht.

Was brauchte Mara überhaupt aufs Land zurückzukehren! Sie konnte doch
dort nicht helfen. „Ich werde ihr das vorstellen," dachte er und erinnerte sich
an den Plan, den sie in den ersten Tagen ihrer Freundschaft einmal erwogen
hatten. Sie sollte nach Deutschland gehen, um dort an irgendeiner kleineren
Universität Vorlesungen zu hören. Er selber wollte sich am gleichen Ort ein
Atelier einrichten. Sie würden dann gemeinsame Wirtschaft führen, hatte er
geträumt und dabei an Zürich und München gedacht, wo dergleichen Verhältnisse
gang und gäbe sein sollten. Von diesem Traum hatte er aber Mara nichts
gesagt. Seit dem Tage, da sie ihm ihr Herz offenbarte, war er nicht mehr auf
jenen Plan zurückgekommen, denn nun erfüllte die offizielle Heirat alle seine
Wünsche.

Unter dem Eindruck der letzten Vorgänge — das sah er selber ein —
mußte die Eheschließung verschoben werden. Aber ließe sich nicht jetzt erst
recht jenes erste Projekt verwirklichen? Es galt, Mara für einen längeren
Aufenthalt in Deutschland zu gewinnen, und zwar mußte sie sich sofort dazu
entschließen.

Mit diesem Vorsatz ging er wieder ins Schildbergsche Quartier hinunter
und bat Mara um eine Unterredung unter vier Augen.

Das Eßzimmer war leer. Gräfin Emerenzia war nach Katharinental ins
adlige Marienstift gefahren, um dort von dem Wunder ihrer Rettung und vor
allen Dingen von ihrer segensreichen Mitwirkung dabei zu berichten.

„Ich habe Mama nichts von Wolfs Joachims Verwundung erzählt. Sie
ist Gott sei Dank ungefährlicher, als man anfangs dachte. Doktor Schlosser hat
die beste Hoffnung. Nun liegt sie beruhigt im Bett. Ich habe sie lange nicht so
zufrieden gesehen. Sie hat Borküll nie geliebt und ist ganz damit einver¬
standen, daß sie vor der Hand in Neval bleibt. Die großen Räume hatten
sie schon immer beängstigt. Hier steht sie keine Gespenster hinter sich. Ich
glaube, ich kann sie ganz ruhig unter Fräulein Ateles Obhut lassen!"

Mara war schon bei den Reisevorbereitungen, als sie so zu Madelung
sprach. Der Maler räusperte sich: „Nur einen zwingenden Grund gibt es,
der dich zu dieser Reise bestimmen könnte..."

„Nur einen? Ich begreife dich — ich begreife Sie nicht! Tausend gibt
es. Der kranke Bruder, der abgebrannte Hof, die obdachlosen Leute, Paul..."

„Und ich? An mich denkst du nicht! Ich dachte du würdest jetzt unsere
Pläne der Verwirklichung zuführen. Mit deinem Vater mußt du sprechen, Mara.
Für deine Verwandten wird es jetzt besonders ein Gefühl der Beruhigung sein,
dich in Sicherheit und in treuem Schutz zu wissen. Du hast doch selbst den
aristokratischen Hochmut deiner Familie gefürchtet — jetzt schweigt er sicherlich.


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[0522] Sturm sicheren Ort, hier, wo der Brand der Revolution an allen Ecken und Enden aufflammte. Mara im Stich lassen und damit die lichte Zukunft gefährden, in der er sich als Ehemann des reichen und vornehmen Mädchens eine bedeutende Rolle spielen sah? Das schien ihm ebenso töricht. Was brauchte Mara überhaupt aufs Land zurückzukehren! Sie konnte doch dort nicht helfen. „Ich werde ihr das vorstellen," dachte er und erinnerte sich an den Plan, den sie in den ersten Tagen ihrer Freundschaft einmal erwogen hatten. Sie sollte nach Deutschland gehen, um dort an irgendeiner kleineren Universität Vorlesungen zu hören. Er selber wollte sich am gleichen Ort ein Atelier einrichten. Sie würden dann gemeinsame Wirtschaft führen, hatte er geträumt und dabei an Zürich und München gedacht, wo dergleichen Verhältnisse gang und gäbe sein sollten. Von diesem Traum hatte er aber Mara nichts gesagt. Seit dem Tage, da sie ihm ihr Herz offenbarte, war er nicht mehr auf jenen Plan zurückgekommen, denn nun erfüllte die offizielle Heirat alle seine Wünsche. Unter dem Eindruck der letzten Vorgänge — das sah er selber ein — mußte die Eheschließung verschoben werden. Aber ließe sich nicht jetzt erst recht jenes erste Projekt verwirklichen? Es galt, Mara für einen längeren Aufenthalt in Deutschland zu gewinnen, und zwar mußte sie sich sofort dazu entschließen. Mit diesem Vorsatz ging er wieder ins Schildbergsche Quartier hinunter und bat Mara um eine Unterredung unter vier Augen. Das Eßzimmer war leer. Gräfin Emerenzia war nach Katharinental ins adlige Marienstift gefahren, um dort von dem Wunder ihrer Rettung und vor allen Dingen von ihrer segensreichen Mitwirkung dabei zu berichten. „Ich habe Mama nichts von Wolfs Joachims Verwundung erzählt. Sie ist Gott sei Dank ungefährlicher, als man anfangs dachte. Doktor Schlosser hat die beste Hoffnung. Nun liegt sie beruhigt im Bett. Ich habe sie lange nicht so zufrieden gesehen. Sie hat Borküll nie geliebt und ist ganz damit einver¬ standen, daß sie vor der Hand in Neval bleibt. Die großen Räume hatten sie schon immer beängstigt. Hier steht sie keine Gespenster hinter sich. Ich glaube, ich kann sie ganz ruhig unter Fräulein Ateles Obhut lassen!" Mara war schon bei den Reisevorbereitungen, als sie so zu Madelung sprach. Der Maler räusperte sich: „Nur einen zwingenden Grund gibt es, der dich zu dieser Reise bestimmen könnte..." „Nur einen? Ich begreife dich — ich begreife Sie nicht! Tausend gibt es. Der kranke Bruder, der abgebrannte Hof, die obdachlosen Leute, Paul..." „Und ich? An mich denkst du nicht! Ich dachte du würdest jetzt unsere Pläne der Verwirklichung zuführen. Mit deinem Vater mußt du sprechen, Mara. Für deine Verwandten wird es jetzt besonders ein Gefühl der Beruhigung sein, dich in Sicherheit und in treuem Schutz zu wissen. Du hast doch selbst den aristokratischen Hochmut deiner Familie gefürchtet — jetzt schweigt er sicherlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/522>, abgerufen am 21.10.2024.